Walther von Hollander
Der Gott zwischen den Schlachten
Die Geschichte einer Liebe
aus unserer Zeit
Saga
Der Gott zwischen den Schlachten
© 1942 Walther von Hollander
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711474549
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
Bald mußte der Mond aufgehen. Aber jetzt war die Stadt vollkommen dunkel, und der Novembernebel machte die Dunkelheit noch dichter. Es war nicht kalt, aber die dämmerfarbenen Nebeltropfen prickelten auf der Haut, und langsam schienen sie sich in den Mantel einzufressen.
Petra Petersen ging sehr schnell. Es war schon spät. In zehn Minuten begann die Vorstellung. Die Menschen, die in immer dichteren Scharen neben Petra auftauchten, sich mit kleinen, blaugefärbten Laternen ins Gesicht leuchteten, sich anrempelten, murrten, lachten, alle diese Menschen würden gleich das Theater füllen. Alle diese Menschen würden zu ihr, Petra, hinaufstarren, die jetzt dunkel zwischen den Dunklen einherging.
Einen Augenblick, wie vor jedem Auftreten, packte sie die Angst, lähmte sie die Schüchternheit, faßte die Sehnsucht nach ihr, unbekannt und still zwischen vier Wänden zu sitzen. Es schauderte sie vor dem Aufgehen des Vorhangs, diesem Wegräumen der vierten, schützenden Wand, die doch jeder Mensch um sich zu haben wünscht und die nur einem nicht vergönnt ist: dem Schauspieler.
Petras Schatten löste sich aus der Menschenschlange. Sie überquerte den Bühnenhof, der, von hohen Häusern eingeengt, noch dunkler war als die Straße, und schlüpfte in den Bühneneingang hinein.
Die steinerne Wendeltreppe war blau beleuchtet. Bläulich schimmerte der helle Oelfarbenanstrich der Wand. Die Gesichter sahen blaß, nebelfarben aus. Beim Pförtner Dümmeke standen ein paar Freischärler und beschwerten sich, daß ihre Karten nicht gekommen seien. Einer, ein junger, dicker Mensch, zog seinen Hut und grüßte tief. Die Petersen sah es nicht. Enttäuscht flüsterte der Dicke: „Bühnenblind. Schon ganz Klärchen. Erkennt nur Egmont wieder.“
Dümmeke ließ seinen Holzarm knallend auf das Fensterbrett fallen — ein Scherz, mit dem er seit fast dreißig Jahren lästige Besucher erschreckte — und brummte: „Da sieht se auch wat Schöneres als Ihnen.“
In diesem Augenblick kamen vier junge Offiziere die Steintreppe herauf. Dümmeke schob das Fenster hoch, beugte sich hinaus und sagte mit mildem Vorwurf: „Theatereingang nächste Tür, meine Herren. Auch bei Verdunklung leicht zu finden. Immer den andern Herrschaften nach.“
Der Jüngste von den Offizieren, der kleine, dünne Fliegerleutnant von Perm, lehnte sich gemütlich vor das Fenster und begann eine hemmungslose Beredsamkeit über den verdutzten Dümmeke zu ergießen: „Verehrter Wachtmeister! Kamerad aus dem längst verflossenen anderen Krieg! Haben Sie mal Urlaub gehabt? Natürlich. Aber nicht nur vier Tage wie diese liebenswürdigen jungen Pioniere. Die paar Tage wollen genutzt sein. Vielleicht wundert es Sie, daß wir uns gerade zu Goethe drängen. Egmont. Aber“ — er legte dem runden Rudo Mense die Hand auf die Schulter — „wir haben einen unter uns mit dem Drang zum Klassischen.“ Und auf eine ärgerliche Bewegung Menses: „Nein, wirklich; er liebt Goethe. Und wir andern, wir sind neugierig auf die Petersen. Hat doch gefilmt, ja? Hat uns imponiert. Wenigstens mir — und dir auch, Hänschen? Christian, du fällst aus. Landwirtschaft, Stabhochsprung und Kunst passen nicht zusammen. Alles in allem: wir müssen hinein.“
Er schob eine Banknote in Dümmekes Hand, indem er weitersprach: „Also wie ist es, Herr Wachtmeister? Da gibt’s doch immer ’ne Loge. Sehen Sie, es klingelt schon ... Da, wo der Intendant seine vier Plätze hat. Proszenium. Oder die Plätze für die Mitglieder. Werden doch nicht alle besetzt. Kommen Sie, Mann. Der Herr Intendant wird vier alte Krieger nicht abweisen.“
Die vier Offiziere gingen mit Dümmeke über die Bühne. Schon warteten die Bürger, bärtig und in prächtigen Kappen, auf ihren Auftritt. Die Offiziere verbeugten sich vor dem Abendregisseur, dem stets verwirrten Herrn von Quehl, und wurden von ihm, nachdem Dümmeke wer weiß was geflüstert hatte, höflich weitergeleitet. Sie betraten die Intendantenloge beim zweiten Klingelzeichen.
