„Das ist eben Onkel Augustus´ Art, Liebe zu zeigen. Er hat nichts anderes gemacht in seinem Leben als Geld zu verdienen und sich an seinem immer größer werdenden Reichtum zu erfreuen.
Also benutzt er sein Geld, um damit den wenigen Menschen, die ihm etwas bedeuten, eine Freude zu bereiten“, verteidigte Caspar seinen Onkel schwach.
Jetzt wurde Gretchen richtig sauer.
„Ach so, deshalb hat er dir zu deinem Geburtstag diesen klapprigen, sieben Jahre alten Transportbus geschenkt, den er noch dazu dem alten Bäcker Binswanger wegpfänden ließ, weil der drei Monate seine Rechnungen nicht bezahlen konnte.
Wie du auch weißt, war der arme Mann von mehreren Kunden verklagt worden, weil sie von seinem Brot einen üblen Ausschlag bekommen hatten. Das sprach sich ganz schnell rum. Ihm liefen seine Kunden weg, die seitdem nur noch in dem Supermarkt deines Onkels ihr Brot und ihre Semmeln kaufen.
Herr Binswanger hat seine Bäckerei geschlossen. Er vermutet immer noch, dass der Ausschlag von dem von der Firma deines Onkels gelieferten Mehl verursacht wurde. Doch er konnte es nicht beweisen, weil merkwürdigerweise alle Mehlsäcke plötzlich verschwunden waren. Ein wirklich liebenswerter Mensch, dein Onkel, der dich offensichtlich außerordentlich schätzen muss, wenn man sich überlegt, was er alles anstellen musste, um dir dieses Auto schenken zu können.“
Caspar fiel dazu nicht sofort eine passende Erwiderung ein. Während er noch überlegte, sah er plötzlich etwas in seinem Scheinwerferlicht auftauchen.
„Schau, da ist was passiert!“ rief er aufgeregt und deutete nach vorn.
Auch Gretchen sah jetzt den Schäferhund, der am Straßenrand neben seinem reglos daliegenden Freund stand. Er hatte seinen Kopf über den Brustkorb seines Gefährten gesenkt und rempelte ihn immer wieder zärtlich und aufmunternd mit seiner Nasenspitze an, doch der blieb regungslos liegen.
Caspar hielt direkt neben den beiden Hunden und sprang aus dem Auto. Gretchen stieg ebenfalls aus. Sie lief zu dem stehenden Vierbeiner und redete beruhigend auf ihn ein, während Caspar sich neben dem Bewusstlosen auf die Knie sinken ließ. Routiniert legte er seine Finger an die Halsschlagader des Hundes und fühlte seinen Puls.
„Ist er tot?“ fragte Gretchen, die den Caspar gespannt beobachtenden Artgenossen zärtlich zwischen den Ohren kraulte.
„Nein, aber er ist sehr schwach. Wir müssen ihn schnellstens in die Praxis bringen und ihn operieren. Schnell, hol die Trage aus dem Wagen.“
Kurz darauf bogen sie in die Auffahrt zum Schloss ihres Onkels ein, in dessen Seitenflügel Caspar sich im Erdgeschoss eine kleine, aber gut ausgestattete Praxis eingerichtet hatte.
*
Schloss Unweishaupt hatte besonders nachts etwas Unheimliches. Über 800 Jahre alt hatte es schon viel erlebt. Viel zu viel. Und meistens nichts Gutes. Das spürte jeder, der für gute und schlechte Energien eine Ader besaß. Gretchen hatte eine solche.
Sie parkten im Hof des Schlosses neben dem LKW von Big Ralf, der eine Abkürzung genommen hatte und vor ihnen eingetroffen war.
Als sie die zitternde Katze und den schwer verletzten Hund mit der Trage im professionellen Gleichschritt zu Caspars Praxis trugen, lief ihnen sein Freund hinterher, der wie selbstverständlich zu ihnen ins Auto gesprungen war, als sie die Trage mit dem darauf Festgezurrten im Innenraum befestigten.
Ein Lichtschein fiel aus dem erleuchteten Büro seines Onkels auf die Front des LKW. Aus den Augenwinkeln bemerkte Caspar eine große Beule an seinem rechten Kotflügel.
„Sollte es Big Ralf gewesen sein, der den Hund überfahren hat?“, fragte er sich. Doch dann verdrängte er diesen Gedanken und beschloss, sich zunächst auf die bevorstehende komplizierte Behandlung des Vierbeiners zu konzentrieren.
