Klaus Melcher
Wie im Paradies
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Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus Melcher Wie im Paradies Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Gefangen
2. Willkommen im Paradies
3. Der Sinn des Lebens
4. Das Chamäleon
5. Wie eine Fliege unter einem Glas
6. Alles ist weg
7. Gott bewahre, dass wir jemals so werden
8. Hennings Geschichten
9. Wundervoll glattes, festes Fleisch
10. Alexanders Traum
11. Pharisäer ham wir nich, nur Kaffe
12. Auf dem Sterbefell
13. Zurück im Leben
14. Manchmal konnte Preuss unglaublich albern sein
15. Willkommen im Möbelparadies
16. Wasch dir das Gesicht, und dann geh!
17. Es war doch alles noch da, in seinem Kopf
18. Je taime
19. Alles neu
20. Das Versprechen
21. Zweifel
22. Das letzte Geleit
23. Fromms Sommernachtstraum
24. Die neue Mitte
5. Die Enso-Lampe
26. Sommertag mit Anneliese
27. Der Verdacht
28. Neugier
29. Geschichte aus 1001 Nacht
30. Soleikha
31. Das Geschenk
32. Adventsgebäck
33. Schuld
34. Er hätte besser aufpassen sollen
35. Das Gerücht
36. Eitel war er eigentlich nicht
37. Julklap
38. Die Abrechnung
39. Fingerübungen
40. Lebkuchen und andere Köstlichkeiten
41. Endlich Bescherung
42. Abgesang
Impressum neobooks
Die erste Nacht in diesem Gefängnis!
Als er über den nachtdunklen Flur schlurfte, der nur von einem grässlichen grünlichen fluoreszierenden Licht erleuchtet wurde, befiel ihn wieder die Beklemmung, die er schon einmal verspürt hatte, vor ein paar Tagen oder Wochen, so genau wusste er es nicht mehr, als er in einem ihm unbekannten Zimmer aufwachte. In den Betten neben seinem lagen fremde Menschen, ordentlich aneinander gereiht.
Nachdem er sich so weit zurechtgefunden hatte, dass er vermuten konnte, er befände sich wohl in einem Krankenhaus oder wenigstens einer Krankenstation, zermarterte er sich sein Hirn darüber, wie er wohl hierher gekommen war, was der Grund seines Aufenthaltes war und – nicht weniger wichtig – in welchem Krankenhaus er sich überhaupt befand.
Er fischte nach der Klingel, die, wie er sehr wohl wusste, an jedem Krankenbett entweder von dem Galgen über dem Bett herunter baumelt oder an dem eisernen Nachtisch befestigt ist. Und während er mit seinem Arm vergeblich herumruderte, den ganzen Luftraum über und neben seinem Bett erkundete, ohne eine Klingel zu entdecken, befiel ihn eine ihm bisher unbekannte Beklemmung.
Er wollte aufstehen, fliehen aus diesem Käfig mit schnarchenden, röchelnden, rülpsenden und stinkenden Leibern, die aufgedunsen unter ihren Decken lagen oder zusammengekrümmt vor sich hin wimmerten.
Er wollte - wen auch immer - fragen, wie man dazu käme, diese Menschen, die sich nicht kannten, wie Vieh zusammenzupferchen, aber er hatte nicht die Kraft und wusste nicht, an wen er sich wenden konnte.
Er ließ noch einmal seinen Blick über seine Nachbarn gleiten, und ihm dämmerte,
man hatte ganz sicher gedacht, für die kurze Zeit des ihnen noch verbleibenden Lebens lohnte sich nicht ein besseres Zimmer. Vielleicht hätten sie auch nichts Besseres verdient oder bekämen nicht mit, was um sie herum geschah.
Vielleicht brauchte man auch die anderen Zimmer für Patienten, die den Luxus eines Zweibettzimmers noch zu schätzen wussten. Schließlich muss ein Krankenhaus auch scharf kalkulieren.
Und bei ihnen wurde eben scharf kalkuliert.
Noch bevor sich das Fenster in ein schwarzes Loch verwandelte, kam eine Schwester, warf einen sehr genauen Blick auf einen der Patienten, fühlte seinen Puls, checkte die Monitore, an die er angeschlossen war, schien noch nicht ganz zu glauben, dass die weiße Kurve auf dem grünen Hintergrund zu einer durchgezogenen Linie geschrumpft war, betätigte irgendeinen Schalter und kapitulierte.
