Der Zeiger näherte sich der Sechs, die Reinigungskräfte trafen jetzt am laufenden Band ein, das Gemurmel wurde lauter, und Ingalill war im Anmarsch, wir hörten, dass sie den Nachtportier begrüßte.
Wo steckte Dunja, sie kam doch immer pünktlich? Aber an diesem Morgen trafen die Russinnen vor Dunja ein. Die Mienen so unergründlich wie die der Sphinx betraten die beiden pompös die Bühne, ließen ihre Taschen schwingen, warfen die lange Mähne zurück, lächelten leicht zweideutig und kauten wie besessen auf ihrem Kaugummi herum. Ich spürte förmlich, wie der Bombenregen auf die arme Hedy niederprasselte, vielleicht war es nur ein kurzer Blick oder eine Bewegung, vielleicht bildete ich mir das aber auch ein. Sie war doch so grau und diese beiden so farbenprächtig mit ihren Strähnchen im Haar, den Ohrringen und dem Eau de Toilette – selbst um sechs Uhr in der Frühe –, sie waren einfach souverän.
Valentina, die Blonde, war beim Putzen nicht ganz zuverlässig. Einmal hatte ich sie erwischt, als sie oben in einem Zimmer saß und eine Seifenoper guckte. Sie stand nicht einmal auf, als ich zufällig die Tür öffnete, sondern kaute nur weiter auf ihrem Kaugummi herum und starrte auf den flimmernden Bildschirm. Sie dachte, ich würde es genauso machen.
Jelena, die Dunkle, war flink. Zu flink, fand ich, aber es war ja nicht meine Angelegenheit, die Qualität ihres Putzens zu kontrollieren, sondern Ingalills. Und Ingalill schien zufrieden. Außerdem war Jelena schön, man übersah sie nicht. Auch bei den Gästen erregte sie Aufmerksamkeit, und offenbar hatte sie nichts dagegen. Diese Sache hatte Ingalill, wie ich feststellen konnte, im Blick. Jelena bekam oft die Endreinigung übertragen, wo keine Gäste mehr in Sicht waren. Vermutlich hatte sie den Grund dafür selber begriffen, aber wie fast immer reagierte sie auch darauf mit einem Grinsen. Ihre Schwedischkenntnisse waren beeindruckend, wir beide aber hatten keinen engeren Kontakt.
Was die Russinnen anging, hatte man das Gefühl, dass sie die Arbeit jeden Augenblick hinschmeißen konnten, ich wusste nicht genau, woran ich bei ihnen war.
Wie mein Arbeitstag aussehen würde, hing meist direkt mit der Effektivität meiner Arbeitskollegen zusammen. Ingalill, unsere Hausdame, hatte mich zu ihrer Favoritin erkoren, und das bedeutete, dass ich oft einspringen musste, wenn etwas schief lief. Daher war ich in ein symbiotisches Verhältnis zu ihr verstrickt und betrachtete die Reinigungskräfte mit denselben Augen wie sie. Das war frustrierend. Ich war eine Art halber Boss, ohne es wirklich zu sein und auch ohne mehr zu verdienen als die anderen. Meine Arbeitskollegen sahen mich genauso. Ich war schließlich die einzige Schwedin, schon allein das, natürlich befand ich mich in einer besseren Position. Es fiel mir schwer, eine wirklich gleichberechtigte Beziehung zu ihnen aufzubauen – verdammt, war es meine Schuld, dass ich mit keinem fremden Akzent sprach?
Jetzt kam Dunja, wirklich auf den letzten Drücker. Zwei Minuten zu spät. Aber Ingalill sagte nichts. Wenn es die Russinnen gewesen wären – Großangriff. Aber jetzt betraf es Dunja, und bei ihr war es das erste Mal, dass sie nicht pünktlich erschien, also schwieg Ingalill.
Außerdem strahlte Dunja wie ein Weihnachtsbaum, hatte sie Glitzer auf den Wangen, oder waren es schmelzende Schneeflocken? Auch ihre Augen strahlten, und sie bat tausendmal um Entschuldigung in ihrem allerbesten Hochschwedisch, bei dem der Akzent kaum zu hören war. Die am besten ausgebildete Putzkolonne der Welt. Und Dunja war ein Sprachgenie, sie war Lehrerin gewesen, in welchem Balkanstaat auch immer, aus dem sie vor mehreren Jahren geflohen war. Sie konnte Englisch, Deutsch und Französisch nahezu perfekt, wenn ich die Sache richtig verstanden hatte, außer ihrer Muttersprache natürlich, von der ich nicht wusste, wie sie hieß, und Schwedisch nicht zu vergessen.
