Wie weit deine Hände bei der Wohnungssuche mit im Spiel waren, habe ich nie erfahren. Ob du Meret angerufen oder sie anders kontaktiert hast, blieb mir verborgen. Vielleicht hätte Wanner mehr gewusst. Wir anderen kümmerten uns nicht darum. Wir nahmen das Angebot des Hauses als Geschenk, ohne seine Herkunft zu hinterfragen.
Der Samstag kam. Meret meldete, sie habe Barbara, Danielle und weitere Freunde ins Küngelhaus zum Essen eingeladen. Sie müsse noch einiges erledigen, bringe einen Nachtisch mit, um drei sei sie zurück. Und schnurrte mit dem Moped dahin. Stüten war mit dem Opel Kadett auf Einkaufstour gegangen, den gemeinsam erstellten Warenzettel in der Brusttasche seiner Military-Jacke. Troller per Postauto zum Stadtbahnhof gefahren, um sich dort für eine Stunde eine Kabine mit Badewanne zu mieten – weisse Frotteetücher sowie Duftmittelchen inbegriffen – und sich aufzupeppen, damit die Haare auf das Wochenende hin wieder wehten und seine Wangen glänzten. Wanner dagegen hörte sich in einem der oberen Küngelhauszimmer unzählige Male die ewig selbe Schallplatte an, um an seinem Instrument die Basslinien nachzuspielen. Ich selber verschwand im Höhlendunkel des Proberaums und kletterte im Lichtspalt des Spotlichts penetrant die immer gleichen Bluestonleitern hinauf und hinab.
Jetzt stand der Tisch unter dem Pflaumenbaum bereit. Barbara, Danielle und Freunde waren angekommen. Meret hatte Kuchen mitgebracht. Wir tranken Kaffee. Reichten Gitarren herum. Holten Schlaginstrumente. Es wurde gejammt, gesungen, gequatscht, gelacht und gekocht. Als Wanner eine Basslinie zu summen anfing, stimmten alle ein. Abwechselnd übernahmen wir die Soli, eine Gitarre oder ein Saxofon imitierend. Applaus nach jedem Einsatz. Troller schüttelte ein wildes Zwischenspiel auf die Bongos.
Für mich war der Moment gekommen. Den Gesang auf den Lippen, verdrückte ich mich ins obere Zimmer, legte die Kleider ab und zog den Bademantel über. Eben schwoll der Chorus in voller Stärke durch die Eingangstür, als ich ungesehen vorbeiglitt und die Kellertreppe hinunterstieg. Die Tür zur alten Waschküche stand halb offen. Das spärliche Licht, das durch einen vergitterten Schacht sickerte, liess die Wände, den Waschtrog, die Abdeckung des Abflusses zementgrau erscheinen. Hinter der Tür stand die milchweisse Badewanne, am Kopfende bewacht von der dunklen Säule eines Kupferkessels. Ich hatte am frühen Morgen Wasser eingefüllt und Feuer gemacht. Jetzt öffnete ich den Schwenkhahn, liess heisses Wasser in die Wanne strömen und goss Badeessenz nach. Weisser Schaum quoll auf und erklomm die Wannenwände. Als ich einstieg, schwappte das Wasser über, spritzte über den Holzrost und überschwemmte einen Teil des Bodens, der dunkel eingefärbt wurde. Der überschüttete Schaum zeichnete flüchtig fliessende Figuren in den Grund. Ich schmiegte mich in die Wannenwölbung. Die Beschichtung war an einigen Stellen abgeplatzt und kratzte. Ich legte den Nacken in den weichen Bogen der Umrandung und spürte am Hinterkopf die Wärme des Kupferkessels. Ich schloss die Augen, hörte das Knittern von Schaumblasen und hinter dem Knistern das ferne Klirren von Geschirr, die gezupften Töne der Gitarren, die wie durch einen Schleier gedämpften Stimmen der Küngelhäusler und Gäste, das Summen der Gasleitung und das stete Pochen von Schritten in der Küche.
Ich musste einige Momente dösend im Dämmer gelegen haben. Als ich den Blick wieder schweifen liess, meinte ich den Augen nicht trauen zu können. In der hintersten Ecke der Waschküche bemerkte ich drei Schlachtkörper von Küngeln. In der Geschäftigkeit des Feuerns und des Wassereinlassens hatte ich sie offenbar übersehen. Ich stierte entsetzt über den Wannenrand auf die zerschlagenen Schädel, auf die von der Wäscheleine hängenden blauen Leiber, das geäderte, glänzende Fleisch, die schwarzen Lachen und Rinnsale am Boden. Gespenstisch schienen sie noch zu baumeln. Offensichtlich hatte der Vermieter drei Küngel für einen Festtagsbraten veräussern können und liess sie in der Waschküche abhängen. Ich hatte gemeint, in ein Badehaus gestiegen zu sein und war in Wirklichkeit im dampfenden Bottich eines Schlachthauses gelandet. Schnell wusch ich mir die schulterlangen, verknoteten Haare, tauchte der Länge nach unter, spähte in einer Art makabrer Lust über den Rand, ob sie noch da waren. Ich spülte Schaum und Seife unter dem Schwenkhahn heraus und zog den Spund. Während sich das Wasser über den Boden ergoss und durch die Ritzen des Schachtes strudelte, frottierte ich mich, warf mich in den Bademantel und glitt in die Hausschuhe. Noch einmal zwang mich eine gruslige Gier, sie zu sehen. Sie baumelten noch immer. Es schauderte mich. Ob vor Kälte oder vor Abneigung, dass ich hier gebadet hatte, wusste ich nicht. Ich rannte die Treppe hoch, als ob jemand hinter mir her sei. Zog mich oben um und mischte mich so unauffällig wie möglich unter die Speisenden. Von den Küngelkadavern erzählte ich niemand.
