Paschke suchte vergebens auf die vorige Unterhaltung zurückzukommen; er wollte die Hoffnung, noch mehr zu hören, recht Genaues herauszubringen, noch nicht aufgeben; aber sie blieb einsilbig. Da faßt er nach ihrer Hand.
Sie entzog sie ihm hastig; ihre Finger waren zu verarbeitet, sie schämte sich, und dabei kochte eine Wut in ihr auf gegen ihren Mann, der so verschlafen dasaß: warum hielt er ihr nicht eine bessere Magd, nur so ein halbwüchsiges dummes Ding? „Trink nicht so viel!“ sagte sie unfreundlich, so knapp im Ton wie nur möglich! „Wir müssen jetzt gehen!“
„Dann gestatten Sie, daß ich Sie ein Stückchen begleite!“ Paschke rückte galant die Stühle beiseite, damit die junge Frau zwischen den Tischen besser durchkonnte, und ehe ihr Mann nachkam, der noch den Kellner bezahlte, flüsterte er ihr zu: „Ich hoffe Sie mal wiederzusehen, schöne Frau!“
Karl nahm Idas Arm; er ließ sich mehr führen, als daß er führte. An der anderen Seite der Frau ging der Courmacher. Seine Worte taten Ida wohl. Sie war also doch noch nicht ganz Bäuerin geworden?! Früher, als sie noch die ledige Tochter des pensionierten Wachtmeisters gewesen war, da hatte sie vielen gefallen, aber im Dorf – ach, da wußte ja keiner, was hübsch war! Lange hatte ihr Ohr nicht schmeichelnde Worte vernommen; sie sog sie förmlich ein, wie eine durstige Pflanze himmlischen Tau. Der Weg zum Halleschen Tor schien ihr gar nicht weit.
Es gab auch noch vieles zu sehen: das Raczynskische Palais war herrlich beleuchtet, und wo die Siegessäule hinkommen sollte mit der goldenen Viktoria, brannte bengalisches Feuer auf dem schon errichteten Unterbau. Die Büsche des Tiergartens wurden hell beschienen von der Sonne des Brandenburger Tors, die Königgrätzer Straße hinunter flammten noch Fackeln, die Häuser waren noch illuminiert. Aber dann wurde es nach und nach dunkler. Still stand die Berolina, die den einziehenden Siegern den Lorbeer entgegengestreckt hatte, mit Mauerkrone und Wappenschild am Halleschen Tor.
Die junge Frau fuhr leicht zusammen – sie hörte das letzte Kompliment.
„Da oben müßten Sie stehen, reizende Frau“, flüsterte es an ihrem Ohr.
Paschke hielt an, er hatte nicht Lust, weiter mitzutraben; es war ja doch nichts mehr aus ihr herauszubringen. Nur ihre Augen sprachen. Mit einem beredten Glanz sahen sie umher, er glaubte ihr Feuer auf sich gerichtet. Donnerwetter, das war eine, vor der mußte man sich doch etwas in acht nehmen; die könnte einem später unangenehm werden! Er hob abschiednehmend den Zylinder von dem etwas dünn gewordenen Scheitel. Aber dann konnte er sich doch nicht enthalten, dieser bildhübschen Frau das Kompliment vollends zuzuflüstern: „Sie als Berolina da oben, schönste Frau, wir als Bären zu Ihren Füßen, was?!“
Sie sah ihn starr an. Dann lächelte sie, das Blut schoß ihr zu Kopf.
„Adieu“, sagte sie leise und drückte dann seine Hand. „Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen!“ Er erwiderte den vielsagenden Druck, dann aber ging er eilig. –
Es war dunkel am Halleschen Tor und schon einsam. Sie fanden keine einzige Droschke, und auf dem Halteplatz, wo sonst die Torwagen standen, war natürlich jetzt kein Fuhrwerk mehr zu finden.
Verzweifelt sah Ida sich um: was, sie sollte gehen?! Jetzt fühlte sie plötzlich, wie todmüde sie war, ihre Füße schlorrten. Den weiten Weg?! Und über das öde Feld bei Nacht?!
Pah, daß war doch nicht so schlimm, es war ja eine schöne Sommernacht, draußen schienen die Sterne, wenn sie gut zuschritten, war sie in einer starken halben Stunde längst zu Haus! Karl war etwas munterer geworden. Die freie Luft tat ihm gut, er sprach für den Augenblick ganz vernünftig.
Aber sie war außer sich. An seinen Arm sich klammernd, der wenig Stütze bot, stolperte sie in einem fort; sie weinte fast.