Die gerade Linie hatte alle ihre Bemühungen überstanden, sie wieder in eine ausgefranste Kurve zu verwandeln.
Wohl auf ein geheimes Zeichen betraten zwei Ärzte das Krankenzimmer, fühlten ebenfalls den Puls, als hätten sie die Hoffnung, ein zweites Mal würde zu einem anderen Ergebnis führen.
Ein dezentes Nicken. Die Schwester wusste, was sie tun hatte, sie befreite den Patienten von den Apparaten und zog ihm das Laken über den Kopf.
Zwei kräftige Krankenpfleger schoben den Patienten auf den Flur, und während er irgendwo im Keller des Krankenhauses verschwand, wurde sein Bettstellplatz bereits wieder belegt.
Es sprach wenig dafür, dass er lange bleiben würde.
Nun war er weiß Gott niemand, auf dessen medizinische Kenntnisse man etwas geben konnte, aber jeder hier im Zimmer spürten diesen eigenartigen Geruch, den Todgeweihte ausströmen.
Die beiden Ärzte, die eben den Abtransport ihres Zimmergenossen veranlasst hatten, kehrten nach angemessener Zeit in das Zimmer zurück, traten an die Betten, sorgenvoll blickend, aber doch vorsichtig optimistisch: „Das wird schon wieder!“
Was er hatte, und warum er hier lag, wusste er immer noch nicht. Als er den Oberarzt, er vermutete, das war der bedeutender Aussehende von den beiden, fragen wollte, hatte der sich schon zur Tür gewandt und verließ das Zimmer mit wehendem Arztkittel, seinen Kollegen, die Schwester und eine Schwesternschülerin im Schlepp.
Es war schon merkwürdig.
Da liegt man in einem Zimmer zusammen mit jemandem, der gerade stirbt oder gestorben ist. Man bekommt es gar nicht mit, bemerkt nicht einmal, dass er vielleicht schon länger nicht stört, dass er nicht die gewohnten Geräusche von sich gibt, dass er anders riecht.
Und plötzlich erfährt man, er ist gerade gestorben.
Und da fällt es einem auf. Irgendetwas ist anders geworden. Man weiß nur nicht, was.
Und noch etwas wird einem plötzlich bewusst: Vielleicht ist man der Nächste.
Gerade in diesem Moment, in dem sich Alexander Fromm in seine Decke rollen wollte, alles um sich herum vergessen wollte, klopfte es, und sein Sohn trat ein. Müde sah er aus, müde, weil er sich Tag und Nacht Sorgen um ihn gemacht hätte, wie er fast vorwurfsvoll verkündete.
Was er inzwischen alles unternommen hätte, um seinem Vater das Leben zu erleichtern, von Pontius zu Pilatus wäre er gelaufen, hätte all seine Beziehungen spielen lassen, denn so könnte es mit ihm nicht weitergehen, das müsste er doch einsehen.
Alexander Fromm konnte sich nicht daran erinnern, seinen Sohn darum gebeten zu haben. Er hatte sich nie sonderlich um ihn gekümmert, allenfalls mal ein Anruf zu Weihnachten und zu Ostern. Seinen Geburtstag schien er ganz vergessen zu haben, jedenfalls hatte er von diesem Ereignis seit mehr als zwanzig Jahren keine Notiz genommen.
Jetzt also stand er da. Die Hände in den Manteltaschen, den Kragen hochgeschlagen, den Schal lässig um den Hals geschlungen, wie das im Augenblick Mode zu sein schien. Die Augenbrauen zusammengezogen, seine Lieblingszornesfalte auf der Stirn.
Der ganze Mann war ein einziger Vorwurf!
Alexander Fromm wollte seinen Sohn ignorieren. Es gab keinen Grund für seinen Besuch. Bisher war er ohne ihn ausgekommen. Eigentlich kannte er ihn überhaupt nicht.
Als seine Frau weggelaufen war, Monate vor seiner Geburt, und er irgendwann durch das Amtsgericht von seiner Existenz erfuhr, da hätte er ihn gerne als seinen Sohn begrüßt, obgleich er sich seiner Vaterschaft durchaus nicht sicher war. Trotz aller Zweifel hatte er nicht auf einem Vaterschaftstest bestanden, sondern hatte alle Verpflichtungen übernommen.
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