Klaus Melcher
Das geborgte Leben der Viktoria von R.
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Inhaltsverzeichnis
Titel Klaus Melcher Das geborgte Leben der Viktoria von R. Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Impressum neobooks
Die Idee war an einem Samstagabend geboren worden, etwas zwischen elf Uhr und Mitternacht.
Die letzten Tropfen der zweiten Flasche Rotweins waren geleert und gerecht auf die Gläser verteilt. Wir hatten den kümmerlichen Inhalt unserer Portemonnaies auf den Tisch geschüttet, in der vergeblichen Hoffnung, noch eine dritte Flasche bestellen zu können.
Er reichte nur noch zu einem Beutel Erdnusskerne, einem gesalzene Mandeln und einem kleinen Trinkgeld für die nette Serviererin.
Trotzdem waren wir zufrieden, lachten viel und manchmal auch etwas laut, so dass andere Gäste schon mal missbilligend herüber sahen.
Benjamin, der Älteste von uns und nicht gerade besonders erfolgreicher Lokalreporter, fragte aus irgendeiner Laune heraus, was wir wohl anders machen würden, wenn wir noch einmal beginnen könnten.
Wir lachten, doch er schien es wirklich ernst zu meinen.
Thomas, der sich, Frau und Kind mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hielt und seine sicheren Bezüge über Harzt IV bezog, wollte alles so lassen, wie es war. Etwas Besseres könnte ihm gar nicht passieren, sagte er. Das Geld wäre zwar knapp und sie müssten sich einschränken, aber sie wären frei. Sie lebten wie die Vögel in der Bibel: „Sie säen nicht, und sie ernten nicht, und der Herr im Himmel ernähret sie doch.“
Nur eins wollte er ändern: Ein Kind wäre ihm viel zu wenig. Man müsste mehrere Kinder haben, wäre auch für die Kinder besser, wenn sie mit Geschwistern aufwüchsen. Außerdem, er machte sein Denkergesicht, das ihm immer den Eindruck besonderer Seriosität verlieh, außerdem wären viele Kinder auch finanziell durchaus attraktiv. Er hätte es mal genau durchgerechnet. Gerne hätte er uns seine Berechnung in allen Einzelheiten erläutert, doch wir wurden ungeduldig und nickten August zu.
August - ein schrecklicher Name, und August litt tatsächlich unter ihm - war eigentlich der einzige von uns, der wirklich Geld verdiente. Er verkaufte Möbel in einer großen Möbelkette.
Nicht, dass er etwa die Küchenabteilung geleitet hätte oder eine andere Fachabteilung, dafür fehlte ihm das Wissen, auch Polstermöbel oder Betten hatte man ihm nicht anvertraut, er war der Herr – oder besser: einer der Herren – über Kleinmöbel, Hocker, kleine Tischchen und Kommoden, alle nicht teurer als einhundert Euro.
Und schließlich kam ich.
Wenn ich ehrlich bin, ich gehörte auch in die Rubrik: Gescheiterte Existenzen.
Was hatte ich bisher geleistet?
Kurz vor dem Abi hatte ich die Schule geschmissen.
„Was soll ich mit all dem Müll, den die in uns hineinpressen?“, hatte ich meinen Vater gefragt, und er hatte zunächst ganz entgeistert gefragt, ob das etwa mein Ernst wäre, dann aber widerwillig eingewilligt, als er meine Entschlossenheit sah.
„Du wirst es später bereuen“, hatte er mir prophezeit.
„Das muss ich mit mir selbst ausmachen!“, hatte ich geantwortet und mich ungeheuer cool gefühlt.
„Nicht, dass du nachher ankommst und willst wieder auf die Schule!“
Ich versuchte mich in allen möglichen Lehren, Steuerfachgehilfe, Kaufmann in einem Fotogroßhandel, bis ich dann doch, überall gescheitert, das Abi machen wollte, und alle Einwände meiner Eltern zerstoben. Der Junge war zur Vernunft gekommen, nur das zählte.
Und tatsächlich machte ich das Abi, mit einjähriger Verspätung zwar, aber immerhin. Ich zog das Studium der Sonderschulpädagogik durch. Nur die Prüfung nicht so ganz. Die hatten etwas gegen mich.
