„Ja, zum Tenfel — ich sehe ihn ja noch nicht,“ brachte er ganz überrascht hervor. „Es sind noch keine fünf Minuten her, da sagte mir Anton, er sei hier herein gegangen.“
Eberhard gab ihm die nötige Aufklärung. Kaum war er zu Ende, so fiel sein Vater ein:
„Entschuldige, wenn wir Dich mit diesen peinlichen Dingen belästigen, aber es blieb uns kein andrer Ausweg. Wir hätten sonst selbst geben müssen, und da ich glaubte — —“
Bandel unterbrach ihn:
„Aber das wäre ja noch schöner gewesen! Ihr seid heute meine Gäste, meine liebsten Gäste, und er ist völlig Nebensache.... Ich kann Dir gar nicht sagen, was Du mir für einen Dienst erwiesen hast. Du hast mir eine Erleichterung geschaffen, eine wirkliche Erleichterung!“
Nach einer Pause rief er entrüstet aus: „Eine derartige Unverschämtheit ist mir noch nicht vorgekommen! Meine Gäste in meinem eigenen Hause zu beleidigen ... ganz zu vergessen, wo er sich befindet! Nun hat er sich natürlich gekränkt gefühlt und ist davon gelaufen. Ich werde ihm morgen einige Zeilen schreiben, und dann hat die ganze Sache ein Ende.“
Man hatte ihm die Einzelheiten des Streites verschwiegen, ihm vielmehr nur mitgeteilt, dass Heinz sich flegelhaft benommen habe. Er war auch gar nicht in der Verfassung, auf Einzelheiten einzugehen. Glücklich darüber, von einem ihm plötzlich lästig gewordenen Menschen befreit zu sein, brach er in ein lautes Lachen aus und sagte wiederholt:
„Er lief hier schon wirklich wie mein Sohn herum, wie mein eigner Sohn.“ Und nach einer Pause fügte er hinzu: „Nun werden auch endlich meiner Frau die Augen aufgegangen sein. ... Jetzt aber soll’s erst gemütlich werden!“
In seiner freudigen Erregtheit merkte er gar nicht, dass Eberhard sehr schweigsam geworden war und wiederholt nach der Uhr sah. Ganz verwundert blickte er auf, als er plötzlich zu hören bekam:
„Sie werden es mir nicht übel nehmen, werter Herr Bandel, wenn ich jetzt aufbreche. Haben Sie die Güte, mich den Damen bestens zu empfehlen.“
Bandel hatte dafür sofort eine Auslegung bereit, was unzweideutig aus seiner Antwort hervorging:
„Aber machen Sie doch keine Geschichten — Sie bleiben noch. Sie werden sich doch deswegen nicht die gute Laune trüben lassen — das fehlte gerade! Meine Frau und Hertha erwarten uns hinten. Oder warten Sie ’mal — ich werde sie hierher bitten lassen. Mir auch angenehmer. Dann befindet sich meine Frau sozusagen am Schauplatz der That. Und wenn sie dann von dem nichtswürdigen Benehmen dieses Menschen erfährt, so wirkt das überzeugender.“
Er wollte schon nach dem Diener klingeln, aber Eberhard fiel aufs neue ein:
„Seien Sie überzeugt, Herr Bandel, dass ich Ihre Liebenswürdigkeit zu schätzen weiss, aber vielleicht wird es auch den Damen nach Kenntnisnahme dieses peinlichen Vorganges erwünscht sein, allein zu bleiben.“
„Im Gegenteil — sie werden jetzt erst recht etwas Zerstreuung wünschen,“ hielt Bandel ihm mit Zähigkeit entgegen.
„Aber so bleibe doch, Du siehst ja, wie geringe Bedeutung man dem Verschwinden dieses Herrn beilegt!“ warf nun auch Treuling ein. „Es wäre unbescheiden von uns, jetzt noch lange in uns dringen zu lassen.“
„Recht so, Alter, rede ihm nur zu! ... Da kommen sie ja schon selbst!“
Es waren wirklich Mutter und Tochter, die nun ebenfalls sichtbar wurden.
„Unser Herr Künstler ist plötzlich unpässlich geworden und nach Hause gegangen!“ rief Bandel ihnen entgegen.
Beide bemerkten sofort, dass etwas Besonderes vorgegangen war, hielten es aber nicht für angebracht, näher darauf einzugehen, um so weniger, da Bandel so that, als wäre alles ohne Aufregung abgegangen. Im Innern waren sie ebenfalls über diesen Ausgang befriedigt.
Und da Hertha durch nichts verriet, dass sie Eberhard irgend etwas übel genommen habe, so hielt es dieser für unartig, die erneuerte Einladung, zu bleiben, abermals abzulehnen.
