Max Kretzer - Was ist Ruhm?

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Gemeinsam stehen – gemeinsam fallen: diese ungewöhnliche Freundschaft verbindet die beiden Bildhauer Lorensen und Kempen. Und sie teilen wirklich alles: das Atelier, die Aufträge, die Einnahmen. Während Lorensens offene Art kaufkräftige Kunden gewinnt, sind es doch Kempens weitaus genialischeren Entwürfe, die das Geld bringen. Das Atelier wird zum Anlaufpunkt für ihre vielen erfolglosen Künstlerfreunde. Und das junge Mädchen Klara gehört auch dazu – seit dem Umzug ins neue Atelier schaut sie ständig neugierig vorbei. Nach und nach entsteht ein besonderes Verhältnis zu ihr. Aus dem Kinderkörper entwickelt sich eine anmutige Gestalt, die, mit Erlaubnis der Mutter, auch Modell steht. Und wenn auch «…Modell Sache ist», zu Klara haben beide ein liebevolles Verhältnis. Es ist der lebenslustige Lorensen, der andere Wege zum Erfolg sucht. Nach und nach gelingt es ihm, die Kontakte zur gehobenen Gesellschaft für mehr als nur für Aufträge zu nutzen, ohne Kempen zu verraten. Trotz seiner Eifersucht erwähnt er überall Kempens expressive Begabung. Alles könnte gut werden: Lorensen wird sich reich einheiraten und Kempen wird immer bekannter. Doch ausgerechnet die unschuldige Klara wird die Freundschaft beider für immer zerstören.Max Kretzer (1854–1941) war ein deutscher Schriftsteller. Kretzer wurde am 7. Juni 1854 in Posen als der zweite Sohn eines Hotelpächters geboren und besuchte bis zu seinem 13. Lebensjahr die dortige Realschule. Doch nachdem der Vater beim Versuch, sich als Gastwirt selbstständig zu machen, sein ganzes Vermögen verloren hatte, musste Kretzer die Realschule abbrechen. 1867 zog die Familie nach Berlin, wo Kretzer in einer Lampenfabrik sowie als Porzellan- und Schildermaler arbeitete. 1878 trat er der SPD bei. Nach einem Arbeitsunfall 1879 begann er mit der intensiven Lektüre von Autoren wie Zola, Dickens und Freytag, die ihn stark beeinflussten. Seit dem Erscheinen seines ersten Romans «Die beiden Genossen» 1880 lebte Kretzer als freier Schriftsteller in Berlin. Max Kretzer gilt als einer der frühesten Vertreter des deutschen Naturalismus; er ist der erste naturalistische Romancier deutscher Sprache und sein Einfluss auf den jungen Gerhart Hauptmann ist unverkennbar. Kretzer führte als einer der ersten deutschen Autoren Themen wie Fabrikarbeit, Verelendung des Kleinbürgers als Folge der Industrialisierung und den Kampf der Arbeiterbewegung in die deutsche Literatur ein; die bedeutenderen Romane der 1880er und 1890er Jahre erschlossen Schritt für Schritt zahlreiche bislang weitgehend ignorierte Bereiche der modernen gesellschaftlichen Wirklichkeit für die Prosaliteratur: das Milieu der Großstadtprostitution (Die Betrogenen, 1882), die Lebensverhältnisse des Industrieproletariats (Die Verkommenen, 1883; Das Gesicht Christi, 1896), die Salons der Berliner «besseren Gesellschaft» (Drei Weiber, 1886). Sein bekanntester Roman, «Meister Timpe» (1888) ist dem verzweifelten Kampf des Kleinhandwerks gegen die kapitalistische Konkurrenz seitens der Fabriken gewidmet. Während Kretzer anfangs der deutschen Sozialdemokratie nahestand, sind seine Werke nach der Jahrhundertwende zunehmend vom Gedanken eines «christlichen Sozialismus» geprägt und tragen in späteren Jahren immer mehr den Charakter reiner Unterhaltungsliteratur und Kolportage. Er starb am 15. Juli 1941 in Berlin-Charlottenburg.-

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Max Kretzer

Was ist Ruhm?

Ausgewählte Werke

Mit einem Vorwort von Thomas Schäfer

Roman

Saga

Was ist Ruhm?

Copyright © 1905, 2017 Max Kretzer und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

All rights reserved

ISBN: 9788711502815

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.comund Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk– a part of Egmont www.egmont.com

I.