Am Abend zitterten am Himmel die Sterne. Über der Waldlinie glühten die Lichter der Stadt. Wir sassen bei Kerzenschein noch lange draussen, bis ein kühler Wind die Flammen löschte und uns in die Autos trieb. Stüten fuhr voraus. Ich folgte mit meinem Renault. Es ging eine kurvenreiche Strasse den Wald hoch. Die Scheinwerfer trieben ihre Lichtkegel in das aufragende Gitter von hellen und dunklen Stämmen. Wanner, auf dem Beifahrersitz, packte den Griff des Schaltstocks und ging in Bereitschaft. Als Fahrerduo waren wir minutiös aufeinander eingespielt. Während ich die Kupplung drückte und in den Motorenlärm ein Kommando schrie, schoss Wanner den Schalthebel in die nächsthöhere Position. Barbara applaudierte und legte lachend den Hinterkopf in den Falz des offenen Fensters. Ihre vollen Locken flatterten und trommelten ans Blech. Die wechselnden Schatten des Waldes strichen über ihr Gesicht. Sie hielt Ausschau nach den blinkenden Sternen. »Wie im Karussell«, rief sie, und winkte aus dem Fenster. Um sie zu erschrecken, fuhr ich über den Randstein. Äste ratterten entlang der Wagenseite, Rutenspitzen schnellten ins offene Fenster. Barbara kreischte. Blätter hingen ihr in den Haaren.
Kaum aus dem Wald verbarg das Licht der Strassenlampen den Nachthimmel. Unsere Motoren hallten von hohen Hausmauern. Eine rote Kette aus Rücklichtern zog sich durch die Häuserschlucht. Tanksäulen, in kaltes Neonlicht getaucht, säumten die Strasse. Stüten hielt bei der nächsten. Er trat an unser Fenster. Er habe sich gegen Isla und sein Trio entschieden. Es sei zu spät. Das Konzert habe längst begonnen. Meret stiess die Tür auf. Sie protestierte. Die anderen Wagenschläge wurden aufgerissen. Wie bei einem Überfall. Wir standen zwischen Tanksäule und Strasse. Verhandelten. Stritten. Ein kurzes Gefecht. Meret konnte nur Wanner überzeugen. Die anderen stimmten für die Gaskessel. Danielle wäre auch gerne in den feuchtheissen Dampf des Jazzkellers getaucht. Sie fühlte sich angezogen vom Ruch des politischen Untergrunds. Die Extravaganz von männlichem Parfüm und Pfeifenrauch betörte sie, auch wenn sie sich hinter einer Drahtbrille versteckte und ihre Leidenschaften nicht gleich verriet. Heute aber entschied sie sich, in der Umgebung von Troller zu bleiben und einen Abend lang die Dünste seines Schlagzeugkörpers zu atmen.
Von Weitem sahen wir die Gaskessel, die sich wie zwei Schildkrötenpanzer aus einem Schuppenareal wölbten. Sie waren von einem hohen Maschendraht umzäunt. Das Gittertor stand offen. Öliges Wasser lag in Dellen und Löchern. Farbige Glühbirnen wiesen den Weg zu einem groben Betonkubus, der die beiden Kuppeln verband. Oranges Licht flutete den Eingangskorridor. Ein brandroter Teppich kletterte im einen Kessel die Stufen hoch, bis an den Rand der Kuppelwölbung. Pärchen lagen in den Treppenbögen und schmiegten sich ineinander, wie auf Meeresgrund abgetaucht. Im anderen Kessel fielen wir ins beinah undurchdringliche Schwarz. Nur ein Punktlicht und der Schemen eines Discjockeys waren auszumachen. Wir tasteten uns vorwärts, rochen den Schweiss von Tänzern. Hörten kaum ein Flüstern oder Knacken. Dann hämmerte die Musik los. Lichtblitze zuckten und rissen für einen ritzenkleinen Zeitschnitt wild ausgreifende Gestalten ins grellhelle Licht – und liessen sie ebenso schnell wieder ins schwarze Nichts fallen. Marionettenhaft ruckte Bild um Bild vor. Die wirbelnden Körper wurden wie vom Reflex eines zwinkernden Auges auf eine imaginäre Plakatwand gebannt und wieder abgezogen. Ich begann mitzutanzen und warf meine Haare im Rhythmus der Musik vornüber und wieder zurück. Troller setzte zu irren Sprüngen an. Wie ein Sumoringer landete er in der Halbhocke mit den Händen auf den Knien, warf seinen Kopf hin und her und schlug das Haar herum, als wäre es der Riemen einer Peitsche. Zeitweilig stampften und hämmerten die Tanzenden den Beat auf den Schlag genau in den Boden und wurden zum Kolben einer immensen Maschine. Mechanisch wie der Puls des Schlagzeuges. Betörend wie der Sirenenton der Gitarre.
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