Dunja sah gut aus, aber sie war nie verheiratet gewesen. Doch würde das eines Tages bestimmt noch werden, wenn sie sich dazu entschloss. Sie war zweiundvierzig und arbeitete eigentlich an einer Schule in Tensta. Der Lehrerjob an der Stockholmer Vorortschule war jedoch so stressig, dass sie jetzt ein halbes Jahr Auszeit genommen hatte, um von dem Ganzen wegzukommen, wie sie sagte. Sie liebte das Skifahren, sowohl Langlauf als auch am Hang. Wir hatten freie Liftkarten, so konnte sie ihrer Leidenschaft nachkommen, sobald sie frei hatte. Sie war hier nach Weihnachten einfach aufgetaucht, und zu dem Zeitpunkt fehlten gerade Leute, also hatte sie anfangen können. In der Putztruppe gab es noch andere aus dem Balkan, aber ich wusste nicht, ob sie mit ihnen verkehrte.
Ich mochte Dunja, sie war intelligent und hatte Humor, und sie arbeitete gut. Niemand war direkt schlecht, aber von all denen, die hier sauber machten, arbeitete ich am liebsten mit Dunja zusammen, da lief die Arbeit wie geschmiert.
Sie war auch diejenige, der ich am meisten glich, bildete ich mir ein. Besonders wenn es ums Aussehen ging, hatte ich aus Spaß zu ihr gesagt – dickes dunkles Haar und ausdrucksvolle große Augen, außerdem schlank. Schön wär’s. Aber was das Innenleben anging, waren wir nicht so verschieden, sie wohnte ja schon mehrere Jahre hier, sie war ganz einfach wie eine Schwedin.
Ingalill wirkte müde. Bestimmt lag das wieder an ihrem Kind.
Schlüssel wurden hervorgeholt, Reinigungspläne ausgegeben und Anweisungen erteilt. Eigentlich war die morgendliche Zusammenkunft mehr eine Formsache, wir wussten im Allgemeinen, wie der Tag ablaufen würde. Aber wir mochten es, uns ein paar Minuten zu versammeln, wir bildeten trotz allem eine lose Gemeinschaft. Bei niemandem war es genauso wie bei uns. Außerdem gab es oft etwas, das die ganze Gruppe erfahren musste.
An diesem Morgen hatte es ungewöhnlich viel Hin und Her an der Rezeption gegeben, und jetzt gab uns Ingalill die Erklärung dafür. In der Nacht war erneut ein Matratzenunfall passiert. Eine Person war tot. Schneeskooter mit Polizei und Arzt waren gerade unterwegs den Hang hinauf, und der Pistenpfleger, der den Fund gemacht hatte, stand unter schwerem Schock und war mit dem Krankenwagen weggebracht worden. Nur damit wir Bescheid wüssten. Im Laufe des Tages würden sicher Unbefugte hier auftauchen, vielleicht von der Presse, und auch Angehörige, aber uns sei ja bekannt, worauf es ankomme, oder?
Allgemeines Gemurmel zur Antwort: Klar Ingalill, wir haben eine Dienstleistung zu erbringen, und es ist nicht unsere Aufgabe, Fragen zu beantworten. Aber wir sollen freundlich sein, nicht patzig. Dann machten wir uns bereit aufzubrechen, aber Ingalill war noch nicht fertig – der Restaurantleiter sei mit der Reinigung des Bistros unzufrieden – Gäste hätten über staubige Fußbodenleisten geklagt. Wenn wir selbst hier Gäste wären, hätte es uns dann etwa nicht gestört, eine solche Verwahrlosung zu sehen?
Wir lächelten spöttisch. Wir – hier Gäste? Für mindestens tausend Kronen die Nacht – besten Dank!
Und dann hätten wir da noch die Küche, fuhr sie unverdrossen fort. Dort verschwindet so manches. Sie sagen nicht, dass ihr es gewesen seid, aber es ist schon komisch, dass die verschiedensten Dinge Beine kriegen, besonders wenn die Küche spärlich bemannt ist. Sollte jemand also aus Versehen den Gefrierraumschlüssel mitgenommen haben, so geht es in Ordnung, wenn er völlig inkognito wieder an seinen Haken gehängt wird, und das gilt auch für diverse Küchengeräte wie Suppenkellen, Fischscheren, Fleischerbeile, Filetmesser und feine Salatbestecke!
Die sagen, wir hätten das geklaut?, fragte Muhammad bedrohlich leise, wir, die doch nie in der Küche sind?
Sie sagen es überhaupt nicht, verdeutlichte Ingalill, sie haben uns nur gebeten, diese Information oder diesen Appell oder wie man es sonst nennen will, an alle Personalgruppen weiterzugeben. Das gilt auch für die Direktion.
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