„So langsam fange ich an, zu verstehen, warum der violette Alarm ausgelöst wurde“, sagte Petrus leise. „Wir werden gut auf die Beiden und ihre Freunde aufpassen müssen. Sie sind alle in großer Gefahr. Aber nicht nur sie. Wenn das, was auf dem LKW ist, tatsächlich zum Einsatz kommt und der damit in Zusammenhang stehende, gewissenlose Plan gelingt, geht es in der Tat um die Existenz des blauen Planeten.“
Kapitel 2
„Du musst ja gefahren sein wie der Teufel, dass du schon heute Nacht aus der Ukraine zurück bist! Hast du alles bekommen, was du holen solltest?“
Augustus Miller saß hinter seinem Schreibtisch und blickte wohlwollend auf den Hünen, der zufrieden lächelnd vor ihm stand.
Augustus war in der Tat ein mächtiger Mann, was sich schon durch seine äußere Erscheinung ausdrückte. Wie sein Sohn Biff liebte er Burger und Pommes Frites und aß tonnenweise Eiskrem.
Diese Nahrungsexzesse waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Augustus war 1,98 groß und wog 296 Kilo. Sein gewaltiger Schädel mit dem wirren, dichten Haarschopf ruhte auf einem Hals mit drei Kinnen, die in einen massigen Oberkörper mit einem fetten Bauch übergingen, der so schwer war, dass er nur noch von zwei Elefantenbeinen getragen worden konnte, die auf Füßen mit der Schuhgröße 61 ruhten.
„Hab ich, Boss. Die haben mir allet gegeben, wat wir von ihnen haben wollten“, antwortete Big Ralf in seinem harten Ruhrpottdialekt.
„Das ist sehr gut. Nun, wir haben ihnen auch ein anständiges Sümmchen dafür bezahlt. Allerdings bin ich gespannt, wie sie reagieren werden, wenn sie herausfinden, dass wir ihnen Dollarscheine gegeben haben, die einst Saddam Hussein mit den gestohlenen Druckplatten aus Kuweit gedruckt hat. Aber das wird eine Weile dauern, vermute ich. Selbst das Papier der Scheine ist nämlich Originalpapier, nur die Seriennummern stimmen nicht. War ein guter Deal damals, die Dollars im Verhältnis 10:100 zu kaufen.“
Augustus lächelte zufrieden, als er daran dachte, wie ihm dieser grimmig aussehende Iraker 100 Millionen US Dollar in 100 Dollar Noten zum Preis von 30 Millionen angeboten hatte. Selbstverständlich hatte er ihn auf 10 Millionen heruntergehandelt, dafür dann aber insgesamt 400 Millionen gekauft. Und davon hatte er jetzt neunzig Millionen benutzt, um sich das Material zu beschaffen, das er für das größte und verwegenste Projekt brauchte, das er je gewagt hatte.
Allerdings ohne die Zustimmung seiner Milderberger Logenbrüder hätte er es nie in Angriff genommen, aber mit deren unerschöpflichen Finanzmitteln und ihren weltweiten Verbindungen im Rücken traute er sich zu, es durchzuführen. Außerdem hatte er noch einen sehr, sehr mächtigen Verbündeten, der ihm zur Seite stand.
„Wo soll ich die Ladung abladen, Boss?“ fragte Big Ralf und unterbrach damit seine Gedanken.
„Lass sie vorläufig noch auf dem LKW. Wir müssen am Zielort noch einige Arbeiten vollenden, bevor sie dort abgeladen werden kann. Fahre den Wagen in den Stollen des stillgelegten Bergwerks, dort findet ihn niemand. Ich möchte nicht, dass mein Neffe oder seine verrückte Freundin entdecken, was wir vorhaben. Sonst geht ihr verdammtes Geschrei wegen Umweltschutz wieder los. Nimm das Motorrad, das dort steht, und komm so schnell wie möglich wieder her.“
„Wird erledigt, Boss. Ach, übrigens, als ich von der Autobahn kam, habe ich ihren Neffen und seine Freundin gesehen. Sie kamen mir mit ihrem Kastenwagen mit dieser albernen Aufschrift entgegen. Was zum Teufel macht der Junge um 4 Uhr nachts auf den Straßen?“
Augustus seufzte. Caspar. Sein größter Stein im Schuh. Der Junge geriet immer mehr seiner idealistischen Schwester nach. Statt sich aufs Geldverdienen zu besinnen und in seine Firma einzusteigen, sammelte er verletzte Tiere ein und operierte sie. Umsonst natürlich. Auch in seiner Praxis nahm er von den Leuten nur das Geld, das sie ihm freiwillig gaben.
Jedes Mal, wenn er ihn auf sein idiotisches Samariterverhalten angesprochen hatte, hatte Caspar auf stur geschaltet oder war einfach aus dem Zimmer gegangen.
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