„Wenn Sie glauben, mich damit zu treffen, so irren Sie sich, alter Herr,“ wandte sich jetzt Heinz dem Fabrikbesitzer zu. „Ich habe mich längst für eine derartige Verwandtschaft bedankt.“
Er mass den Alten mit einem langen Blick von unten bis oben und fuhr fort: „Sie scheinen vieles mit jenen Leuten gemein zu haben, denen es mehr auf das Geld ankommt, als auf die Person. Als es sich darum handelte, uns fünfzigtausend Mark abzunehmen, war Ihnen die Verwandtschaft wohl gut, he? Und jetzt, da das Geld so gut wie flöten ist, möchten Sie sich von der Verwandtschaft drücken. Aber Sie werden mir morgen Rechenschaft abzulegen haben — verstehen Sie?!“
Er wollte noch etwas hinzufügen, aber ein kurzes, heiseres Lachen des Fabrikbesitzers, das wie ein schriller Aufschrei klang, liess ihn nicht dazu kommen:
„Da hast Du’s, da hast Du’s!“ rief dieser laut aus, ganz vergessend, wo er sich befand. „So etwas muss ich mir nun ins Gesicht sagen lassen, und Du warst es, der mir das Geld ins Hans gebracht hat. Förmlich aufgedrängt hat man es uns! Gehen Dir jetzt noch nicht die Augen auf?“
Ganz verstört im Gesicht, lief er im Zimmer umher. In diesem Augenblick fühlte er sich tödlich verletzt, empfand er doppelt die Schmach, die mit einer Verbindung der Familie Tetzlaff drohte. Ganz ausser sich vor Aufregung warf er sich dann in einen Sessel, holte tief und lang Atem, erhob sich wieder und blieb unentschlossen stehen.
Er wusste nicht, was er thun sollte. Jeden Augenblick konnte Bandel wieder auftauchen, und dann musste er gewärtig sein, noch weit schlimmere Dinge von diesem zudringlichen Menschen zu hören zu bekommen.
Eberhard merkte, was in ihm vorging. Dieselbe tiefe Entrüstung hatte ihn gepackt, die aufrichtig war, weil er nicht ahnte, was für eine Anklage sich unter Heinzens Worten verberge. Plötzlich hielt er es an der Zeit, dem unerquicklichen Auftritt ein Ende zu machen.
„Es thut mir leid, Papa, Dich so aufgeregt zu sehen. Aber Du hättest wirklich gar keine Ursache dazu gehabt. Dieser Herr hat gar nicht das Recht, seine Familie zu vertreten, die eine durchaus achtbare ist. Er gehört ebensowenig noch in sie hinein, wie er in die anständige Gesellschaft überhaupt hineingehört. Und deshalb wird er die Freundlichkeit haben, auf der Stelle dieses Haus zu verlassen, bevor ich sofort Herrn Bandel nebst Frau und Tochter hierher bitte, um ihnen die Geschichte von einem entarteten Sohn zu erzählen, der seinen Vater auf dem Totenbette bestahl, seine Brüder und Schwestern betrog und bei Nacht und Nebel wie ein richtiger Dieb ausrückte, um das gestohlene Gut so schnell als möglich an den Mann zu bringen! ... Seltsame Widersprüche im Leben: ein Mensch, der den Idealen nachstrebt, baut seine ganze Zukunft auf einer niederträchtigen That auf! Und das schlimmste ist, er täuscht alle Welt: er hat immer ein gewinnendes Lächeln auf seinen Lippen, wo er schamvoll in eine Ecke kriechen sollte. Er schleicht sich in anständige Familien ein, nistet sich in den Herzen edeldenkender Menschen fest, beutet ihre Schwächen aus und benimmt sich zum Dank dafür wie ein Strassenkehrer. ... Haben Sie mich nun verstanden? Oder soll ich noch deutlicher sein?“
Heinz hatte alle Farbe verloren. Ihm war zu Mute, als risse man ihm stückweise die Kleider vom Leibe, um ihn dem öffentlichen Hohne preiszugeben. Er fand zuerst gar nicht die Kraft, irgend etwas zu erwidern, starrte vielmehr mit dem Ausdrucke eines Verrückten, der die Sprache verloren hat, halb geöffneten Mundes auf Eberhard. Auf alles das war er nicht vorbereitet gewesen. Und er fand auch nicht den Mut, sich vom Fleck zu rühren, um sich Eberhard gegenüber zu einer Thätlichkeit hinreissen zu lassen, wie er es diesem erst vor wenigen Minuten angedroht hatte.
„Wer hat Ihnen denn das alles aufgebunden?“ presste er endlich, heiser vor erstickter Wut, hervor. .. „Wohl meine Schwester, hä?“ fügte er dann nach einer Pause hinzu.
