Es grüsst
Hannchen Tetzlaff.“
Etwas ungelenkig, weil ihre Hand gezittert hatte, aber klar und rein nahmen sich die Schriftzüge aus, so dass sie trotz ihres Schmerzes noch eitel genug war, sich darüber zu freuen.
„Ist es nicht wahr, so wird er mich für dumm und einfältig halten; ist er aber doch falsch, so wird er sich freuen,“ sprach sie unwillkürlich vor sich hin. Freuen? Ja, wenn er das thäte, was hättest Du dann für eine Genugthuung? Eine solche wolltest Du doch haben? „Gut, so soll er sich gründlich ärgern!“ fügte sie ebenfalls halblant hinzu.
Sie nahm noch einmal die Feder und schrieb:
„P.S. Sollten Sie meine fünfzigtausend Mark gebrauchen können, um den Ruf Ihres Geschäftes retten zu können, so verfügen Sie über das Geld ganz nach Belieben.
D. O.“
Run erst war sie zufrieden gestellt ... Er soll sehen, dass ich trotz alledem grossmütig bin, dachte sie, während sie den Brief schloss und dann die Aufschrift schrieb.
Sie wusste kaum, was sie that; sie stand ganz unter dem Eindruck von etwas Unerhörtem, das sie dazu drängte, sich durch irgend etwas an der Welt zu rächen. Tiefster Schmerz über den an ihr geübten Verrat und die geheime Freude, dem Manne ihrer Liebe irgend etwas anthun zu können, wechselten fortwährend.
Den Brief in der Hand, stand sie eine Weile am Tische und blickte auf den Schutzschirm der Lampe. Dann war sie mit sich einig. Sie trat vor den Spiegel, strich ihr Haar glatt und benetzte ein wenig die Augen, die sie dann wieder trocknete.
Eine Minute später stand sie vor Frau Baumann: „Würden Sie wohl so freundlich sein und den Brief noch nach dem Kasten tragen lassen?“
„Aber gewiss, Fräulein; Minna kann gleich gehen.“
Hannchen war wieder in ihrem Zimmer. Sie hörte das Mädchen durch den Korridor gehen, die Thür öffnen und zuschlagen und dann die Treppe hinunterstürmen. Sie wollte ihr nachlaufen, sie zurückrufen, aber sie fand nicht die Kraft dazu.
Endlich that ihr alles leid. Der Briefkasten befand sich auf der andern Seite der Strasse, diesem Hause gegenüber. Sie eilte aus Fenster, riss es auf und blickte hinaus. Eiskalte Luft drang ihr entgegen, aber sie achtete nicht darauf, spähte nur umher, um des Dienstmädchens ansichtig zu werden. Die Strasse war noch stark belebt.
„Minna! ... Minna! ...“ rief sie laut, ohne dieselbe erblickt zu haben.
Endlich sah sie das Mädchen schräg über den Damm gehen. „Minna, bringen Sie den Brief wieder herauf! Nicht in den Kasten stecken!“ rief sie aufs neue; dann zum zweiten und dritten Male.
Niemand schien sie zu hören, kein Mensch blickte zu ihr empor. Der Schall ihrer Stimme verschwand in dem dumpfen Getöse des Strassenlärms.
Sie sah deutlich, wie das Mädchen den Brief in den Kasten steckte und dann langsam zurückkehrte. Mit zitternder Hand schloss sie das Fenster; dann stand sie eine Weile mit gefalteten Händen mitten im Zimmer. Ihr kam es vor, als wäre soeben ihr junges Leben von ihr gewichen mit all seinem Glück, dem Frohsinn und der Heiterkeit; nur eine inhaltslose Hülle wäre zurückgeblieben, und diese Hülle stünde nun allein und verlassen in trostloser Einsamkeit.
Plötzlich kam ihr die Gegenwart wieder zum Bewusstsein. Sie warf sich lang auf das Sofa hin und begann krampfhaft zu schluchzen.
Es war am andern Tage gegen elf Uhr vormittags, als Vater Wilhelm fertig zum Ausgeben mit einem Paket aus der Kammer in die Wohnstube trat. Es war dasselbe, das die Weihnachtseinkäufe Heinzens enthielt, und das Robert am Abend vorher mit nach Hause gebracht hatte.
Trudchen, die am Fenster stand und auf einem Bindfaden die grosse Puppenwäsche aufhing, die sie seit einer Woche tagtäglich hatte, blickte verwundert auf den Alten.
„Grossväterchen nimmt wohl dir Geschenke vom Onkel Ruprecht wieder mit?“ fragte sie.
