„Produzieren Sie Gold“, fragt er „oder produzieren Sie Werte? Wie? Na, also, wenn Sie Werte produzieren (der Assistenzarzt hat aber gar nichts gesagt. Er produziert seiner Meinung nach nichts. Er flickt mit seinem Chef zusammen die Kranken einigermassen zurecht, und er und Professor Schreiner sind sich nicht klar darüber, ob das nun eine produktive Arbeit ist oder nicht) ... wenn Sie Werte produzieren, so können wir auch nur auf Wertbasis rechnen. Wenn wir aber Goldbasis haben, bei Werteproduktion, so kann das nur schief gehen. Das ist doch klar. Wenn das aber klar ist, so begreift man nicht die Regierungsbanken, die immer noch ...“
Mitten in diesem Satz erscheint der Bräutigam am Arm seiner Mutter. Tante Anna und Fräulein von Brettwitz bemühen sich um die Generalmajorin, entschuldigen Hausherrn und Braut. „Aber es macht nichts“, sagt Frau Meimberg, „der Herr Professor ist selbstverständlich entschuldigt.“
Gemeinsam treten Dr. Weppen und Dr. Kleesand auf. Sie sind mit gleich grossen Rosensträussen bewaffnet, und Dr. Kleesand hat sich erlaubt, eine Konfektschachtel in Wagenradgrösse mitzubringen. Die Rechtsanwälte stehen nun mit ihren Gaben vor Tante Anna und Fräulein von Brettwitz. Sie sehen sich suchend nach Professor Schreiner um. Gott sei Dank, da kommt er. Er ist wie immer unbefangen und ein bisschen ungeschickt. Er gibt jedem der Gäste die Hand. Dann kümmert er sich um niemanden mehr, sondern spricht mit der Generalin über Rosenzucht. „Wo bleiben eigentlich unsere beiden?“ fragt schliesslich Frau Meimberg. „Ich fürchte fast, dass die Gäste sie vermissen werden.“ Der Professor zuckt die Achseln.
„Unsere beiden“ stehen oben in Barbaras Zimmer im Rahmen des Fensters.
„Gut, dass du heraufgekommen bist“, sagt Barbara leise. „Ich habe das mit aller Kraft gewünscht. Ich war schon zehn Minuten ganz fertig. Die Brettwitz hat dreimal bei mir geklopft. Siehst du eigentlich, dass ich geschminkt bin? Nein? Ich bin aber geschminkt. Ja. Ich wollte also, dass du heraufkamst, und da bist du. Du gehorchst meinen Gedanken wirklich wunderschön.“
Alfred antwortet: „Du bist mal wieder hübscher als jemals. Rosa steht dir grossartig. Vom Schminken habe ich wirklich nichts gemerkt. Bist du froh? Ich bin mächtig froh. Aber du hast einen Schatten in den Augen, einen ziemlich grossen Schatten.“
„Das sieht man?“ fragt Barbara erstaunt. „Du siehst es? Ich muss dir noch etwas erzählen. Etwas Merkwürdiges, beinahe Unbegreifliches.“
„Wir wollen es aufschieben“, sagt Alfred, „wir haben ja Zeit. Mächtig viel Zeit, denk mal.“
„Das wird gut sein“, lächelt Barbara, „und jetzt ist vielleicht wirklich nicht der richtige Augenblick zum Aussprechen. Ausserdem werden wir uns dann besser kennen.“
„Obwohl wir uns doch eigentlich sehr gut kennen“, lacht Alfred, „findest du nicht?“
„Ziemlich gut“, sagt Barbara, „vielleicht wirst du sogar noch Geduld mit mir haben müssen.“
„Wenn du nur keine Angst hast“, sagt Alfred, „dann werden wir die ganze Sache überhaupt grossartig machen.“
„Ich habe keine Angst“, sagt Barbara leise, „ausser ... ausser ... ja höchstens ausser vor mir. Das verstehst du doch.“
Meimberg schüttelt den Kopf. Nein, er versteht das durchaus nicht. Er will es auch nicht verstehen. Das sind Dinge, nicht wahr, die haben früheren Generationen das Leben verdunkelt. Fragen, über die sind die alten Herrschaften gestolpert. Nicht sosehr seine Eltern als die Zwischengeneration, die Kriegsteilnehmer. Das waren gewiss wackere Leute. Aber vor lauter Schwierigkeiten haben sie die Leichtigkeiten des Lebens nicht mehr gesehen.