„Da Sie es wissen, brauche ich es Ihnen ja nicht erst zu sagen ... Wollen Sie nicht die Güte haben, uns schleunigst zu verlassen — im anderen Falle würde ich mich genötigt sehen, Herrn Bandel herzubitten!“
„Ich glaube im Interesse dieses Hauses zu handeln, wenn ich die Aufforderung meines Sohnes unterstütze,“ fiel Treuling ein, dem nichts willkommener erschien als die Entfernung Heinzens, bevor Bandel käme.
„Was Sie betrifft, ehrenwerter Herr, so habe ich Ihre Schliche bereits durchschaut!“ schrie Heinz ihn wie besinnungslos an. „Sie haben eine Viertelmillion an der Börse verloren, stehen vor der Pleite und wollen diese Heirat hier nun einfädeln, um sich mit der Mitgift aus der Patsche zu helfen. Ja, blicken Sie mich nur so gross an, ich habe ebenfalls meine Beziehungen zur Börse. Aber man wird Ihnen einen Strich durch die Rechnung machen!“
„Unverschämter!“ brachte Treuling der Ältere zitternd vor Erregung hervor. Das Angstgefühl trieb ihn an die geöffnete Thür, um abermals einen Blick in die Nebenzimmer zu werfen. Dazu gesellte sich die Ohnmacht eines Menschen, der einen fürchterlichen Schlag empfangen hat, ohne sich dagegen wehren zu können. Weil er im Augenblicke nichts Besseres zu thun wusste, so drückte er auf den Knopf der Klingel.
Anton erschien.
„Dieser Herr wünscht seine Garderobe zu haben,“ sagte er, indem er sich den Anschein gab, als handelte er mit Ruhe und Überlegung.
„Was wollen Sie?“ schrie ihn Heinz abermals an.
„So geben Sie dem Herrn die Garderobe lieber draussen, wenn er es durchaus wünscht,“ wandte sich Treuling der Ältere aufs nene dem Eingetretenen zu.
Anton blickte beide einige Augenblicke an, als hätte er zwei Menschen vor sich, die ihren Verstand verloren haben. Dann aber begriff er und erwiderte unterthänig: „Wie die Herren befehlen.“
Im Bewusstsein seiner steten Pflichterfüllung öffnete er die Thür zum Korridor, um Heinz zuerst hinauszulassen.
„Es hat keine Eile, Anton,“ fiel Heinz mit der herablassenden Handbewegung eines hohen Offiziers ein, der die Ehrenbezeugung einer Schildwache abwinkt.
„Wie Sie befehlen,“ sagte der Diener arglos und zog sich zurück. Schliesslich habe ich doch nur einem Herrn zu dienen, und nicht dreien, dachte er.
Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Eberhard ausrief: „Ah, da kommt ja Herr Bandel! ...“
Er sah ihn nicht, aber er griff zu diesem Mittel, um Heinz aufs neue einzuschüchtern. Dieser machte eine Bewegung, als wollte er sich auf einen von beiden stürzen. Dann mass er sie zu gleicher Zeit mit Blicken von oben bis unten und sagte im Tone der Verachtung: „Rette Gesellschaft — Vater und Sohn!“ — lachte kurz auf und ging hinaus.
Eine Minute lang herrschte Stille im Zimmer. Man hörte ihn draussen ein paar Worte mit Anton wechseln, vernahm seine gedämpften Schritte und dann das Schliessen einer Thür.
Treuling der Ältere atmete auf, wie von einer Last befreit. Aber er wollte die volle Überzeugung haben. Er öffnete die Thür und steckte den Kopf in den Vorraum. Anton, der an einem kleinen Tische sass, gewärtig jeden neuen Befehls, erhob sich sofort und sagte, um sich entgegenkommend zu zeigen:
„Wenn Sie nach Herrn Tetzlaff suchen — er ist bereits fort. Er war sehr erregt und hatte grosse Eile.“
Mit unverschämter Liebenswürdigkeit lächelte er und blickte den Gast mit einem Ausdruck an, als wollte er sagen: O, ich weiss, was hier vorgeht. Halte mich nur nicht für dumm! Erinnere Dich meiner gefälligst beim Fortgehen. Er machte aber sofort ein langes Gesicht, als Treuling einfiel:
„Danach wollte ich gar nicht sehen. Mir schien es nur — —“
Befriedigt klappte er die Thür wieder zu und überliess es Anton, sich über den Zweck der Rengierde den Kopf zu zerbrechen.
Ehe er mit Eberhard noch irgend etwas sprechen konnte, vernahm man Bandels Kommen. Er räusperte sich laut, um seine Anwesenheit zu verkünden; dann trat er mit ernster Miene herein und sah sich ebenso erstaunt nur wie zuvor.
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