Die Besenkammer lag im Eingangsbereich der Herrentoilette. Die Lampe war wie gewöhnlich kaputt und das Wasser aus dem Hahn eiskalt. Dann eben umso stärkere Putzmittel in den Eimer! In der Regel versuchte ich, ein bisschen warmes Wasser vom Handwaschbecken zu holen, aber es war schwierig, den Eimer dort reinzuklemmen, man bekam gerade den Boden bedeckt.
Wegen der Glasscherben fegte ich zunächst alles zusammen und nahm die Splitterreste mit feuchten Papierhandtüchern auf. Dann konnte ich den Boden endlich wischen.
Jetzt sah alles wie neu aus, wirkte wie frisch gestrichen. Wenn nur keiner hereingetrampelt kam, bevor alles trocken war, dann gab es hier wieder eine Herrentoilette, wie sie sich schickte für ein Etablissement wie den Wintergarten mit seiner imposanten Bar, seinen gedeckten Tischen, seiner erlesenen Speisekarte und dem großen Tanzboden. Ich war zufrieden.
Dunja war dabei, die Teppichböden zu saugen, ich hörte sie irgendwo weit weg, während ich den Putzwagen ordnete und einen Moment verschnaufte. Im Foyer war Izzadins Poliermaschine verstummt. Wahrscheinlich war er voll damit beschäftigt, vor dem Eingang Schnee zu fegen, das Festgetretene loszuhacken, wegzuschaufeln und dann Sand zu streuen. Er hatte von Björn eine umfassende Ausbildung im Sandstreuen erhalten, unwissend wie er hinsichtlich der Choreografie des Rutschens nun mal gewesen war. Jetzt beherrschte er die Sache dafür umso besser – kein Gast sollte sich den Oberschenkelhals brechen, solange dieser Palästinenser für das Streuen sorgte.
Jelena kam aus dem Damenklo. Sie war nicht schneller fertig geworden als ich, trotz der geringer verdreckten Örtlichkeit. Sie wirkte froh. Und das war schließlich gut. Doch worüber konnte man sich in dieser frühen Stunde freuen, noch dazu auf einem Damenklo?
Was ist, fragte ich automatisch. Was soll schon sein, erwiderte sie und grinste noch mehr, während sie etwas Eingewickeltes, was auch immer das sein mochte, ganz unten in ihren Putzwagen schob. Ach diese Russinnen – unergründlich wie die weite Taiga, vielleicht hatte sie per Telepathie Kontakt zu einer anderen Toilettenmadam im Ural oder in Murmansk bekommen und würde bald abhauen, irgendwas hatte sie vor, ganz klar.
Gerade als ich die vierte Etage erreicht hatte, wo ich kontrollieren wollte, ob der Flur gesaugt werden musste, ging das Licht aus, und es wurde stockdunkel. Und still.
Ich tastete mich vorwärts, geleitet von den starken Scheinwerfern am Hang, deren Licht durch die weit entfernten Fenster hereinfiel, und jetzt hörte ich Björns feste Stimme, er befand sich in meiner Nähe irgendwo in der Mitte des Flurs. Seine ungemein schöne Stimme und vor allem seine Sprache – typisch für die hiesige Gegend. Konnte man in dieser Mundart überhaupt anders als nett sein? Die Wörter tönten und funkelten, das war Malungs Dialekt im paillettengeschmückten Trikot – ein Eistanz der Redewendungen und doppelbödigen Bedeutungen, in dieser herrlichen Sprache war keine Äußerung zu trivial.
Das ist nur eine Sicherung, die Sache ist gleich geritzt, bleib ganz ruhig, hörte ich ihn rufen. In der Mitte des Flurs befand sich ein Sicherungskasten, und von dort erklang seine Stimme.
In Ermangelung einer anderen Beschäftigung tastete ich mich zu ihm vor und fragte, ob es lange dauern würde. Im selben Moment ging das Licht wieder an, und ich stand beschämt da, war ich noch bei Trost.
Hallo Siv, sagte er. Guck dir das an, da ist doch einer dran gewesen und hat einen Kurzschluss fabriziert, an allem müssen sie ihre Finger haben. Seine Sprache klang wirklich ganz besonders, obwohl er Hochschwedisch mit mir redete.
Ich schaute hin und verstand nichts, jede Menge Kabel, jede Menge Sicherungen und jede Menge Codes und Zahlen – was also?
Jemand hat einen Nagel dazwischengeschoben, erklärte er. Damit die Sicherung nicht durchbrennt. Hast du so was schon mal erlebt? Was die wohl gemacht haben – denn ich vermute mal, einer der Gäste hat in seinem Zimmer irgendwelche elektrischen Manipulationen vorgenommen. Allerdings werden wir wohl nie erfahren, was es gewesen ist. Eine wirklich gefährliche Sache, dadurch kann ein Brand entstehen.
