Max Kretzer
Irrlichter und Gespenster
Volksroman
Bilderschmuck von Richard Lotter und Hans W. Schmidt
Dritter Band
Saga
Irrlichter und Gespenster
© 1892 Max Kretzer
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711502693
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Störung, Missverständnis und Wirrung.
Heinz befand sich im Gesellschaftsanzuge. Entgegen der Verabredung, am Abend mit Freudenfeld zusammenzutreffen, hatte er seinen Plan geändert. Er hatte sich über den Bankier geärgert und war, nachdem er sich von Hipfel getrennt hatte, auf den Gedanken gekommen, den Abend hier zu verbringen. So war er denn nach seiner Wohnung gefahren, hatte sich schleunigst ungezogen und war hier herausgeeilt. Als Hausfreund, der stets willkommen war, durfte er es sich gestatten, selbst zur ungelegenen Stunde zu erscheinen. Anton, in der Meinung, die Familie und Gäste seien nach wie vor in diesem Zimmer beisammen, hatte ihn auf die Thür gewiesen, durch welche er hereingetreten war.
Was Heinz besonders bewogen hatte, Bandels auch heute seinen Besuch zu machen, war die Ahnung kommender grosser Ereignisse, die sich hier hinter seinem Rücken abspielen könnten, hauptsächlich aber der bereits gehegte Verdacht, Eberhard könnte wirklich ein falsches Spiel treiben und die alten Beziehungen zu der Familie seines Gönners aufnehmen. Hinzu kam, dass ihn nicht zuletzt die Absicht drängte, bei Gelegenheit etwas über das, was er am Nachmittage über die geschäftlichen Verhältnisse der Firma Treuling erfahren hatte, fallen zu lassen. Stets darauf bedacht, Vorteil für seine liebe Person herauszuschlagen, witterte er, dass ihm das nur von Nutzen sein werde.
Schliesslich hatte er sich auch vorgenommen, Bandel um Rat darüber zu fragen, was er thun solle, um Hannchen vor dem Verluste ihres Geldes zu bewahren. Über diese Neuigkeit würde man jedenfalls am meisten in Staunen geraten und ihm infolgedessen das grösste Bedauern entgegenbringen. Alles natürlich zum Nachteile der von ihm gehassten Treulings!
Sein unverhofftes Erscheinen brachte Hertha zur Besinnung. Fast unbewusst stiess sie einen leichten Schrei aus, zog die Hände zurück und erhob sich.
Treuling, der einen ihm völlig fremden Herrn erblickte, that dasselbe. Er wusste nicht, ob er sich über den Störenfried ärgern oder freuen sollte. Von der Seite mass er ihn mit einem Blick, der nicht viel Gutes enthielt.
Heinz, der Treuling ebenfalls nicht kannte, das unbestimmte Gefühl aber hatte, einen gefährlichen Nebenbuhler vor sich zu haben, verbeugte sich und sagte höflich, aber mit unverkennbarem Spotte:
„Bitte um Entschuldigung, wenn ich gestört haben sollte ... aber ich hoffte, Ihre Eltern hier zu finden,“ fügte er, zu Hertha gewendet, hinzu. „Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen, Fräulein Hertha?“
Ganz vertraulich streckte er ihr die Hand entgegen mit der Absicht, dem anderen verstehen zu geben, was er sich hier erlauben dürfe.
Hertha, hochrot im Gesicht, beachtete diese Form der Begrüssung gar nicht; in diesem Augenblicke fand sie dieselbe mehr unverschämt als keck, trotzdem sie die Empfindung hatte, aus einer qualvollen Lage befreit worden zu sein.
Sie zitterte am ganzen Körper und hatte die dunkle Ahnung von einer ihr angethanen Schmach, gegen welche sie wehrlos wie ein Kind sei; sie nahm aber alle ihre Kraft zusammen, um sich zu beherrschen.
„Wenn Sie erlauben, ziehe ich mich sogleich wieder zurück,“ sagte Heinz wieder, von Ingrimm erfüllt über ihre Zurückhaltung.
