Max Kretzer
Berliner Geschichten
Saga
Im Riesennest
German
© 1886 Max Kretzer
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711502655
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Die beiden Kleinen.
Es liegt in der menschlichen Seele eine versteckte Falte, in der der Same der Zwietracht verborgen schlummert. Die leiseste Befruchtung genügt, um ihn emporschiessen und üppig wuchern zu lassen. Wer da ganz ergründen könnte, aus welchen Kleinigkeiten des Lebens oft der bitterste Hass seinen Ausgang findet, der würde dann wissen, dass der Hass weiter nichts als verletzte Eigenliebe ist, die über die edelsten Regungen in unserer Brust triumphiert. Ferdinand Leineweber mied seinen Bruder Johannes Leineweber der bunten Toilette seiner Frau wegen. Das war so gekommen: Die Leinewebers hatten in Gesellschaft ihnen befreundeter Vorstadtfamilien eine Landpartie per Kremser nach dem reizend gelegenen Grünau unternommen. Die Damen waren gerade bei der sechsten Tasse Kaffee angelangt, als es Frau Susanne, der Gattin des Hutmachers Herrn Johannes Leineweber, einfiel, den neben ihr sitzenden Bürgerinnen höchst liebenswürdige Bemerkungen ins Ohr zu tuscheln: Du lieber Himmel, ihre Frau Schwägerin hätte es ja dazu! Wenn man erster Buchhalter der berühmten Firma Müller, Schulze und Kompanie sei und ein festes Einkommen von jährlich fünfzehnhundert Talern habe, dann könne man sich in dieser Beziehung bei einem einzigen Kinde schon etwas leisten, aber — — —. Dieses „Aber“ war insofern vielbedeutend genug, als sich daran ausserordentlich lebhafte Betrachtungen knüpften, die alle in dem Endsatze wurzelten: „Ich bleibe nun einmal dabei, meine Lieben, wem’s nicht sitzt und kleidet, der kann sich über und über mit Sammet und Seide behängen, er wird doch stets ‚nach nichts‘ aussehen.“
O, und diese Hüte der lieben Frau Schwägerin! Madame Susanne verstand sich ganz besonders darauf, nicht nur als Gattin eines viel in Anspruch genommenen Hutfabrikanten, der in der belebten Oranienstrasse ein offenes Geschäft betrieb, sondern auch als Putzmacherin von Fach, die sich rühmen durfte, die honorabelsten Damen der südöstlichen Luisenstadt zu ihren Kundinnen zu zählen.
„Nicht wahr, meine Lieben, wenn man schon einmal Hüte für zwanzig Mark trägt, dann sollte man doch auch das bunte Gemüse in der Garnitur nicht dulden. Ja, ja, aber ich bleibe dabei, wo’s nicht drin liegt, da kommt der Geschmack nie.“
O, tadelt die Kleidung eines Weibes, sagt, dass sie hässlich sei, und sie wird euch das nie vergeben können. Madame Juliens Ohr wurde unangenehm von diesen Bemerkungen berührt, und der Riss zwischen den beiden Schwägerinnen war fertig.
Die beiden Leineweber wohnten in einem Hause in zwei verschiedenen Etagen. Erst fand es der Buchhalter eines Mannes unwürdig, eine Weiberklatscherei ernst zu nehmen und sich in seinem bisherigen friedlichen Verkehr mit Herrn Johannes Leineweber stören zu lassen; schliesslich aber bildete er sich selbst ein, seine Frau sei wirklich beleidigt worden, und dies erfordere die nötige Sühne.