„Ja, denk Dir nur au, Mäuschen! Er hat ganz falsche Sachen gebracht, und nun muss ich gehen, um sie bei ihm umzutauschen.“
„Das ist aber recht schlecht von ihm, Grossväterchen. Dann wollte er uns wohl zum Narren halten?“
„Wahrscheinlich, er hat jetzt so viel zu thun und verwechselt alles. Statt hübsche Sachen für ein artiges Mädchen, hat er solche für artige Jungens gebracht. Und wir haben doch gar keine artigen Jungens hier!“
Die Kleine lachte hell auf. „Nein, Grossväterchen, es ist auch ganz gut, sonst würden sie mir alles zu Weihnachten wegnehmen. Die bösen Jungens sind doch immer viel stärker als die kleinen artigen Mädchen!“
„Dafür müssen sie auch Soldaten werden.“
„Und Schildwachstehen — nicht wahr, Grossväterchen? Und wir Mädchen branchen bloss Essen zu kochen ...“
„So stimmt es — Du weisst schon ganz genau Bescheid, wie es auf der Welt zugeht.“
Diesmal lachte er laut und schallend auf, was ihr immer besonderes Vergnügen bereitete. Er hatte das Paket auf den Tisch gelegt, umhüllte es mit einem Bogen steifen Papiers und schnürte es dann zu. Und während er nun die Adresse schrieb, plänkelte er mit der Kleinen lustig weiter.
„Also einen Brief willst Du deswegen an den Weihnachtsmann schreiben? Sieh ’mal an!“
„Ja, Grossväterchen, Strafe muss sein. Ich will nur erst die Hemdchen für die Puppen aufhängen, sonst haben sie an den Feiertagen nichts anzuziehen.“
„Recht so, die Wirtschaft geht immer vor.“
Sie stand wie eine kleine Hausfrau mit aufgeschürztem Kleidchen und aufgekrempelten Ärmeln auf den Zehen und bemühte sich, die „Leine“ zu erreichen.
Robert kam vom Flur aus herein. Ausnahmsweise war er heute zu Hause geblieben, weil der Alte den Weg zu Treuling vorhatte.
„Nun, hast Du Paketadressen bekommen, ja? Dann setz Dich nur gleich, und schreib Du die andere Adresse. Ich glaube wahrhaftig, mir fangen die Finger schon ein bisschen an zu zittern.“
„Du willst es ihm also wirklich zurückschicken, Grossvater? Die unschuldigen Sachen können doch nicht dafür,“ warf Robert ein, während er seinen Überzieher ablegte. Der Alte gab ihm im geheimen ein Zeichen, indem er auf Trudchen wies. „Mäuschen, hol doch Grosspapachen ein Glas Wasser aus der Küche,“ sagte er dann laut, „lass doch auch das Wasser ein bisschen ablaufen!“
„Und dann bring ich mir gleich frisches Spülwasser mit.“ Sie nahm ihre Puppenwanne und eilte hinaus.
„Du hast recht, die unschuldigen Sachen können nicht dafür,“ wandte der Alte sich an Robert, „aber ihr Anblick würde mir niemals Frende machen, immer müsste ich daran denken, dass er sie gekauft hat.“
„Aber es war doch hübsch, Grossvater, dass er überhaupt daran gedacht hat?“
„Zufall, mein Junge, Zufall! Du hast mir ja selbst gesagt, dass er ganz erstaunt war darüber, Weihnachten so nahe zu sehen. Es war wieder die alte Grossmannssucht, die aus ihm sprach. Er wollte Dir gegenüber prahlen und beweisen, dass er auch ’mal etwas drauf gehen lassen könne ... Ich will, so lange ich lebe, keine Gemeinschaft mit ihm haben — weder innerlich noch äusserlich! Punktum ... So, nun war’ ich ja wohl fertig.“
Es gab darüber nicht mehr viel zu reden. Die Zurücksendung war bei dem Alten nun einmal beschlossene Sache, und da Robert seine Zähigkeit kannte, so zog er es vor, zu schweigen.
Die Kleine kehrte zurück, reichte mit einem Knir dem Alten das Glas und sagte: „Bitte schön, mein Herr, ein Glas Gänsewein. Wohl bekomm’s! Lassen Sie aber nichts übrig, denn er ist sehr teuer.“
Robert lachte, der Alte aber, der gar keinen Durst hatte, würgte sich das kalte Wasser herunter, nur um seinem Liebling ein kleines Ergötzen zu bereiten. Nach jedem Schluck verdrehte er vor Behagen die Augen, schnalzte mit der Zunge und nickte bedeutungsvoll; dabei sagte er:
„Das ist ja ganz vorzüglicher Wein, kleines Fräulein. Haben Sie noch mehr davon?“
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