An einem Abend des Jahres 1890 erregte ein sonderbares Fuhrwerk die Aufmerksamkeit der Passanten im verkehrsreichen Westen von Berlin. Ein Handwagen mit Bretterwänden, der vollgepfropft mit allerlei Gerümpel war, aus dem ein Modellierbock seine drei Beine in die Luft streckte, um das Herabrutschen der Gipsbüste einer Venus zu verhindern, wurde von einem schmächtigen, jungen Mann, Mitte der Zwanzig, gezogen, der als Laterne eine Papierdüte trug, in die man ein Licht gesteckt hatte. Hinten schritt der ältere Genosse, der, in der Linken eine kleine Petroleumlampe haltend, mit der Rechten kräftig nachhalf, sobald der Deichsellenker schwach zu werden drohte.

Der grosse Oktoberumzug war im Gange, und so mussten sie sich wiederholt an riesigen Möbelwagen vorbeiwinden, aus denen noch kurz vor Toresschluss die letzten schweren Stücke in die Häuser getragen wurden. Namentlich in der Potsdamer Strasse, wo das Leben allgewaltig brandete und die Pferdebahn alle Augenblicke ihre Warnungsklingel ertönen liess, war das Leiten des Gefährtes mit einer gewissen Gefahr verbunden, die durch das ungewohnte Amt des Führers noch erhöht wurde. Wenn sie sich dann glücklich wieder seitwärts an der Bordschwelle des Bürgersteiges befanden und einige Augenblicke anhielten, um Luft zu schöpfen, kamen sie sich mit ihren Habseligkeiten wie verkrümelt vor beim Anblick der glänzenden Möbel, die noch umherstanden, bevor kräftige Arme sie verschwinden liessen. Sobald dann die Träger die bleiche Venus erblickten, die, aufgepflanzt und von Stricken gehalten, mit ihren leeren Augen das Licht der Laternen auffing und das einzig Wertvolle bei diesem Wohnungswechsel zu sein schien, fielen derbe Witzworte, die auch die Heiterkeit der Vorübergehenden erweckten. Die Damen musterten die Gruppe und vergnügten sich lächelnd daran, was Lorensen, dessen noch milchbärtiges Gesicht von dem Lichtstumpf rötlich beleuchtet wurde, Veranlassung gab, seine breiten, gesunden Zähne zu zeigen und ihnen vertraulich zuzunicken, als gehörte er eigentlich in ihre Gesellschaft und hätte sich heute nur einen Jux gemacht, den Ziehhund zu ersetzen. Trotzdem er sich auf den ersten Blick als der Zartere von beiden erwies, war er doch der Keckere, sozusagen der Himmelstürmende, der den Lorbeer bereits in der Tasche hatte und die bewundernde Welt zu seinen Füssen sah. Gleich einem Rastelbinder trug er die Krempe des weichen Filzhutes weit heruntergestreift, weil er das Bedürfnis gefühlt hatte, sich hier, wo die Atelierzigeuner zu Hause waren, ein wenig unkenntlich zu machen.

Kempen war straffer und untersetzter, mit seiner Ruhe im schon vollbärtigen Gesicht mehr der Gegensatz zu der Lustigkeit des andern, der um Worte nie in Verlegenheit geriet und gern schwatzte, wo es eigentlich gar nicht notwendig war. So wurde Lorensen auch jetzt wieder lebhaft, als sie in die Steglitzer Strasse einbiegen wollten, wo ihr Dach ihnen winkte; er blieb aufs neue stehen, so dass der Wagen einen Ruck bekam, und wischte sich unter dem gelüfteten Hut den Schweiss von der Stirn, wobei eine Fülle hellblonden Haares sichtbar wurde; denn nicht nur die Anstrengung hatte ihn warm gemacht, sondern auch der milde Abend, der noch nichts von der Kühle des Herbstes verriet. Während des ganzen Tages war Berlin von der Sonne des Spätsommers durchzogen gewesen, deren Abglanz noch immer von den Mauern der riesigen Steinkasten ausgeschwitzt wurde, so dass der Dunst zwischen den Häusern lag. Lichtnebel wogte in der Ferne, der wie ein Niederschlag der ewig rastlosen, dampfenden Stadt sich mit den Menschen fortbewegte, gleichsam wie von ihnen mitgeschleppt.