Eine Stunde etwa blieb man noch zusammen. Als man sich jedoch trennte, hatten alle die Überzeugung, dass die Stimmung zuletzt eine sehr drückende gewesen sei.
Als Heinz sich auf der Strasse befand, hatte er die Empfindung eines Menschen, dem etwas passiert ist, was er niemals überwinden werde. Ohne sich umzublicken, stürmte er mit derselben Eile weiter, mit der er das Haus verlassen hatte.
Einmal blieb er stehen und überlegte, ob es nicht besser wäre, wieder umzukehren, um sich mit der Faust Genugthuung zu verschaffen. Dann ging er weiter, erfüllt von Rachegedanken, die in seinem Gehirn brüteten gleich einem Gewitter, das der Entfesselung harrt. Die ohnmächtige Wut erdrückte ihn fast. Erniedrigt und beleidigt, wie er sich vorkam, dachte er an weiter nichts, als an eine befreiende That, die er heute noch vollführen müsse, um befriedigt sich schlafen legen zu können.
Sein Gesicht glühte. Das Herz hämmerte dumpf. Er kam sich wie losgelöst vor von allem, worauf er seine Hoffnungen gesetzt hatte. Er wusste: die Brücke zur Rückkehr in Bandels Haus war ihm abgebrochen worden für ewige Zeiten. Nun wollte er wenigstens beweisen, dass er die Macht habe, das Glück anderer zu zertrümmern, wie er es bereits einmal gethan hatte, als die schiefe Ebene seines Lebens zum erstenmal von ihm betreten wurde. Und nicht nur die Macht, sondern auch die natürlichen Anlagen dazu, die ihn fast willenlos zum Bösen trieben.
Während er dahinschritt, ohne auf die Menschen zu achten, kam er sich einsam und verlassen vor. Noch niemals, seitdem er von seinen Angehörigen fort war, hatte er einen gleichen Eindruck empfunden. Sehnsucht kam über ihn, tiefe Sehnsucht nach irgend etwas, was er bisher niemals kennen gelernt hatte, das seinem Gewissen Entlastung und seinem aufgeregten Gemüte Ruhe gegeben hätte. Etwas Besseres erwachte in ihm, von dem er nur dunkle Vorstellungen hatte, das einen merkwürdigen Gegensatz zu seinen schlimmen Eigenschaften bilden sollte.
Er sah nach der Uhr. Es war erst acht, also konnte er noch nach dort, wohin es ihn mit aller Macht drängte, und wo er die einzige Erlösung für heute zu finden hoffte. Was war auch natürlicher, als dass Hannchen plötzlich im Geiste vor ihm auftauchte, um deren ferneres Schicksal sich seiner Meinung nach die Erlebnisse der letzten Stunden allein gedreht hatten!
Er besann sich nicht lauge, stieg in eine Droschke und gab Strasse und Hausnummer an, die er von Robert erfahren hatte. Während der Fahrt wurde er ruhiger, siegesbewusster.
Was wird sie zu allem sagen? Gewiss wird sie aus allen Himmeln fallen, dachte er dann. Besser aber, sie erfährt es durch mich als durch ihn, so kann sie ihm zuvorkommen und zuerst mit ihm brechen. Eine unglückliche Heirat wäre das ja doch geworden — da hat der Alte ja nun ganz recht, wie Robert mir erzählt hat. ... Und morgen schicke ich diesem früheren Färbergesellen einen Brief, in dem ich ihm mitteile, dass Treuling vor dem Bankerott steht. Dann wird er seinen Daumen wohl auf den Beutel halten, denn die Freundschaft geht bei Dem auch nur bis zum Geldsack. Die Gesichter möchte ich dann einmal sehen! Ich glaube, die holen mich noch mit vier Pferden zurück! ... Und gleich danach gebe ich dem Schuft Freudenfeld einen Wink, damit er seinen Freund, den Börsenstipper, benachrichtigt. Die können nachher doch wie die Hyänen die letzten Krempen von den Strohhüten auffischen, denn mehr wird wohl von der ganzen Herrlichkeit da draussen nicht übrig bleiben.
Seine Stimmung änderte sich nun. Befriedigt darüber, so nahe vor der Vergeltung zu stehen, pfiff er leise vor sich hin.
Frau Baumann, Hannchens ehrsame Wirtin, machte grosse Augen, als sie zu später Stunde noch einen Herrn erblickte, der Fräulein Tetzlaff zu sprechen wünschte. Ehe sie noch eine Antwort geben konnte, war Hannchen bereits in der geöffneten Zimmerthür sichtbar geworden. Jedesmal wenn es klingelte war sie der Meinung, es könnte Eberhard sein. Klopfenden Herzens war sie herbeigesprungen.
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