„Darüber werden wir noch viel sprechen müssen“, sagt Alfred, „das ist eins der wichtigsten Themen. Aber nicht heute. Heute ... heute wollen wir uns wahnsinnig freuen. Nichts weiter. Klar?“
Einerlei, ob es nun klar ist oder nicht (und natürlich ist es noch durchaus nicht klar), sie können ihr Gespräch nicht fortsetzen. Denn jetzt erscheint nach heftigem Klopfen Tante Anna von Löpel, verheiratete Schreiner, in der Tür. Sie schüttelt den Kopf. „So“, sagt sie, „da seid ihr. Na, sehr schön. Unten ist es kolossal anregend. Mein lieber Schwager betrachtet mit der Brautmutter die Rosenernte, mein Mann verhandelt über die Goldwährung, und meine Nichte erscheint der Einfachheit halber gar nicht. Ihr glaubt wohl, das Fest ist für euch da. Irrtum, meine Lieben. Heiraten ist ein Vergnügen für die andern.“
*
Zehn Uhr. Die Gäste trinken Erdbeerbowle und Kognak. Erdbeerbowle und Schwarzwälder Kirschwasser. Es riecht nach Rosen und Zigarren. Die feindlichen Fronten der beiden Familien mit ihren Freunden lockern sich. Oberst von Pritzke zum Beispiel bricht in die Schlachtlinie der Fremden ein und macht der Braut den Hof, der Schwiegertochter seines verstorbenen Freundes Meimberg, dann ihrer Freundin Sophie, dann der Amtsrichterin Wehmeyer. Otto Schreiner, der alte Demokrat mit der achtundvierziger Tradition, hält der Generalmajorin seine Faust unter die Nase als Beweis, dass die Monarchen „denkbar ungeeignet“ sind, ein Volk wahrhaft glücklich zu machen. Aber Frau Meimberg hält ihre kleine zarte Damenhand abwehrend über die Riesenfaust und schirmend über die Monarchen.
Da das „Alter“ unbedingt aus den Zuschauersesseln auf die Tanzbühne gezogen werden soll, macht man eine Polonäse durch den Garten, zwischen den Bäumen, die als zartzackige Silhouetten aus der Nacht geschnitten sind, unter Sternen, die in der warmen Dunkelheit flirren. Kleesand, der birnenköpfige, immer etwas verlegene Kleesand, hat einen riesigen Korb mit Feuerwerk mitgebracht, das er mit gütiger Erlaubnis abbrennt. Sonnenräder, die sich knallend drehen, Monde, die lautlos bunte Kugeln speien, Springbrunnen von Gold und Silber, vielfarbige Kugelfontänen, hoch über den Häusern verzischende Raketen (unter deren Schein man die Köpfe neugieriger Nachbarn rings in allen Fenstern aufgereiht sieht), und schliesslich Leuchtschirme, die – wie im Krieg – langsam und friedfertig, fremdartige Nachtblumen, über dem Garten dahinschaukeln. Es kennen aber unter allen Anwesenden nur Dr. Werkmann und der dicke Otto Schreiner den Krieg. Sie allein werden an die Schützengrabennächte erinnert. Aber sie sagen nichts.
Zum Schluss kriegen alle Damen Sprühregen in die Hände gedrückt und müssen sie auf Kommando anbrennen. Es sieht reizend aus, wie sie alle dastehen, mit vorsichtig abgewandten Gesichtern, voll Furcht, die guten Kleider zu verbrennen oder selbst in die Luft zu fliegen: die weisshaarige Frau Meimberg, Tante Anna Schreiner mit zu Röllchen gebrannten grellblonden Haaren, Barbara mit den halblangen braunen Haaren, sehr ihrer Mutter ähnelnd, da sie die Augen geschlossen hat, Sophie Wahnke, die Lehrerin, mit den streng gescheitelten Haaren, die hinten zu einem Knoten zusammengefasst sind, die Amtsrichterin, die in Erinnerung an ihre Wandervogelzeit noch Schnecken trägt, Fräulein von Brettwitz mit den zum Knust gewundenen graublonden Riesenflechten, Frau Dr. Werkmann mit Herrenschnitt, die Kusine Hermi Schreiner, ehemals Malerin, jetzt Zeichnerin in der pathologischen Anatomie, ganz in Wasserwellen, die jugendliche Frau Professor Stössler, Gattin des Internisten, mit halblangen Locken über dem Empirekleide ... eine ganze Galerie Frauen der gleichen Zeit und aus drei Zeitaltern, besonders, wenn man noch die ganz jungen Dinger mitrechnet, Lisa Meimberg, eine Kusine des Bräutigams, Abiturientin, mit zwei Zöpfen über der Schulter, Klotilde von Löpel, eine Nichte der Tante Schreiner, mit getufftem Blondhaar, das wie Schaum über dem Kopf steht (sie ist Schauspielerin, hat eben einen Film mitgemacht, als dritte von neun Mädchen einer Ballettschule, musste zu Willy Fritsch sagen: „Gute Nacht, lieber Egon!“).
Das Fest wird nun wirklich lustig, nachdem alle Damen in die rechte Beleuchtung gesetzt waren und nachdem man ein paar Frösche durch die Büsche hat knallen lassen, damit alle wieder in den Tanzraum zurückgehen. Aber es geht alles wie auf andern Festen auch.
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