Walther von Hollander - Grenze der Erfüllung

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Der Band versammelt die fünf Novellen «Sterbende Unendlichkeit», «Die Flöte», «Die Flucht», «Die ewige Wanderschaft» und «Gespenstischer September». In diesen frühen Erzähltexten Hollanders schwingt eine eigene Melodie, ein expressionistisches Pathos, eine lyrische Musikalität, die das Lesen zu einem in doppeltem Sinne «unheimlichen» Genuss, die Lektüre zu einem ganz besonderen Erlebnis macht. «Sterbende Unendlichkeit» berichtet im Rückblick von Krankheit und Sterben der Geliebten und lässt die Stationen dieser Amour fou noch einmal Revue passieren: «In einer Nacht, als die Schweigsamkeit unserer rastlosen Vereinigungen uns die Kehlen verschnürte, hieben wir – da keine Worte mehr von unseren Zungen kamen – einander die Zähne ins Fleisch und erwachten ungetrennt am andern Morgen vom Schmerz der Wundmale.» «Die ewige Wanderschaft» berichtet die Geschichte von Michael, einem «Abenteurer aus leidenstollem Ungenügen an der eignen verflachenden Seele», der die schöne Angelika kennen und lieben lernt, ihr ein Kind schenkt, sie aber zuletzt aus der inneren Unruhe des ahasverischen Wanderers heraus verlassen muss: «Ich aber muß zu den Feuern des Ostens, meine Flammen schlagen der aufgehenden Morgenröte entgegen, die mich verbrennen wird.» Von ähnlicher rätselhaft-beklemmender und zugleich verstörend fesselnder Eindringlichkeit sind auch die drei anderen Novellen dieses sich unerbittlich drehenden Novellenkreises.-

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Walther von Hollander

Grenze der Erfüllung

Ein Novellenkreis

Saga

Grenze der Erfüllung

© 1920 Walther von Hollander

Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprintof Lindhardtog Ringhof A/S Copenhagen

All rights reserved

ISBN: 9788711474600

1. Ebook-Auflage, 2016

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com

Von Mira — für Mira

Als Thema:

Verspätet braust der Ozean der Worte.

Vergeblich, was ich Nacht für Nacht gestammelt.

Du bist nicht mehr in mir, in dir versammelt.

Du schwebst ergriffen vor dir selber her

Und spürst nicht wie mein Leib um deinen Leib verdorrte.

Du wartest ruhelos und gramgeschändet

Dass dich von Neuem Blüten überbranden

Den Duft zu keltern, den wir ewig fanden.

Du neigst den Nacken neuer Lüste schwer

Und so, als hätte dich ein Licht geblendet.

Sterbende Unendlichkeit

Es ist nun vorbei. Dieses Blatt Papier schiebe ich vor den entsetzlichen Spiegel, vor den Brunnen, in den ich Stunde um Stunde tiefer versinke. An den armseligen Buchstaben klammere ich mich fest, an den Worten, die allein mir geblieben sind — als Strohhalm und Strick.

Nicht mehr erwachen gelang nicht. So bleibt das Brüten in der Dämmerung und ein erster Gang in der Morgenfrühe, wenn zwischen den Häusern noch nicht der Geruch hastender Menschen ist. Es gilt nicht — den Weg noch einmal zurückschauend — zu klären, sondern nur noch, weil ich weiter atme, den eisernen Block über mir zu halten, mit zielloser Kraft. Leben ist das nicht, aber Leben ist auch nichts anderes — und mit dem Trommelschlag der Geschehnisse sich über die bespannte Leere hinwegwirbeln ist ebenso sinnlos wie dies, dass ich in einem Zimmer verbittert sitze, das Vergangene liebe, es fern von mir halte und mein Geschick beschreibe.

Süsser als alles ist das berauschende Opiat der Einsamkeit; spärlich sind die Früchte jedweder Leidenschaft, und nur wer einmal in seinem innersten Kern wankend wurde, versteht, dass die Welt in rasendem Lauf durch die Leere stürmt, um sich im eignen Gleichgewicht zu halten. Warum schliesslich vom Unrat der Erlebnisse das Erleben überwuchert wird, warum in der Tiefe der Durst uns quält nach dem leichteren Himmel und unter der blauen Seidenfahne einer gemächlichen Leidenschaft der Durst nach Tiefe, warum wir ewig gehetzt von uns in andere stürzen und aus den anderen nackt in uns zurückgejagt werden, wozu wir in tausend Formen uns zu giessen trachten und niemals auch nur eine Form zu füllen vermögen — warum wir reifen wollen und uns tief innen vor Frucht und Vollendung schaudert — das alles trinke ich als Frage in mich hinein und weiss, dass eine Antwort so schön und so ohne Zweck ist wie der Gang der geliebten Frau, der nun an meinem Fenster vorübergehn muss.

In der Nacht, als wir uns kennen lernten, schwang sich die silberne Frage des Viertelmondes über dichtgedrängte Schornsteine. Dem hastigen Aufleuchten erster Begehrlichkeit folgte die Täuschung des Erfülltseins. Worte überstürzten sich, Geständnisse lauerten, und es war wieder einmal, als seien all die verwirrten Pfade zweier verschleuderter Leben wie klar fliessende Kanäle zu dem einen Zweck gespannt, in diese Nacht zu fliessen. Waren wir beide dem Spiel mit Schicksalen entwachsen, so reizte uns um so tiefer das Spiel mit Worten, das so leicht die Seelen zu tauschen meint, wenn die Ströme der Leiber ineinanderzischen. Glückseligkeit — die Insel aus Worten gebaut und mit Wollüsten bewimpelt, schimmerte dicht hinter unsern geschlossenen Augenlidern. Woher wir kamen, wussten wir nicht, und unsere Jugend wurde so durchleuchtet vom Glanze dieser ersten Stunde, dass unsere Zukunft wie ein unfassbarer Akkord unsere Glieder zu dem ewigen Rhythmus der Einheit zusammenfügte.

