1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 „Heinz — Du?“ rief sie erstaunt aus, als sie näber gekommen war und ihn erkannt hatte.
„Ja, ich habe Dich ganz notwendig zu sprechen.“
„Mein ältester Bruder nämlich, der Bildhauer, von dem ich Ihnen schon erzählt habe, Frau Baumann,“ sagte sie dann.
„Ah, freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Treten Sie nur näher! ... Wenn Sie noch etwas wünschen sollten, Fräulein, ich stehe selbstverständlich zu Diensten.“
Die Witwe des seligen Postsekretärs machte eine Verbeugung und liess ihn durch, ganz verblüfft darüber, eine derartig einnehmende Erscheinung vor sich zu haben.
Dann befanden sich Bruder und Schwester allein. Einige Minuten sagten sie nichts. Ihr Wiedersehen nach so langer Zeit machte im Augenblick alles vergessen, was zwischen und hinter ihnen lag. Sie umarmten und küssten sich stummbewegt. Und das wiederholte sich eine Weile, ehe sie zu Worte kamen. Hannchen war so gerührt, dass ihre Augen feucht wurden.
„Nein, hat dieser Tag aber Überraschungen!“ brachte sie dann, noch immer zitternd vor freudiger Erregung, hervor: „Kaum ist Robert weg, so kommst Du. Hübsch von Dir, dass Du doch noch einmal an Dein Schwesterchen gedacht hast. Und verändert hast Du Dich! Robert sagte es mir schon, aber das hätte ich doch nicht erwartet! Ordentlich stark geworden. Und wie elegant Du gehst ... wie ein richtiger vornehmer Künstler!“
Er achtete auf diese Anerkennung gar nicht, sondern fragte, während er unruhig im Zimmer umherschritt:
„Also der Kleine war hier? Hat er Dir ’was Besonderes gesagt?“
„Nur Gutes über Dich: Du wolltest ein Grabdenkmal für Vater machen, wenn Du erst so weit wärst. ... Wenn Du das könntest, Heinz, und dabei bewiesest, dass Du ’was gelernt hast, dann würde sich auch gewiss Grossvater mit Dir wieder aussöhnen!“
„Meinst Du?“
Statt der Antwort warf sie sich abermals an seine Brust und brachte schluchzend hervor: „O, Heinz, lieber Bruder — weshalb nur musste alles so kommen?“
„Ja, das habe ich mich heute auch gefragt, aber in anderer Beziehung ... Aber so weine doch nicht, meinetwegen nicht, ich bin es wahrhaftig nicht wert!“
„Doch bist Du es wert, Du bist nur furchtbar leichtsinnig gewesen, und das Geld hat Dich verführt.“
„Und Dich wohl nicht, Kleine?“ fiel er lächelnd ein. Er hatte ihren Kopf zwischen seine Hände genommen und küsste sie auf ihr Haar. Derselbe Duft strömte ihm entgegen, wie in jener Nacht, als er von der Jüngsten Abschied genommen hatte. Er sog ihn begierig ein, wie etwas Angenehmes, Berauschendes, das alte Erinnerungen erweckt. In diesem Augenblicke genoss er wahrhaft glückliche Minuten. Er riss sich los und ging aufs neue umher, Mitleid im Herzen für die Schwester, die noch nicht wusste, was ihrer wartete.
„Ich freue mich ja wirklich so sehr, dass ich Dich gerade jetzt noch einmal zu sehen bekommen habe,“ sagte sie wieder, indem sie ihre Augen trocknete: „Du wirst gewiss gehört haben, dass bald eine Änderung in meinem bisherigen Leben eintritt.“
„Ja, ich habe es gehört,“ erwiderte er kurz.
„Aber so leg doch den Mantel ab und thu nicht so, als wolltest Du bald wieder gehen,“ bat sie und zeigte sich dann behilflich. Während sie das Kleidungsstück an einen Haken der Thür hing, fuhr sie fort:
„Dass Du gerade heute gekommen bist, kann ich Dir gar nicht genug danken.“
„Du hast Dich wohl sehr einsam gefühlt, he?“ warf er ein, ohne seinen Rundgang einzustellen.
„Wie kommst Du denn darauf?“ Verwundert blickte sie ihn an.