Wenn man sich jetzt zufälligerweise auf der Treppe begegnete, blickte man zur Seite und ging vorüber, als wäre man sich vollständig fremd und hätte keine Ahnung, wer eins oder das andere sei. Und diese zur Schau getragenen äusserlichen Anzeichen eines anscheinend tödlichen Hasses versuchte man beiderseits, auf die Dauer durch allerhand kleine schadenfrohe Neckereien, durch welche der eine Teil sich den Ärger des anderen versprach, ganz besonders zu würzen. Herr Ferdinand Leineweber gebrauchte plötzlich alle vier Wochen einen neuen Hut. Beim Einkauf desselben passte er die Gelegenheit ab, bis der behäbige Herr Johannes Leineweber in der geöffneten Ladentür stand und wie ein zufriedener Kleinbürger, behaglich seine Zigarre rauchend, das bunte Leben auf der endlosen Strasse beobachtete. Dann schritt der etwas hagere Herr Ferdinand gravitätisch über den Damm und verschwand im Laden eines Konkurrenten seines Bruders, um nach zehn Minuten, das Haupt bedeckt mit einem neuen Chapeau, in der Rechten den sauber kartonnierten alten haltend, wieder zurückzukehren. Das rechte Auge machte dann Anstrengung, nach der ersten Etage, das linke, nach einer gewissen Glastür zu schielen, die soeben klirrend ins Schloss gefallen war, nicht bevor noch ein überaus höhnisches Lachen sein Ohr berührt hätte. Herr Ferdinand wusste nicht umsonst, dass besagter Konkurrent seines Bruders in den Augen des letzteren zu den unausstehlichsten Menschen der ganzen Gegend gehörte. Trafen sich die beiden Brüder am Schluss des Quartals zufälligerweise beim Hauswirt im Parterregeschoss, um die Wohnungsmiete zu entrichten, so kehrte der zuletzt gekommene sofort um und verschwand mit den Worten: „Ich komme wieder, Herr Lehmann, ich habe nicht nötig, gewisser Leute wegen zu warten“; und erfuhr der eine, dass in der Wohnung des anderen von seiten des ausnahmsweise aufmerksamen Wirtes irgendeine Veränderung oder Verbesserung vorgenommen wurde, so hatte Herr Lehmann sich auch sofort des Besuches des anderen zu erfreuen, der ihm ungefähr folgendes sagte: „Die Tapete meines Wohnzimmers ist wirklich schon überaus schadhaft. Sie wissen, ich wollte schon längst ziehen. Ich habe es nicht nötig zu sehen, wie man gewissen Leuten immer mehr entgegenkommt als mir.“
Diese indirekten Plänkeleien wurden in gleichem Masse von den beiden Frauen vollführt; suchte jetzt die Frau des Hutmachers ihre ganze Würde darin zu finden, besonders an den Markttagen, gefolgt von ihrem Mädchen, so einfach wie nur möglich gekleidet zu erscheinen, so fand die Frau Buchhalter ein besonderes Vergnügen darin, in ihrer schwersten Robe bei ihren Einkäufen die Marktweiber zu beglücken.
Eines Tages las Herr Ferdinand Leineweber in der „Vossischen Zeitung“ folgendes sehr auffallend gedrucktes Inserat: „Ich suche für meine Hutfabrik einen tüchtigen, soliden Buchhalter. Gehalt per anno fünfzehnhundert Taler. Allmonatlich einen neuen Hut, Fasson nach Belieben, gratis. Nur ledige Leute, oder wenn verheiratet, nur solche, die nicht unter dem Pantoffel stehen, werden berücksichtigt. Gefällige Adressen postlagernd Postamt Oranienstrasse.“
Es war im Juni und ganz besonders heiss an diesem Tage. Der erste Buchhalter der Firma Müller, Schulze und Kompanie war vor wenigen Minuten erst schweisstriefend aus dem Kontor angelangt und hatte es sich einstweilen auf dem Sofa bequem gemacht, während seine liebe Frau, Madame Julie, damit beschäftigt war, das Mittagessen aufzutragen. Herr Ferdinand brauchte das Inserat nicht erst zum zweiten und dritten Male zu lesen, um zu wissen, dass es nur auf ihn gemünzt sei und von seinem liebenswürdigen Bruder unten im Laden ausginge. Der Buchhalter brach zuvörderst in ein schallendes Gelächter aus, so dass Frau Julie vor Schreck den Suppenlöffel klirrend auf einen Teller fallen liess. Aber ihr Mann lachte unbändig weiter. Dieser Filzkrämer da unten, dessen ganze Geschäftsbücher in einer einzigen Schmierkladde bestanden, masste sich an, einen Buchhalter gebrauchen zu können. Was der für eine Ahnung von einem wirklichen Kaufmann hatte!
Dass man sich auch gerade an einem Tage, wo man sein Leibgericht vor Augen hatte, den Appetit verderben musste! Das kam aber davon, wenn die gegenseitige Übereinstimmung der Familiengewohnheiten sich bis auf das Lesen derselben Zeitung erstreckte. Madame Julie befand sich wieder in der Küche.
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