An einer Stelle, als Mohammed von seiner Heimat und seinem Zuhause sprach, brach er plötzlich seine Erzählung ab und schwieg sichtlich aufgewühlt.
Ich dachte bewegt: „Wo ist denn eigentlich nach über dreißig Jahren sein Zuhause? Ist es nicht längst in Ägypten oder war es noch immer in Zehnever, am Urmiasee im Norden Persiens?
Gab ihm Allah in diesen Tagen eventuell ein Zeichen, dass Mohammed inzwischen nur noch wenige Kilometer vom Iran entfernt lebte. Könnte es für ihn gar einen versöhnlichen Ausgang dieser „Reise“ geben?
Mohammed hatte wohl noch nie intensiv darüber nachgedacht, doch nachdem er mir seine Lebensgeschichte erzählt hatte, schienen die Bilder aus seiner Jugend an ihm vorüberzuziehen und etwas in seinem Inneren auszulösen. Er hatte sein Elternhaus seit der Messerstecherei nie mehr wiedergesehen und es war ihm auch in all den Jahren nicht möglich gewesen, Kontakt mit seiner Familie aufzunehmen. Sein unstetes Leben trug dazu bei, dass er nie eine eigene Familie gründen konnte.
Dieses Glück war ihm leider versagt geblieben und ich glaube, dass er sehr darunter litt.
Als er, der wesentlich Ältere und Lebenserfahrenere, mich dann fragte, was ich an seiner Stelle tun würde, dachte ich einen Moment nach und antwortete ihm ehrlich: „Mohammed, Freund, du bist so nahe an deiner Heimat, wie du vielleicht nie mehr sein wirst. Du hast tausende Kilometer hinter dich gebracht, was sind da die fünfhundert Kilometer bis nach Hause? Es wird nichts mehr so sein, wie du es kanntest, vielleicht leben deine Eltern nicht mehr, aber du hast Geschwister. Und sollte ein Mann sein Leben nicht in der Heimat beschließen? Mache Frieden mit dir selbst und höre auf zu zweifeln. Kein Mensch wird dich nach so vielen Jahren noch wegen deiner Notwehrtat bestrafen wollen. Kehre in deine Heimat zurück!“
Mohammed antwortete mir nicht, aber in seinem Inneren arbeitete es. Schließlich legte er seine Hand auf meinen Arm, nickte leicht und sagte bewegt: „Thank You, Mr. Pieter, Sir. No other man i can talk like you with. I’ll do what you advise me.“ („Mit keinem Mann kann ich sprechen wie mit dir. Ich werde tun, was du mir rätst.“)
Sein Angebot, mich sprachlich unter seine Fittiche zu nehmen und sich mit mir abends zu unterhalten, war für Mohammed wie eine Art Vaterrolle, aber auch ich genoss die Zeit mit ihm. Wir verbrachten in den nächsten Wochen viele solcher Abende, an denen er mir von seinen zahlreichen Abenteuern erzählte oder mich in der arabischen Sprache unterrichtete.
Während der folgenden Wochen und Monate erlernte ich die arabische Sprache so weit, dass ich mich mit den ägyptischen Arbeitern und den Händlern in ihrer Sprache unterhalten konnte.
Ein weiterer Vorteil bei den Verhandlungen auf den Basaren war mein fast arabisch zu nennendes Aussehen.
Mit der Zeit eignete ich mir auch die arabische Gelassenheit an, ohne die man in einem arabischen Land nur schwer bestehen konnte.
Dass ich abends oft mit Mohammed zusammen saß, gefiel einigen meiner deutschen Kollegen nicht so gut, weil sie dachten, dass sich die ägyptischen Arbeitskräfte auf diese Weise einen Vorteil verschaffen wollten.
Als Leitmonteur war ich für den reibungslosen Arbeitsablauf an meinem Arbeitsplatz verantwortlich und das schloss für mich auch einen kollegialen Umgang mit den ägyptischen Kollegen ein. Ich konnte mich auf ihre Arbeit nur dann verlassen, wenn ich sie als gleichwertige Arbeitskräfte behandelte und das funktionierte nur, wenn mir die Ägypter vertrauten und wussten, dass auch ich ihnen vertraute.
Mohammed war also für mich ein wichtiger Ansprechpartner.
Meinem Kollegen und Stubenkamerad Harald gefiel das allerdings gar nicht, und er entwickelte eine nicht zu begreifende Antipathie gegenüber Mohammed, die sich über einen längeren Zeitraum erstreckte und fast in einer Tragödie geendet wäre.