„Bitte, bleiben Sie nur, Sie haben durchaus nicht gestört,“ presste sie mühsam hervor. „Darf ich Sie bekannt machen? Herr Tetzlaff — Herr Treuling.“
Heinz zuckte zusammen und verneigte sich leicht. Dann aber wollte er sich beliebt machen und zu gleicher Zeit den Herausforderer spielen. Er streckte Eberhard die Hand entgegen und sagte mit etwas unbeholfener Verbindlichkeit:
„Ah, freut mich ungemein. So habe ich doch endlich ’mal das Vergnügen, meinen zukünftigen Herrn Schwager kennen zu lernen ... Hannchen hat mir bereits viel von Ihnen erzählt.“
Nur mit Mühe bezwang er sich; am liebsten hätte er eine ganz andere Sprache führen mögen.
Er log; Eberhard, der das wusste, fiel sofort ein:
„Ich bedaure, Ihnen gestehen zu müssen, dass ich über Ihre Beziehungen zu Ihrem Fräulein Schwester etwas anders unterrichtet bin.“
Er beachtete die ihm dargereichte Hand ebenfalls nicht, hatte auch keinen Grund, sich über diese Begegnung besonders zu freuen. Unwillkürlich wandte er sich nach Hertha um. Völlig fassungslos stand diese gegen den Tisch gelehnt. Die flammende Röte in ihrem Gesichte war einer Blässe gewichen; stürmischer als zuvor klopfte ihr Herz, und es war ihr, als stürzte sie aus einer Tiefe in die andere. Noch immer vermochte sie den ganzen Vorgang nicht zu begreifen. Hatte sie sich doch getäuscht, Eberhard missverstanden? Sollte der kalte Ton, den er jetzt anschlug, der Beweis dafür sein, dass er mit der Familie Tetzlaff vollständig gebrochen habe? Vielleicht wollte er vorhin nur seine Grossmut zeigen, ihr beweisen, dass er unter dem Zwange der Verhältnisse sein bisheriges Verhältnis zu der anderen aufgebe, diese aber trotzdem noch für würdig halte, von ihr, Hertha, beachtet zu werden. ...
Ihre Neigung zu ihm war so gross, dass sie sich mit der Einfalt eines verliebten Mädchens nur zu gern jeder Möglichkeit hingab, die zu ihren Gunsten gesprochen hätte.
Heinz that so, als fühlte er sich durchaus nicht getroffen. „Wie soll ich das verstehen?“ fragte er lächelnd.
„Ich überlasse es Ihnen, den Sinn meiner Worte ganz nach Belieben zu deuten,“ erwiderte Treuling ruhig. „Ich meinerseits glaube nicht die Verpflichtung zu haben, mich in eine längere Erörterung darüber einzulassen.“
Dann wandte er sich kurz an Hertha:
„Darf ich um Ihren Arm bitten, gnädiges Fräulein? Ich bin überzeugt, dass man uns bereits erwartet.“
Hertha nickte nur; sie wusste kaum, was sie that. Und so legte sie denn ihren Arm in den seinigen und liess sich von ihm hinausführen.
Langsam schlenderte Heinz hinterher, mit der verbissenen Wut eines Menschen, der sich beiseite gesetzt fühlt und vergeblich nach Worten sucht, um seinem Groll Luft machen zu können.
Im Ecksalon war niemand, aber im Rauchzimmer standen Treuling der Ältere, Bandel und dessen Frau zusammen und unterhielten sich laut. Zufällig drehten sie alle drei Eberhard und Hertha die Rücken zu, so dass diese von ihnen nicht bemerkt wurden.
„Dass der auch heute gerade kommen muss!“ brachte Hertha atemlos hervor, eigentlich nur, um etwas zu sagen. „Haben Sie irgend etwas mit ihm vorgehabt?“ setzte sie dann hinzu.
„Persönlich nie etwas. Ich habe ihn heute zum erstenmale gesehen, Sie müssen das ja gemerkt haben.“
„Ich habe es ganz überhört ... Entschuldigen Sie nur — ich war im Augenblick so zerstreut.“
„Dann möchte ich Ihnen vorschlagen, in diesem aufgeregten Zustande sich lieber nicht Ihren Eltern zu zeigen. Bleiben wir noch ein wenig zurück, man scheint uns noch nicht gesehen zu haben,“ erwiderte er leise.
„Sie haben recht.“
Sie liess sich auf einem Sessel nahe dem Fenster nieder, und er lehnte sich hinter ihr gegen die Wand. Beide sprachen kein Wort; er hatte keine Lust dazu, und sie wartete auf irgend etwas, was er sagen würde und was eine Folge seiner Erörterung von vorhin sein könnte. Er sah aber, wie sie tief Atem holte und wie sie noch immer ganz ausser Fassung war.
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