„So treck doch man weiter“, sagte Kempen unwillig. Solange sie unterwegs waren, hatte er in seiner Verschlossenheit immer dasselbe geknurrt, weil ihm die Glocke der alten Lampe Sorge machte. Sein grauer Hut sass ihm wie ein Fez auf dem Kopfe und passte nicht recht zu dem kurzen, schwarzen Rock, der ihm etwas Schulmeisterliches gab.

„Ja, das sagst du so, Hermann,“ fiel der andre mit seiner holsteinischen Gemütlichkeit ein und setzte ihm auseinander, dass seine rechte Schulter durch den Strick bereits weich wie Ton geworden sei. Ganz unten auf dem Wagen lag eisernes Rüstzeug, dessen Schwere sich besonders fühlbar gemacht hatte. Plötzlich fing Lorensen an zu blasen, denn die Papierdüte ging in Flammen auf und erregte das Wohlgefallen einiger Jungen, von denen der eine lustig „Gross-Feuer“ rief. Ärgerlich, mit verbrannten Fingern, liess er den Lichtstumpf zur Erde fallen und trat die Flamme aus.

„Das hast du wieder mal gut gemacht! Guck doch nicht so viel nach den Mädels,“ brummte Kempen aufs neue und richtete die Venus wieder in die Höhe, die sich allmählich auf die Nase gelegt hatte. Hinten fielen Blechgefässe heraus, die mit einem Halloh von der hilfreichen Jugend aufgehoben wurden. Schon wollte man ohne Laterne weiterfahren, als sich drohend ein Schutzmann nahte, mit jenem berühmten Griff nach dem Taschenbuch, der den Schrecken aller Kutscher bildet. Kempen setzte ihm ihr Pech auseinander und holte zugleich zehn Pfennig aus seinem Portemonnaie hervor, die er Lorensen zu einem neuen Licht gab, denn dieser verfügte niemals über Geld, weil er leichtsinnig veranlagt war und daher dem stets nüchternen und sparsamen Hamburger die gemeinsame Kasse überlassen musste. Hurtig hatte sich Lorensen den Strick von der Schulter gestreift und suchte mit den Augen nach einem geeigneten Laden, innerlich erbost über die Knickrigkeit des Freundes, denn gern würde er gesehen haben, dass er ein grösseres Geldstück empfangen hätte, um rasch seinen Durst durch ein Glas Bier zu löschen, wie er es bei ähnlichen Gelegenheiten zu tun pflegte.

Ein halbwüchsiges Mädchen aus der Schar der Neugierigen erbot sich, ihm gefällig zu sein. Flugs legte sie ihr Paket auf den Wagen und eilte fort, um schon nach wenigen Minuten wieder zur Stelle zu sein. Aufgeweckt wie ein frühkluges Berliner Volkskind, hatte sie sich sofort eine durchsichtige Düte geben lassen und überreichte Lorensen die neue Laterne fix und fertig, die er nun vergnügt in Brand setzte, wobei er das hübsche, frische Gesicht der Kleinen mit den Augen des Künstlers betrachtete.

„Du bist ja mal ’n nettes Ding,“ knurrte Kempen mit seiner höchsten Liebenswürdigkeit und musterte sie ebenfalls, aber mit reinerem Blick als der andere, der in jedem hübschen Gesicht nur das Modell sah und alles, was dazu gehörte. „Wie heisst du denn?“ fügte er mit harmloser Neugierde hinzu und opferte ein zweites Streichhölzchen, um den Tabaksrest in seiner kurzen Holzpfeife zu entzünden.

„Klara Munk,“ erwiderte sie und machte einen leichten Knicks, was sich wie einstudiert ausnahm. Und als sie mit geschärftem Blick sofort erfasst hatte, dass sie hier keine gewöhnlichen Arbeiter vor sich habe, sondern bessere Leute, die auf alle Fälle Bildung besassen, liess sie lächelnd die Frage los, ob sie dem „Herrn“ vielleicht die Lampe abnehmen und ein Stück Weges tragen dürfe. Sie würde es gern tun und hätte Zeit, wenn es nicht gar zu weit wäre. Etwas wie Bedauern sprach aus ihren Zügen darüber, dass diese beiden Männer noch spät am Abend sich so quälen müssten.

„Lass sie, Hermann, sie bringt uns Glück,“ sagte Lorensen lachend und spannte sich wieder an die Deichsel. „Man jut, dass uns keen altes Weib über’n Wej jeloofen is.“ Manchmal suchte er etwas darin, die Sprechweise des niederen Berliners anzuwenden, was sich in seinem singenden Tonfall sehr merkwürdig anhörte.

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