Klaus Melcher
Die Frau des Scharfrichters
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Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus Melcher Die Frau des Scharfrichters Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Personen:
Orte:
Worterklärungen:
Impressum neobooks
An diesen Abenden im Spätherbst, wenn der Nebel unten in der Flussniederung aufstieg, erst nur die Stämme der Erlen weich einpackte, und ihre entlaubten Wipfel wie unordentlich gebundene Knäuel auf einem grauen See zu schwimmen schienen, wenn er dann auch sie verschlang, langsam das ganze Tal ausfüllte, den Galgenberg vor neugierigen Blicken verbarg, bis er schließlich die Stadtmauer erreichte und über sie hinweg quoll, sich in die Straßen und Gassen ergoss, dann erstarb das Leben in Stadt und Land. Man war froh, ein schützendes Dach über dem Kopf zu haben, einen Herd, an dessen Feuer man sich wärmen konnte, und man genoss die Geborgenheit des Hauses, und sei es auch noch so einfach.
Nur ein einsames Fuhrwerk näherte sich auf der holprigen Straße von Würzburg dem Stadttor. Es war ein einfacher vierrädriger Wagen, dessen Ladefläche mit einer Plane bedeckt war, die die Ladung nur notdürftig gegen Regen und unliebsame Blicke schützte. Gezogen wurde der Karren von einem altersschwachen Arbeitspferd, das sein Besitzer vor zwei Jahren bei einem Metzger gegen sein verletztes, aber erheblich jüngeres eingetauscht hatte.
Schon in Sichtweite der Stadt, war sein Pferd damals von der schmalen Spur abgekommen und in einer tiefen Furche stecken geblieben. Alle Versuche des Kaufmanns, das Fuhrwerk wieder frei zu bekommen, blieben erfolglos. Als er schließlich die Peitsche einsetzte, riss das Tier den Wagen um und stürzte.
Seitdem diente es ihm treu und zog seinen oft schweren Wagen bei jedem Wind und Wetter über Land.
Der Mann auf dem Kutschbock hatte sich den weiten grau-braunen Umhang zweimal um den Oberkörper gewickelt und gegen die aufsteigende Kälte seine Beine in aneinander genähte Schaffelle geschlungen. Früher, vor dem Unfall, hatte er diesen Schutz nicht gebraucht, da hatte sein inneres Feuer gereicht.
Schon aus der Ferne sah der Kaufmann den milchigen Schein zweier Laternen, die die Torwächter schwenkten. Wenige Augenblicke noch, und die Stadtwache würde das Tor schließen. Höchste Zeit für den Kutscher, seinem Pferd noch einmal die Peitsche zu geben.
Wieder zog eine Nebelschwade zwischen den Kaufmann und das Tor, verbarg einen Augenblick den Blick auf die Stadt, und dann standen die Wachen vor dem Fuhrwerk, griffen dem Pferd in die Zügel.
„Prrr! Prrr!“
Das Pferd bäumte sich auf, hoch stieg es in dem Geschirr, ließ sich beruhigen und wartete schließlich geduldig, dass die Wachen das Fuhrwerk durchsuchten.
Die Torwächter hatten es eilig heute Abend. Dieser Nebel, der durch alle Ritzen kroch, sie alle ihre Knochen spüren ließ, war fast noch unangenehmer als der Regen, der im November über Stadt und Feld fegte.
Widerwillig stiegen sie auf den Wagen, bahnten sich einen schmalen Weg über pralle Hanfsäcke und Ballen und verzichteten darauf, dass der Kaufmann eins der Bündel öffnete.
Wer so spät am Abend von einer langen Reise kam, der hatte seinen Feierabend verdient, ein anständiges Abendbrot und einen Krug Bier, vor allem einen ordentlichen Schlafplatz in irgendeinem Wirtshaus der Stadt.
Auch die Wachen verloren keine Zeit. Noch während der Kaufmann die Plane wieder verschnürte, verschwanden sie in einer Nische des Turmes und lösten die Arretierung
der Seilwinde. Rasselnd senkte sich das schwere Eisengitter, mit dem das Stadttor gesichert wurde. Erst als es den Boden berührte und sie sich von seinem ordnungsgemäßen Zustand überzeugt hatten, schlossen sie die beiden Flügel des Stadttores. Polternd fielen die Balken in ihre Führung.
