Walter von Hollander
Eine beinah tragische ehegeschichte
Saga
Walther von Hollander: Komödie der Liebe. © 1931 Walther von Hollander. Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen 2016 All rights reserved.
ISBN: 9788711474631
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Hammachers sind leicht zu finden. Dort, wo Geschäfts- und Wohnviertel des neuen Berliner Westens zusammenstoßen, am Olivaer Platz nämlich, geht man die Bayerische Straße hinunter, biegt rechts in die Pommersche Straße, und hat schon das Haus vor sich: ein modernes Mietshaus mit langer, schlichter Front, einen nüchternen hellen Bau mit unzähligen Fenstern, ohne Verzierungen und ohne Reize. Man könnte das Haus mit den Nachbarhäusern verwechseln. Nach der Brandenburgischen Straße zu steht der gleiche rechteckige Kasten und drüben an der Württembergischen nochmal derselbe. Sie sind alle vom gleichen Bauunternehmer, vom gleichen Wohnungshändler hergestellt. Auf Hammachers weist ein ziemlich großes Schild hin, ein modernes Schild in Gold, Rot und Blau, mit zackig auseinandergezogenen Buchstaben: Hans Hammacher, Architekt, B.D.A., 3. Stock, Fahrstuhl.
Ich rate Ihnen, den Fahrstuhl zu benutzen. Denn die Aufgänge — drei gibt es — sind zwar lustig bunt, mit knallig lackierten Geländern und Stufen, aber die Treppen sind steil und in jedem Stock finden Sie dasselbe: eine Wohnung in der Mitte mit einer Flügeltür und je eine Wohnung rechts und links, zu denen eine gewöhnliche Sperrholztür führt. Fahren Sie vorbei an Grosse, Hein und Rollweg, an Opitz, Vellower und Dr. Pfirsig, an Nodewaldt, von Rimnitz und Durlake, so finden Sie oben links Professor Bödau von der Akademie, in der Mitte Daun, Prokurist, und rechts Hammachers. Sie müssen zwei-, dreimal klingeln. Denn das Dienstmädchen Hedwig ist langsam und eitel. Sie muß die Haube zurechtrücken, die blaue Schürze ablegen, die weiße vorbinden, die Brille in die Tasche stecken und das Kinn etwas vorschieben, wie Herr Hammacher das tut. Dann erst kann sie aufmachen.
Sie müssen nun nicht eine originelle Wohnung erwarten, weil Hammacher als Architekt einen guten Ruf hat und als radikaler Wohnungsreformer gilt. Er hatte sich wohl darauf gefreut, mal nach eigenem Geschmack einzurichten, ohne Rücksicht auf die verfluchten Auftraggeber.
„Das wird eine tolle Sache“, sagte er zu seiner Frau, und schlug sich aufs Knie, „eine tolle Sache. Da tobe ich mich aus.“
Als es aber so weit war, hatte er keine Zeit, nicht eben viel Geld, war einrichtungsmüde. Es kamen auch einige Möbel von einem Auftrag zurück, weil der Auftraggeber gestorben war, eine Junggeselleneinrichtung. Man brauchte nur ein Tischchen dazu und einen Spiegel. Fertig. Später würde man sehen. Später ...
Später: das ist drei Jahre her. Die tolle Sache läßt noch auf sich warten. Es sei denn, man nimmt die blauen langen Kisten dafür, die sargähnlich im Flur stehen, und in denen sich die Bettkissen und Bettdecken von ihrer Nachtarbeit ausruhen. Das meiste andere ist wie in jeder Einhundertfünfzig-Mark-Wohnung von Leuten mit modernem Geschmack. Die Raumeinteilung die übliche: gleich rechts die Küche, das Bad, das Mädchenzimmer. Links kommt Hammachers Schlafzimmer, einfenstrig, hofzu, grau gestrichen, mit einem Kasten als Schrank für Wäsche und Kleider und einer breiten Pritsche mit Matratze drüber zum Schlafen.
Anschließend das Zimmer der Frau Hammacher. Das müßte eigentlich zart und schlank möbliert sein. Aber hier war der Großteil der Möbeln des verstorbenen Junggesellen unterzubringen. Der Diwan ist zwei Meter fünfzig im Quadrat, ruht auf beindicken Klötzen. Im Kleiderschrank könnten drei Kinder bequem Verstecken spielen (aber Hammachers haben keine Kinder), der Riesensessel wird Jahrhunderte überdauern. Man ist bedrückt, man kriegt keine Luft, man flüchtet ins große Zimmer und atmet auf.
