Uwe Woitzig
Der See des Teufels
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Inhaltsverzeichnis
Titel Uwe Woitzig Der See des Teufels Dieses ebook wurde erstellt bei
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 13
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Epilog
Impressum neobooks
Als das Waldmurmeltier an diesem warmen Junimorgen in seinem unter einem Wacholdergebüsch gelegenen Bau erwachte, merkte es sofort, dass die Luft anders roch. Erstaunt schnüffelte es mehrmals. Mit seinen sensiblen Riechorganen stellte es fest, dass sich ihr Sauerstoffgehalt drastisch erhöht hatte. Und ihre Stickstoffanteile ebenso stark reduziert waren.
Natürlich wusste das Murmeltier nichts von diesen chemischen Elementen. Aber es erkannte sehr wohl, dass die Atmosphäre rein und klar geworden war, so dass die Gerüche des Waldes, in dem es lebte, sich frei entfalten konnten. Es duftete in einer Vielfalt wie es der kleine Kerl noch nie erlebt hatte.
Und still war es. Merkwürdig still.
Keine Fahr – oder Hupgeräusche, kein Motorenlärm, kein Musik - oder Stimmengewirr drangen aus der an den Wald angrenzenden Stadt an sein Ohr. Nur die Vögel zwitscherten laut und fröhlich und das Murmeltier konnte sogar das Rauschen der Blätter der Waldbäume und Gebüsche hören.
Neugierig geworden zwängte sich der pummelige Waldbewohner, der in den letzten Jahren ziemlich fett geworden war, weil er sich immer öfter auf den Müllhalden am Rande der Stadt vollgefressen hatte, durch den für seinen Körperumfang inzwischen fast zu engen Höhlengang an die Erdoberfläche. Er watschelte auf die kleine Lichtung vor seinem Bau und sog genüsslich die frische und saubere Luft in seine Lungen.
Auf einmal vernahm das Murmeltier ein Geräusch, das es verwunderte. Es klang wie das Plätschern des kleinen Bächleins, das am anderen Ende des Waldes seinen Lauf hatte und wo es immer zum Trinken hinlief. Aber wie konnte das sein? In der Nähe seines Baus gab es kein Gewässer.
Das Murmeltier beschloss, soweit ein Murmeltier etwas beschließen kann, die Sache zu untersuchen. Es verließ die Lichtung und lief zum Waldrand, hinter dem die ihm sehr suspekte Stadt lag.
In den Halden aus Blech, Plastik und sonstigem ungenießbarem Zeug, die sich zwischen dem Wald und der Stadt angesammelt hatten, fand es zwar immer wohlschmeckende Nahrung in Form von nur halb verfaultem Gemüse und Obst, das die Bewohner der Stadt, übel riechende Menschen, die mit ihren stinkenden Maschinen laute Geräusche und Dreck erzeugten, weggeworfen hatten.
Das Murmeltier scheute jede Begegnung mit ihnen, seit ein paar Männer bei seinem letzten Ausflug in die Stadt versucht hatten, es mit Steinen zu bewerfen und zu töten. Sie hatten laut etwas geschrien, dass wie „fette Ratte“ klang. Nur ganz knapp hatten sie es mit ihren Wurfgeschossen verfehlt. Seitdem war es sehr vorsichtig geworden, wenn es sich der Stadt nähern wollte.
Am Waldrand angekommen spähte es ängstlich hinter einer mächtigen Eiche hervor, um festzustellen, ob sich Menschen in der Nähe aufhielten. Völlig verblüfft riss es seine kleinen Äuglein auf. Die waren zwar nicht mehr so gut wie früher, aber gut genug, um zu erkennen, dass die Stadt verschwunden war.
Wo gestern Abend noch in dem Tal unterhalb des Waldes dicht an dicht aus Schloten qualmende Gebäude standen, lärmende Fahrzeuge die Straßen befuhren, laut redende Menschen die Gassen bevölkerten und das Summen der Strom - und Lichtmasten sowie das Brummen der in den Häusern laufenden Maschinen an sein Ohr gedrungen war, befand sich jetzt ein stiller See, dessen spiegelglatte Oberfläche leicht vom Wind gekräuselt wurde und dessen dabei erzeugten kleine Wellen leicht gegen das Ufer schwappten, zu dem der Waldrand geworden war.