Wir bemühten uns, aus dem Wissen der kommenden Enttäuschung Mauern zwischen uns zu errichten, aber durch die Luken des Genusses fanden wir uns zu immer schnellerer Fahrt in die Abgründe einer Leidenschaft, die mit wunden Lippen und zusammengepressten Zähnen sich dem Erwachen wehrt.

Gegen den Morgen zu begann Regen auf dem Blechgesims des Fensters zu trommeln, streichelte mit zärtlichen Fingern die kühler werdende Haut der geliebten Frau, bis ich erschreckt über der Schlafenden innehielt, und nun schon wusste, dass es zwischen Liebenden nur Brücken gibt, deren in die Herzen gewuchtete Pfeiler mit den Herzen zugleich auseinanderfallen, dass keine untrennbaren Wege zwischen zwei Menschen laufen, dass es Hitze gibt und niemals Wärme, und dass schliesslich doch nur übrig bleibt: für den einen in der Luft der Leidenschaft unruhig weiterzuschlafen und für den anderen an den erwachenden Häusern vorbei in die frostige Kühle des neuen Tages zu traben.

Wir fanden uns wieder, die Stirnen ein wenig beschattet durch den Gedanken, dass von der uns zugemessenen Lust schon ein Teil verbraucht sei, pressten hart die Finger ineinander und suchten, ob uns gelänge, Funken aus den knackenden Knöcheln zu schlagen. Wir erzählten hastig vom Gedenken an die vergangene Nacht, und wie alles blass sei, was uns zuvor begegnete. Ausgelöscht!

Dennoch fanden wir immer mit Worten in das Vergangene zurück, gruben Schlacken aus, erinnerten uns lächelnd, dass jeder getrennt vom andern durch seltsame Wirrungen in diese Stunde getrieben sei und reichten alle Dinge der Vergangenheit wie verblasste Kostbarkeiten dar. Ich erzählte etwa, wie den Knaben noch unter den Apfelblüten eines engen Gartens erste Leidenschaft zum Schluchzen zwang und die tastenden Hände sich am harten Stamm des Baumes wundrüttelten, so dass ein früher Schnee durch die Mondstrahlen wirbelte. Und sie erzählte von einer Fahrt der Leidenschaft, Leib fest an Leib gepresst, durch Städte, die ihren Namen verloren und durch Zimmer, die unvergesslich und ewig waren, von Flüssen und Bergen, die immer im Hintergrund standen und einer Schiffskabine, die fest im Gedächtnis gemauert blieb. Wege alles nur, verstaubt, vom Räderrollen aneinandergedrängter Geschehnisse. In das Schweigen hinein fielen dann Küsse der Leidenschaft, spitz und glühend, trieben uns zu immer schnellerer Lust und vergruben uns in die Bergwerke des brennenden Verlangens. „Es gibt nur einen Weg“, sagte sie, „Vergessen und das Vergessen vergessen. Verströmen und nicht mehr wissen, dass man Strom ist.“ Und ich breitete meine Hände, als müsste ich diesen Strom fangen. Seitdem liebe ich meine Hände und zuweilen, wenn Morgensonne in meine Fenster fällt, hebe ich die Finger gegen das Licht, sehe dass hellrote Blut unter der Haut schwimmen, und weiss, dass sie es ist, die in meinen Adern ewig unruhig den Weg zu meinem Herzen sucht. So sehr ist Besitz und Verlust dasselbe, so sehr ist einmal und ewig das Gleiche, dass ich nun lächeln kann, während die Tränen, die sie nicht erlöste, mir die Kehle dörren.

Damals glaubten wir, dass der Tag kein Ende nähme, so sehr leuchteten unsere Glieder im Dunkeln, und wir fanden nirgend den Weg in die Wirklichkeit zurück, auch dort nicht, wo man sie von Tellern speist und aus Gläsern trinkt. Wein wurde zum Kuss, Bissen, die wir teilten, zur Zärtlich keit, Worte des täglichsten Lebens vom Überfluss zum Erlebnis durchtränkt.

Die Wellen kurzer Trennungen wurden seltener, Leidenschaft brannte aus überblauem Himmel. Wir gingen nicht voneinander, zerrten schon nach wenigen Minuten nacheinander und begruben die Schmerzlichkeit der Pausen unter einem Bergsturz von Zärtlichkeiten. Unsere Füsse gingen so gleichen Takt, dass wir den Boden nicht mehr fühlten, unsere Gedanken sprangen so ineinander, dass sie im Wettlauf jedes Ziel erreichten. Menschen waren noch um uns, aber da wir hell glühten, sahen wir sie nicht in ihrer Beschattung. Ihre Masken, dumpf von zu vielem Schlaf und schwammig von der Trägheit der Getriebenheit, standen an unserem Weg wie ein lustiges Satyrspiel, das unser hohes Lied uns zum Ergötzen nachäffte. Es erschien uns oft, als seien alle anderen Menschen wahnsinnige Marionetten. Denn wir allein wussten den Sinn des Lebens und den Unsinn der Leben, die nicht unser Leben waren.

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