Er war Elektriker und obendrein unser Rettungsanker bei allem, was nicht funktionierte, von den Haustechnikern war er zweifellos der geschickteste, und ich bewunderte ihn vorbehaltlos.
Da ich mir selbst gelobt hatte, nichts mit einem Mann anzufangen, jetzt nach der Misere mit Niels, die schmerzhafte Scheidung von Jan mal ganz außer Acht gelassen, so tat ich es völlig offen, also ihn zu bewundern. Liebe und Erotik waren schließlich nichts für mich, jedenfalls noch lange nicht – vielleicht nie mehr. Du bist ein Spitzentyp, sagte ich zuweilen. Wenn ich meine Meinung in Bezug auf Männer mal ändern sollte, dann weißt du, dass du der Erste in der Reihe bist. Und wie lange muss ich warten, gab er dann scherzend zur Antwort, dir ist ja wohl klar, dass Altsein das allerschlimmste Sein überhaupt ist.
Auch noch witzig, und das in der herrlichsten Mundart.
Ja, er war Spitze, in jeder Beziehung. Unbegreiflicherweise geschieden, wie konnte jemand ein solches Prachtexemplar freiwillig hergeben? Dazu war er noch nett wie kein anderer, sah auch nicht schlecht aus. In diesem Etablissement war er außerdem unentbehrlich und vermutlich unterbezahlt wie wir alle. Genau das wäre dann ja wohl der große Haken. Ich hatte doch beschlossen, es muss einer mit Geld sein. Die unterste Balkenlage der Schuppen hatte sich direkt in die Erde gedrückt und moderte, und das Haus selbst brauchte ein neues Dach und eine bessere Windisolierung. Das waren meine nächsten Projekte, sobald ich genug Geld beisammen hätte. Wenn der Ritter auf dem weißen Pferd eines schönen Tages angaloppiert kam, sollte er folglich keinen Strauß Rosen in der Hand halten, sondern Pfosten, Dämmwolle und frischbehauene Stämme, die er spielend leicht gegen die alten austauschte.
Gut, dass du so schnell wieder für Licht gesorgt hast, sagte ich. Hast du Angst bekommen, wollte er wissen und sah mich an. Kein bisschen, erwiderte ich. Wirklich nicht, fragte er neckend und machte lächelnd einen Schritt auf mich zu. Aufgepasst, zwar war das alles nur Spaß, aber jetzt war niemand sonst in der Nähe, die lachenden Zeugen fehlten. Also zog ich mich zurück, weiter den Korridor hinunter und sagte, ich müsse dann wohl los. Und er drehte mir den Rücken zu und schraubte, was auch immer es nun war, wieder fest.
Männer wie er sollten nicht frei herumlaufen. Sie brachten alles durcheinander, sodass einem die Gedanken nicht gehorchten und sich im ruhigen Alltagstrott Himmel und Abgründe auftaten. Ja, er sollte eingesperrt werden, hinter einer Plexiglasscheibe sitzen, sodass man gefahrlos hingehen und sich diese Krone der Schöpfung, die er zweifellos war, mit tropfendem Zahn genau anschauen konnte. Wirklich ein Leckerbissen! Fantasieren durfte man schließlich, aber wichtig war, dass es dabei blieb. Sonst hätte das eine unhaltbare Arbeitssituation zur Folge, und was sich daraus ergeben würde, ließ sich leicht ausrechnen. Falls ich überhaupt irgendeine Chance gehabt hätte. Er zog mich doch nur auf. So konnte ich die Vögel glücklicherweise daran hindern, in meinem Haar ihr Nest zu bauen.
Als Nächstes kam die Piano-Bar dran – Party mit Mopp und Lappen. Zu imaginärer Musik!
Ingalill und ich standen vor den Toiletten der Piano-Bar und starrten auf den Marmorboden. Aceton, sagte sie mit Nachdruck. Bist du sicher, dass es Marmor ist, fragte ich. Sie zuckte die Schultern, jedenfalls ist der Boden mächtig hart. Genau weißt du es also nicht, beharrte ich. Sie schüttelte den Kopf. Denn wenn das kein Stein ist, kann Aceton Flecken hinterlassen, ich würde stattdessen Eisstücke und einen Schaber vorschlagen, danach Reinigungsmittel und heißes Wasser, den Dreck zuerst einfrieren, damit er hart wird. Dann lässt er sich wegkratzen.
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