Jetzt war die Stadt gesichert und konnte beruhigt schlafen.
Unterdessen hatte der Kaufmann wieder den Kutschbock bezogen, einmal die Peitsche knallen lassen und rumpelte mit seinem Fuhrwerk langsam weiter, bog von der Nicolaistraße, die zum Marktplatz führte und die Stadt in zwei etwa gleiche Teile zerschnitt, die Oberstadt, in der die wohlhabenden Bürger wohnten, und die Unterstadt, in der die ärmere Bevölkerung lebte und arbeitete, die weniger angesehenen Handwerker, die Tagelöhner, die Schmiede und Bäcker und vor allem die unehrlichen Berufe. Hier gingen die Gerber und Färber ihrem Gewerbe nach und verwandelten den Seitenarm der Sülse, den man oberhalb der Stadt abgezweigt hatte, in eine stinkende und giftige Brühe, die alles Leben ersterben ließ.
Hier lagen auch die einfachen Wirtshäuser und übel beleumdeten Spelunken, die Mauerhäuser der Ärmsten, an die Stadtmauer geklatschte Verschläge, in denen die Bettler und Gelegenheitsarbeiter hausten, die Hurenhäuser und der Gefängnisturm mit der Hütte des Scharfrichters.
Der Kaufmann bog nach links ab.
Die Straße wurde schmaler, die Häuser drängten sich dichter zusammen. Immer enger standen sie beieinander, schienen sich oben fast zu berühren.
Links und rechts der Räder des Fuhrwerks spritzte der Straßendreck hoch, ein stinkendes Gemisch aus Fäkalien und Unrat, das aus den Fenstern geschüttet wurde. Gerade entleerte eine zahnlose Alte ihren Nachttopf, fast unmittelbar vor dem Kaufmann. Er nahm es kaum wahr.
Dann, endlich, erreichte das Gespann die Herberge. In der Toreinfahrt des Haupthauses, eines stattlichen Gebäudes, hing eine brennende Laterne und wies den später ankommenden Fuhrwerken den Weg in einen geräumigen Wirtschaftshof, der von einem Pferdestall und einer Scheune für die Wagen der Kaufleute gesäumt wurde. Überall auf dem Hof verteilt brannten kleine Feuer, die den Hof und die sie umgebenden Gebäude in ein fast gespenstisches Licht tauchten.
Ein Pferdeknecht löste sich aus der Dunkelheit und trat dem Gespann entgegen, fasste das Pferd am Halfter und klopfte ihm beruhigend den Hals.
„Ihr seid spät heute. Soll ich Euer Pferd versorgen, oder wollt Ihr selbst?“, fragte er und führte das Gespann in die Scheune. Erst dort spannte er das Pferd aus, rieb es ab und gab ihm Wasser und Hafer.
Dankbar überquerte der Kaufmann den Hof.
Sein Weg führte ihn zum Haupthaus, das die geräumige Wirtsstube und die winzigen Schlafzimmer aufnahm.
Ein wildes Stimmengewirr, Johlen und Lachen schlug dem Neuankömmling entgegen, als er die eichene Wirtshaustür öffnete.
Die Wirtsstube war gut gefüllt. Eine große Gruppe von Kaufleuten saß an dem einzigen runden Tisch, der gut und gerne zwölf Personen Platz bot. Man sah, sie saßen schon lange hier, nur noch die Reste von ihrem üppigen Mahl waren auf dem Tisch, die abgenagten Knochen, die halb geleerten Bierkrüge. Die ersten waren über dem Tisch bereits eingeschlafen, einer glotzte seinen Nachbarn aus verquollenen Augen an, bevor er sich entschloss, auch ein Nickerchen zu machen.
Langsam leerte sich die Wirtsstube. Der Tag war für alle anstrengend gewesen. Die Kaufleute aus dem Konvoi stolperten die enge Treppe hoch, die zu den vier Schlafräumen im ersten Stockwerke führte, die sie sich mit anderen Schlafgästen teilten. Oskar hatte kein freies Bett mehr gefunden, auch nicht in einem der niedrigeren oberen Stockwerke nicht, und musste mit dem Stall vorlieb nehmen. Er sah darin ein freundliches Zeichen des Himmels. Pferd und Fuhrwerk waren gut versorgt, und so verließ er das Wirtshaus und begab sich noch einmal in den Nebel.
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