Dann war ich bei einem Autohändler. Als das auch nicht ging, wechselte ich zu einem Pharmakonzern als Pharmareferent, und nun bin ich Privatdetektiv. Das heißt, ich bin es nicht, ich nenne mich nur so.
Für meine Berufswahl sprach einiges: Ich brauchte nicht unbedingt eine Ausbildung, wenn ich es nicht auf meinem Briefkopf erwähnte. Ich brauchte auch keine teure Ausrüstung. Zwei Telefone, eins Handy und eins Festnetz, ein Fotoapparat, ein Notebook und ein Drucker reichten aus.
Ein Auto wäre ganz hilfreich gewesen, aber mit Öffis und Fahrrad war man beweglicher. Und manchen Kunden, ich nannte sie lieber ‚Klienten’, schien es seriöser und vor allem authentischer als ein Auto. Dass ich kein Geld für ein Auto hatte, brauchte ich ja nicht zu sagen.
Tatsächlich kam auch bald der erste Auftrag, war nicht viel, aber immerhin ein Auftrag, der mir zeigte, dass der eingeschlagene Weg der richtige war.
Ich musste nur Geduld haben, der Durchbruch lag greifbar vor mir.
Dass es etwas länger dauerte, als ich erhofft hatte, war sicher nicht meine Schuld. Manchmal gibt es Widrigkeiten im Leben, die man geduldig ertragen muss, und ich war darin geübt.
Als ich an einem Samstag müde nach einer fast durchzechten Nacht nach Hause kam, empfing mich mein blinkender Anrufbeantworter.
Normalerweise stellte ich ihn an, während ich ins Wohnzimmer ging, meine Jacke aufs Sofa warf, mir aus der Bar ein Glas nahm und einen nicht zu kleinen Brandy einschenkte.
Heute hatte ich keine Lust. Ich war zu müde.
Und dann ließ mir dieses verdammte flackernde Licht doch keine Ruhe.
Ob ich noch einen Termin frei hätte, fragte eine ältere Frauenstimme und gab eine Telefonnummer an, mit der Bitte um Rückruf.
Gerne hätte ich sofort angerufen, doch es war lange nach Mitternacht und so bezwang ich mich. Ich ging schlafen.
Morgen war auch noch ein Tag.
Die alte Dame, sie war wohl wirklich alt, und eine Dame schien sie auch zu sein, so kultiviert wie sie sprach, hatte über irgendeine Bekannte von mir gehört und würde sich freuen, wenn ich sie in einer sehr vertraulichen Angelegenheit aufsuchen würde.
Viktoria Freiin von Riefenstein, empfing mich in ihrer Wohnung im dritten Stock eines exklusiven Neubaus am Südufer des Steinhuder Meeres.
Es war eine der Wohnungen, um die ich die Eigentümer immer beneidete, mit einem fantastischen Blick über das ganze Meer, bis weit über den Wilhelmstein hinaus.
„Ja“, sagte Frau von Riefenstein, nachdem sie mich über den Flur in ihr Wohnzimmer geführt hatte.
„Sehen Sie sich in aller Ruhe um, während ich uns ein wenig Gebäck zum Tee hole. Sie trinken doch Tee?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie, und ich hörte sie in der Küche hantieren.
Das Wohnzimmer schätzte ich auf etwa vierzig Quadratmeter. Die dem Meer zugewandte Wand war total verglast und durch raumhohe Glastüren von dem großen Balkon getrennt, der sich über die gesamte Breite des Wohnzimmers erstreckte. Vor ihnen hingen duftige Gardinen mit zarten Blumenbouquets, die sich in leicht veränderter Form auf den Tapeten wiederholten.
Einige Scherenschnitte, vorwiegend Frauen- und Männerportraits in meist ovalen Rahmen, hingen über einem kleinen Sekretär gleich neben der rechten Balkontür.
An ihn schloss sich eine Anrichte an, ebenfalls wie alle anderen Möbel in diesem Raum selbst für mich unverkennbarer Biedermeier. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Vitrinenschrank, in dessen verglastem Mittelteil Frau von Riefenstein altes Porzellan präsentierte.
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