Das war das Geräusch gewesen, das das Murmeltier gehört hatte und das es nicht zuordnen konnte. Zögernd und mit vor Aufregung klopfendem Herzen trapste der putzige Bursche hinter dem Baum hervor und näherte sich dem Wasser. Vorsichtig tunkte er seine kleine Zunge in das erfrischende Nass. Es mundete ihm trotz des metalligen Nachgeschmacks ausgezeichnet.
Nachdem es den ersten Schluck getrunken hatte, war der auf mysteriöse Weise über Nacht entstandene See für das Waldmurmeltier schon zur Normalität geworden.
Es war glücklich, dass die Stadt und ihre feindseligen Bewohner aus seiner Nachbarschaft verschwunden waren.
Der kleine Höhlenbewohner, der sich ungern weit von seinem Bau entfernte, freute sich sehr, ab sofort eine Wasserstelle in unmittelbarer Nähe seiner Höhle zu haben. Von nun an musste er nicht mehr den für seine kurzen Beine sehr weiten Weg durch den ganzen Wald laufen, um seinen Durst stillen zu können.
6.894.726.831. Tick. 6.894.726.856. Tick. 6.894.726.912. Die Zahl stieg sekündlich an. Jedes Jahr um etwa 80 Millionen. In grünen Ziffern leuchtete sie auf dem Rahmen eines riesigen Bildschirms mit der Aufschrift „Erde“, der die ganze Wand eines vollkommen in Weiß gehaltenen, lichtdurchfluteten Büros bedeckte.
Auch die winzigen Lichtquadrate, die wie Sterne auf dem Schirm funkelten, waren in ständiger Bewegung. Sie erloschen und flackerten sofort wieder auf, denn jedes dieser Quadrate stand für ein menschliches Leben auf dem blauen Planeten. Die Zahl zeigte den aktuellen Stand.
Der Heilige Petrus saß an seinem Schreibtisch und las konzentriert in einer Gelb schimmernden Akte.
„Die sieben Zeichen der Apokalypse also“, murmelte er leise und seine Stirn legte sich in besorgte Falten. Dann schloss er die Mappe, die komplett aus Gold bestand, und erhob sich.
Er warf einen kurzen Blick auf den Bildschirm und da sah er es. Eins der Lichtquadrate blinkte in einem hellen Violett.
Höchste Alarmstufe.
Sofort setzte er sich wieder. Mit einem Cursor klickte er das Quadrat an und vergrößerte es.
Auf dem Monitor erschien ein dunkelgrüner, klappriger Transportbus mit der orangenen Aufschrift „Tierrettung“, der durch eine von Fachwerkhäusern gesäumte Straße einer kleinen Stadt fuhr.
Es war eine mondlose, dunkle Nacht und die Scheinwerfer des Kleinbusses waren voll aufgeblendet.
In der Fahrerkabine erkannte Petrus ein junges Pärchen.
Der Mann war ein Mittzwanziger mit sensiblen Zügen, dunkelbraunen Augen wie ein etwas scheues, aber mutiges Reh und langen, blonden Haaren. Er saß am Steuer.
Seine rotblonde Freundin hatte ihren zarten Kopf an seine Schulter gelegt, während sie eine durchnässte Katze streichelte, die sich auf ihrem Schoß zusammengerollt hatte.
Die Augen des Mädchens waren im Schein der Armaturenbeleuchtung grün und schwarz, ihre Haut weiß wie Elfenbein. Anscheinend hielt sie sich gerne im Schatten auf.
Petrus bewegte einen Regler auf dem Mischpult seines Schreibtisches. Sofort drang eine besorgte weibliche Stimme aus den in seiner Arbeitsplatte eingebauten Lautsprechern:
„Caspar, meinst du, wir schaffen es rechtzeitig in deine Praxis? Sie zuckt und bebt die ganze Zeit. Es fühlt sich an, als würde sie würgen und ersticken.“
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