Perm nahm den Stuhl rechts außen. Neben ihm verstaute der hagere Christian Hasselberg seine zu langen Beine. Er äugte mit seinen flinken Fuchsaugen ins Parkett hinunter. „Komisch“, murrte er. „Das ist ja wie früher.“ Perm nickte. „Beinah als wäre kein Krieg.“ Hasselberg wollte noch etwas sagen. Daß ihn im ersten Augenblick dieser Friede im Parkett und auf den Rängen gestört hatte und nun ihm gut tat. Aber es war zu verzwickt auszudrücken. Darum sagte er nur: „Ist schon recht so. Und jetzt kann’s anfangen.“ Rudo Menses Vollmondgesicht ging zwischen den beiden auf. Er flüsterte: „Nett von dir, Hassel, daß du mitgekommen bist. Dafür gehe ich dann mit euch aus.“
Hans Kniestedt, im Privatleben Sohn eines Hamburger Großkaufmanns, ordnete seine sorgfältig gescheitelten, widerspenstigen Haare nochmals, indem er sie einzeln mit sanfter Bewegung des Daumens geradestrich, und nöhlte, den Kopf schon in der Dunkelheit des Logenvorhanges: „Wenn sie dann auftritt, euer Meerwunder ... übrigens ist sie sicher aus meiner Gegend ... ihr Name klingt nach Knicks und Schwarzbunten ... oder auch Schafe übern kurzen Weg ... dann stoßt ihr mich an.“
Petra Petersen, das Meerwunder, saß in ihrer Garderobe schon fertig geschminkt. Die Frisöse legte ihr gerade die langen Haare um, deretwegen es einen Krach zwischen der Petersen und dem Intendanten gegeben hatte. Sie wollte mit ihren halblangen Haaren auftreten. Sie fand, man solle in jeder Zeit die Gestalten neu gestalten und dem neuen Gefühl und Geschmack gemäß. Gegen Zöpfe könne man nicht anspielen. Aber sie hatte den Kampf verloren. Unwillig sah sie, wie ihr schöner Katzenkopf durch die Haarkrone ins Breite verschwamm. Fräulein Frühling, die Frisöse, steckte die letzte Nadel und flüsterte ihren gewohnten Spruch: „Reizend, Fräulein Petersen. Sie können ganz beruhigt sein. Reizend.“ Und da die Petersen nicht antwortete, drehte sich die Frühling um und ging mit einem Seufzer über die unausstehliche Person hinaus.
Die Petersen war endlich mit ihrem Spiegelbild allein. Prüfend besah sie sich noch einmal, wischte an den Schatten unter den Augen und versank in eine wohlige Gedankenlosigkeit. Sie wußte, daß jetzt jene dunkle Macht sich ihrer bemächtigte, die ihr die Kraft gab, in den wenigen Szenen, die das Drama ihr ließ, die freudvoll-leidvolle Figur zu prägen und lebendig zu machen. Jahrelang hatte sie gegen diese Macht angekämpft. Wozu hatte sie den scharfen Verstand, die beißende Ironie gegen sich selbst, die ungeheure Härte gegen alle Menschen, wenn sie sich zum Schluß doch immer der dunklen Gewalt ausliefern mußte? Aber sie hatte es nun zu oft erfahren. Spielte sie aus Können und Erfahrung, so war es glänzend, virtuos, aber leer. Ließ sie sich treiben, dann hatte sie Gewalt über die Herzen, dann klang ihre brüchige Stimme plötzlich glockenhaft, dann hatte der etwas eckige Körper eine seltsame Harmonie, obwohl ihre Gesten fremdartig waren.
Die Petersen drehte sich vom Spiegel weg. Die Klingel schrillte das erstemal. Sie probte mit leiser Stimme das erste Lied: „Die Trommel gerühret.“ Sie sang es kunstlos, soldatenhaft. Sie hörte die quenglige, hohe Stimme des Intendanten: „Wie’n Grenadier, Petersen. Aber das Weibliche liegt Ihnen nun mal nicht. Ziehn Se doch Stiebel an als Klärchen!“
Читать дальше