Es ist fast leer. In diesem Augenblick, in dem Sie eintreten (es ist zehn Uhr abends) sehen Sie nichts als die große Stehlampe, die vor den nachtschwarzen Fensterscheiben brennt. Links in der Ecke dämmert das überflüssige, das längst schon stumme Klavier, ein Blüthnerflügel aus Ellen Hammachers Elternhaus. Ein Gummibaum ist daneben aufgepflanzt, ein Kakteenständer mit einer Unzahl Töpfchen bestellt. Rechts finden Sie den dritten der breiten niedrigen Diwane, über dessen Rand zwei große gelbe Schuhe ragen, kräftige Schuhe mit gerieften Kreppsohlen drunter, die an dem Hacken zu fransen beginnen, Hans Hammachers Schuhe. Vom Licht abgekehrt steht ein Klubsessel da, drin sitzt Ellen Hammacher. Aber man kann von ihr nur das Buch sehen, das sie liest, ein paar weiße Manschetten ihres Kleides und ein wenig vom Schopf ihres glatten blonden Haares, das an dem Wirbel aufzustehen pflegt. Sonst? Ja natürlich, ein Bücherschrank ist da, ein ebenerdiger, mit Schiebetüren aus Glas. Es gibt ein paar nicht sehr kostbare Perser und vor allem ein riesengroßes Grammophon mit einem Plattenständer für zweihundert Platten. Eine Platte ist gerade abgeschnurrt. Die Musik hängt noch in den dämmrigen Ecken. Pause. Es ist vollkommen still.
Dann kommt Hammachers Hand zum Vorschein, sein breites gutes Jungensgesicht. Er zieht aus dem Plattenständer eine neue Platte, legt sie auf, setzt eine neue Nadel ein, dreht die Kurbel des Grammophons. Der Apparat zirpt leise „Oh, Mädchen, mein Mädchen“.
Hammacher steckt zwei Zigaretten an, reicht eine seiner Frau hinüber. Sie blasen zwei Rauchringe so, daß Ellens zierlicher Ring durch Hammachers Rauchrad hindurchschlüpft.
Sie lächeln sich an. Die Erzählung beginnt.
Die Erzählung beginnt. Es ist der zweite September 1928. Ein heißer Tag. Hammachers haben ihren gemütlichen Abend. Sie haben die Flurtüre abgeschlossen, die Kette vorgelegt, wie gegen Diebe, und das Telefon im Flur gestöpselt, damit Hedwig die Gespräche erledigen kann.
„Nein, die Herrschaften bedauern, nicht zu sprechen zu sein“, flötet sie zehn-, zwölfmal den Abend über in den Apparat.
Also: Hammachers haben ihren gemütlichen Abend. Ellen liest einen langweiligen englischen Roman, um ihre Sprachkenntnisse aufzufrischen. Hans Hammacher liegt auf dem Rücken, und wenn er nicht raucht und keine Praline ißt, so pfeift er die Melodien des Grammophons mit. Er pfeift pianissimo und zwitschert wie ein Kanarienroller. Könnte sein Geld als Kunstpfeifer machen. Er würde gern den ganzen Abend so pfeifen. Denn er hat den ganzen Tag gesprochen. Mit Lieferanten und Bestellern. Rauh und süß, je nach dem Partner.
Er kann aber Ellen nicht den ganzen Abend anschweigen, und so sagt er in einer Musikpause, das heißt, er spricht es mit seiner seltsam leisen und tonlosen Stimme schnell vor sich hin: „Breuel will doch bauen. Aber ein Blockhaus. ‚Nee, Breuel‘, habe ich ihm versetzt. ‚Wenn Sie ein Blockhaus haben wollen, so ein echtes, dann suchen Se sich einen Indianer und nich en Architekten. Ich versteh mich nicht auf Blockhäuser.‘“
„Breuel — ein Blockhaus? Er sagt, er käme doch nie ’raus. Weekend hätte er im vorigen Jahr fünfmal gemacht. Für fünfmal reichte es. ‚Reicht, Herr Generaldirektor,‘ habe ich geantwortet, reicht für fünfmal, reicht aber nicht für Hollandia-Margarinewerke. Kann er doch wirklich nich machen, oder ...?“
Ellen Hammacher dreht ihr Buch um und legt es auf die Knie. „Wenn er normal wäre, Hans, brauchte er doch nicht mal ein Blockhaus. Aber weil Breuel eben Breuel ist, hast du recht. Bau ihm man ein Wochenendpalast hin. Neusachlich, mit Fransen und Maschinen.“
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