Und doch ging es sich nicht übel. Nach der Hitze der Stadt war es hier erquicklich, der Staub des sandigen Feldes war gelöscht vom nächtlichen Tau, das zertretene Gras hatte sich wieder gehoben. Von fernen Kiefern kam ein waldliches Duften. Wie von rötlichem Dunst überschimmert lag die Stadt weit im Rücken, die Sterne leuchteten hier mit mildem, ruhigem Licht. Versunken waren auch schon die sandigen Hügel, die die Grenze zwischen Stadt und Feld bilden; nichts, nichts mehr war von dem Treiben zu spüren, nur der fahlrote Dämmer zeigte an, daß dahinten das große Berlin lag. Hier war eine andere Welt, die Welt des Schweigens. Wie ein Geheimnis schwebte es zwischen Himmel und Feld; selbst die Sterne konnten nicht sehen, was da unten sich barg.
Ging hier einer, ging hier keiner? Wer wußte es! Lag hier einer schlafend im Sand, oder schlich sich einer räuberisch heran? Man konnte weit sehen und sah doch nichts. Ida strengte die Augen an, daß sie ihr weh taten. Sie zitterte vor Furcht. Bei jedem Lispeln des Nachtwindes fuhr sie zusammen, immerwährend glaubte sie Tritte hinter sich zu hören.
Es waren die eigenen Schritte, die sie erschreckten.
Karl lachte sie aus. Hier auf der Chaussee tat ihnen ja keiner etwas! Freilich, weiter hinein ins Feld, da wo kein Weg mehr führt, da wo Kieferngebüsch die Sandkuhle umgibt, da möchte er jetzt auch nicht gehen. Da war ein Pfuhl, in dem hatte man einen blutigen Leichnam gefunden mit einem Stein am Halse; vor hundert Jahren schon war das geschehen, und seither waren noch viele dort ersäuft worden.
Ida stieß einen Laut des Unwillens aus; ärgerlich riß sie ihren Arm aus dem ihres Mannes und lief hinüber auf die andere Seite des Weges: er war ein Scheusal, wie konnte er ihr nur jetzt gerade so etwas erzählen!
Er lachte in einem fort. Halbtrunken wie er war, machte es ihm Spaß, sie zu ängstigen. Sie, die sonst immer so von oben herab tat, jetzt war sie ganz klein! Er lachte, als ob er gekitzelt würde; die Lust, sie ein bißchen zu quälen, stieß ihn förmlich. O, wie sie sich wand, genau wie ein Würmchen, das man mit einem Stöckchen piekt. Bei jeder Mordtat, die er zum besten gab – er erfand zu denen, von denen er gehört hatte, noch viel abscheulichere dazu –, sah er im ungewissen Licht, wie ihr erblaßtes Gesicht sich immer entgeisterter zu ihm wandte, wie ihre Augen, weit aufgerissen, angstvoll umherstarrten.
Wollte sie mal hingehen, sich den Pfuhl ansehen? Er konnte ihn finden. „Komm“, lallte er unter Kichern und streckte den Arm nach ihr aus.
„Du bist ja besoffen!“ Wütend stieß sie ihn zurück.
„Ich – besoffen!“ Wie konnte sie sich unterstehen, ihn besoffen zu nennen?! Dafür sollte sie aber ordentlich Angst ausstehen.
Er hatte sie erhascht, um den Leib gefaßt und zerrte nun die Widerstrebende vom Wege ab mit sich ins Feld hinein. Sie wehrte sich aus Leibeskräften, er fühlte ihre Nägel, sie kratzte ihn.
„Läßte mich los?! Ich schreie! Ich will nicht! Ich gehe nicht dahin! Zu Hilfe!“
Er lachte so, daß er ganz schwach davon wurde; sie konnte sich ihm entwinden.
„Du Ekel! Du – !“ Die Stimme versagte ihr vor Empörung, sie brach in Schluchzen aus. „Rühr mich nicht an!“ Und doch flüchtete sie im selben Augenblick mit einem gellenden Aufkreischen zu ihm hin und klammerte sich an ihn.
Eine Gestalt war dicht vor ihnen aufgetaucht, sie hatte sich plötzlich vom Boden erhoben. „Nanu“, brummte eine schnapsheisere Stimme, „was ’s denn los? Schreit doch nicht so! Legt euch hin. Un denn schlaft, sonst – !“ Er schwang mit drohender Gebärde einen derben Knüppel.
„Karl, Karl, um Gottes willen, Karl!“ wimmerte Ida. Sie hatte das Gesicht an die Brust ihres Mannes gepreßt, ihn mit beiden Armen umfassend. Nun schrie sie abermals gellend auf: hatte der Kerl sie nicht schon beim Genick, schwang er nicht schon das Messer, um sie abzuschlachten?! Sinnlos vor Entsetzen kreischte sie in einem fort.
Karl hatte aufgehört zu lachen, auch er war erschrocken und plötzlich ernüchtert. „Was wollt Ihr?“ fragte er etwas beklommen; der Strolch stand dicht vor ihnen, groß wie ein Baum. Verdammt, das kam nur von Idas blödsinnigem Getue! Er machte sich unsanft von ihren Armen frei. „Laßt uns unsres Weges jenen“, sagte er. Und dann mit einem Anflug von Mut: „Nehmt Euch man in acht, daß Euch die Polizei nich beim Wickel kriegt – da hinten kommt schon ’n Gendarm!“
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