„Nun, wie man so darauf kommt. Ich nehme es an, weil ich Dich allein getroffen habe. Wenn man so kurz vor der Hochzeit steht, sollte der Herr Bräutigam Rücksicht nehmen und mit seiner Braut eigentlich in der Familie sein.“
Es lag etwas in seiner Stimme, das sie verblüffte. „Wie meinst Du denn das wieder?“
„Nun, wie soll ich’s wieder meinen? ... So, wie ich spreche.“
„Es ist wahr, ich habe mich auch wirklich einsam gefühlt, aber ohne Veranlassung dazu zu haben.“
„So? Glückliches Geschöpf Du!“
„Das hört sich ja ganz ironisch von Dir an. Du gönnst mir wohl mein Glück nicht?“
„Weshalb sollte ich Dir Dein Glück nicht gönnen? Wäre ich sonst wohl hierher gekommen?“
Er vermied es, sie anzusehen, und ahnungslos, wie sie war, begann sie wieder, erfreut darüber, jemand zu haben, mit dem sie sich über das, was sie am meisten berührte, unterhalten konnte:
„Eberhard hatte nämlich heute eine dringende geschäftliche Abhaltung. Er schrieb es mir.“
„So?“
„Ja! Gerade als ich ihn erwartete, kam ein Rohrpostbrief ... Und was Du vorhin über den Familienverkehr sagtest, mein Gott — damit sieht’s ja trübe aus. Du weisst ja, wie die Sachen liegen. Nach Hause gehe ich nicht, vorläufig wenigstens nicht — und mit dem alten Treuling ist’s auch noch so wie früher. Eberhard meint zwar, das würde sich nach der Hochzeit alles sehr ändern ...“
„So? Das soll öfters vorkommen.“
„Eigentlich bin ich doch recht zu bedauern, nicht wahr?“ begann sie wieder lächelnd nach einer Weile.
„In gewisser Beziehung — ja.“
„Wenn Du nur einen Gefallen thun willst, Heinz, so setz Dich! Du hast immer noch die alte Augewohnheit wie früher, im Zimmer umherzulaufen und Bemerkungen zu machen, aus denen man nicht ganz klug wird.“
„Vielleicht habe ich diesmal alle Veranlassung dazu,“ sagte er trocken und blieb vor ihr stehen. „Ich kann Dir nur sagen, dass ich Dich wirklich aus tiefster Seele bedaure ... Du hättest Dich mit diesem Kerl gar nicht einlassen sollen!“
Sie schwieg, weil sie in dem Augenblick nicht richtig zu verstehen glaubte.
„Ja, wen meinst Du denn damit?“ brachte sie dann betroffen hervor.
„Deinen sogenannten Herrn Bräutigam — das sollte Dir doch einleuchten.“
„Heinz!“ Sie vermochte nur dies eine Wort hervorzustossen, in heftiger Erregung, die ihren Körper durchschüttelte.
Ruhig blickte er sie an. „Nun, was soll dieses ‚Heinz‘?“ Er zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder ab.
„Das fragst Du noch? Bist Du deswegen gekommen, um mir so etwas zu sagen?“
„Nur deswegen ... und noch viel mehr!“
„Dann hättest Du Dir diesen Gang hierher ersparen können. Niemals werde ich dulden, dass man hinter Eberhards Rücken Schlechtes spricht!“
Plötzlich schien sie nicht begreifen zu können, wie man ihre kindliche Freude über das Wiedersehen derartig vergelten könne. Sie wandte sich ab, hielt nur mühsam die neu heraufguellenden Thränen zurück und sagte leise:
„Ich glaubte schon, Du wärst anders geworden; aber nun sehe ich, dass Du immer noch schlecht bist. Pfui, schäme Dich! Einen Menschen zu beleidigen, den Du gar nicht kennst, der Dir nie etwas Übles zugefügt hat ... Weshalb bist Du denn eigentlich hierher gekommen?“
„Um Dir ganz etwas Neues zu sagen: Ich werde Deinem Bräutigam eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn er mir nicht binnen drei Tagen Genugthuung giebt!“
Die langverhaltene Wut stieg wieder in ihm auf und so gewaltig, dass sie allein ihn beherrschte. Die Thränen seiner Schwester rührten ihn nicht mehr, sie spornten ihn nur an, ihn noch zorniger zu machen, bevor er ihr alles enthüllte.
„Wenn Du so etwas sagst, möchte ich am liebsten wieder lachen,“ erwiderte sie, plötzlich gefasster geworden. „Du hast einen Hass gegen ihn, den ich mir schon früher nicht erklären konnte — ich habe ja natürlich von Deinem Besuch da draussen gehört.“
„Hab’ ich auch, weil ich derjenige war, der alles vorausgeahnt hatte! Denkst Du denn wirklich, dass er Dich heiraten wird?“
Ja, sag ’mal, Heinz — was sprichst Du eigentlich? Du bist überhaupt so aufgeregt ... Du hast gewiss ganz gehörig gekneipt. Robert sagte mir ja schon, dass Du mit diesem Hipfel noch sitzen geblieben wärst. Das ist der richtige Bruder, der jagt ja den ganzen Lotteriegewinn durch die Kehle!“
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