Einen Tag vor meiner Heimreise war noch einmal großer Einkauf, das hieß – wir fuhren am Mittag nach Bagdad und kauften in aller Ruhe auf dem Basar ein, vor allem Obst und Gemüse, welches zu Hause unbekannt war.
In den letzten Wochen hatte ich schon so oft den Basar unsicher gemacht und sowohl Stoffe, Schmuck, Messingartikel, Gläser und verschiedene Kleidung für die Familie eingekauft, deshalb zog es mich an jenem Tag auf den Gewürzbasar, da ich als Hobbykoch auch gern einige ausgefallene Gewürze mit nach Hause nehmen wollte.
Wir fuhren mit unserem Coaster Bus bis zum Buskreisel und die meisten Kollegen strömten sofort dem Basar zu. Ich allerdings wählte eine andere Richtung und tauchte allein in das betriebsame Leben Bagdads ein.
Ich schlenderte über den mir lieb gewordenen Rashid bis zur Kalifenmoschee und atmete den unbeschreiblichen Duft des Orients ein, der an jener Stelle besonders ausgeprägt war, denn nur wenige Meter entfernt befand sich der Gewürz-Souq, übrigens der größte des Landes.
In einem unübersehbaren Gewirr aus Ständen und kleinen Läden boten die Händler dort ihre Waren an. Die Gewürze waren kunstvoll in Schalen platziert, zu Pyramiden aufgeschichtet oder auf lange Fäden gezogen und ihre Farben waren ebenso vielseitig wie die aromatischen Düfte.
Der Besuch dieses Basars war ein ganz besonderes Erlebnis für mich.
Die Gerüche, die auf mich einströmten, waren unbeschreiblich und außerordentlich vielfältig und stellten alles in den Schatten, was ich auf anderen Basaren an Düften wahrgenommen hatte. Außerdem war die Präsentation der Gewürze in den einzelnen Ständen sehenswert und schon fast mit Kunstwerken zu vergleichen. Jeder Maler hätte in dem Gewirr der Stände seine Freude und auch ich war von der Faszination des Souq inspiriert und machte viele Fotos. Zum Glück ließen sich die Händler gern und bereitwillig fotografieren, waren sie doch stolz auf ihre Waren und wussten, dass die Fotos jetzt in einem fernen Land gezeigt wurden.
Man handelte mit allen bekannten Gewürzen der Welt, das jedenfalls versicherte mir einer der Händler und angesichts der Vielfalt der Gewürze, hunderter Gefäße, Schalen Tüten und Kästchen Gewürzketten und Gewürzpyramiden, glaubte ich es ihm auch unbenommen.
Zum ersten Mal roch ich den betörenden Duft des Safrans, genoss das Aroma von Zimtstangen und Vanilleschoten, Nelken, Sternanis, Kardamom und auch all der mir unbekannten Gewürze.
Ich fragte den Händler, ob er wüsste, wie viele verschiedene Gewürze es auf diesem Basar gab, aber darauf konnte er mir keine Antwort geben. Er sagte mir jedoch, dass ich jedes erdenkliche Gewürz bei ihm kaufen könnte und wenn er es nicht vorrätig hätte, würde es ihm zur Ehre gereichen, es in kürzester Zeit für mich zu besorgen.
Für diesen Tag genügten mir allerdings ein paar mir bekannter Gewürze, doch vor allen anderen Gewürzen war ich wegen des berühmten Currys hier, der ganz frisch, auf Wunsch der Kunden zusammengestellt wurde. Ich wollte mich da jedoch lieber auf die Kenntnisse des Händlers verlassen und bat ihn, mir ein Curry zu komponieren. Sichtlich stolz über mein Vertrauen mischte er über zwanzig Gewürze zu einer grandiosen Komposition zusammen. Dann schüttete er die Gewürze in eine Mühle und beim Zerkleinern der Gewürzmischung strömte das herrlichste Aroma aus, das man sich vorstellen kann. Frisch gemahlen, schüttete der Händler das Currypulver dann in ein luftdichtes Gefäß.
Bei meinem Abschied wusste ich genau, dass ich den Gewürzsouq sicher noch oft besuchen würde.
Nach einem Bummel durch die Gassen der Kupfer-und Messingschmiede, der Goldhändler, und der Textilverkäufer zog es mich jedoch in das Lokal am Buskreisel, denn der Appetit auf ein Bier war durch die lange Enthaltsamkeit sehr groß. Beim Eintreten sah ich, dass bereits einige meiner Kollegen an den Tischen saßen und auf die Heimreise anstießen. Ich schloss mich diesem Prosit gern an.
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