Der junge Mann schluckte hastig den letzten Bissen der Schokolade herunter, die er gerade gegessen hatte. Er legte seine Hand auf den Rücken der schwer atmenden Katze.
„Keine Sorge, Gretchen, sie ist nur stark verkühlt. Es ist ein Wunder, dass sie sich mitsamt der an ihren Hals gebundenen Flasche aus den eisigen Fluten ans Ufer retten konnte. Aber das spricht für ihren starken Lebenswillen.“
„Ach Caspar, ich bin immer wieder entsetzt, wenn ich sehe, was Menschen den Tieren antun.“
Während er aufmerksam der Unterhaltung der Beiden lauschte, tippte Petrus die Namen „Gretchen“ und „Caspar“ in die Suchmaschine seines Personal Computers.
Auf dem Monitor erschienen die gesuchten Daten.
„Caspar Hauser, 25 Jahre alt, Tierarzt und Idealist. Sohn von Elisabeth und Hans Hauser, die als Tierschützer bei den Berggorillas im Kongo lebten. Sie wurden zusammen mit der von ihnen betreuten Gorillafamilie von Wilderern ermordet.
Nur Caspar überlebte, weil eine sterbende Gorilladame sich schützend über ihn geworfen hatte und die Wilderer den bewusstlosen, mit ihrem Blut besudelten Caspar für tot hielten.
Er wurde von Mitgliedern eines Stammes gefunden, die mit seinen Eltern befreundet waren und die die Schüsse gehört hatten. Sie übergaben Caspar an einen weißen Missionar.
Der sorgte dafür, dass er nach Ratzenburg an der Issel, einem kleinen Städtchen in Deutschland mit 12.000 Einwohnern, zu seinem Onkel Augustus Miller, dem Bruder seiner Mutter, gebracht wurde. Bei ihm ist er aufgewachsen. Miller hat ihm auch sein Studium finanziert.“
„Augustus Miller, also. Ausgerechnet Augustus Miller“, seufzte Petrus.
Dann las er gespannt weiter.
„Auf seinem Gymnasium gründete Caspar die „Agenten des Lichts“, eine Organisation, der sich bis heute fast ein Viertel aller Jugendlichen Ratzenburgs anschlossen. Sie hat sich den Umwelt – und Tierschutz als Hauptaufgabe gesetzt und bekämpft die Projekte der Firmen von Caspars superreichem Onkel mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln.“
Petrus lächelte erfreut und drückte erneut eine Taste.
Auf dem Bildschirm erschien das Foto eines hübschen, rothaarigen Mädchens mit einer randlosen Brille.
„Gretchen Nabel, 22 Jahre“, las Petrus. „Sie wuchs als Waise bei den katholischen Fräuleins in Ratzenburg auf, weil ihre Eltern an einer Greenpeace-Aktion gegen das Abschlachten der Wale teilnahmen und ihr Boot von einem japanischen Walfänger gerammt und versenkt wurde.
Für die Insassen des Bootes kam jede Hilfe zu spät. Gretchen schloss sich vor einigen Jahren den „Agenten des Lichts“ an. Bei der Weihnachtsfeier der „Agenten“ vor einem Jahr verliebte sie sich in Caspar und er sich in sie. Seitdem sind sie unzertrennlich.“
„Schalte den Zoom ein“, sagte plötzlich eine weibliche Stimme sanft. Petrus fuhr erschrocken zusammen.
„Musst du dich immer so leise anschleichen, Angela? Kannst du nicht wenigstens ein Glöckchen läuten, wenn du den Raum betrittst?“
Der hinter Petrus aus dem Nichts aufgetauchte dunkelhäutige Engel, der seine persönliche Assistentin war, lächelte spitzbübisch. Sie war auf Erden mit einem Hollywoodregisseur verheiratet gewesen und hatte es geliebt, sich an ihn heranzuschleichen und ihn zu überraschen, um seine coole Fassade bröckeln zu sehen.
Diese Angewohnheit hatte sie auch im Himmel nicht ablegen können.
„Entschuldige Chef, wenn ich dich erschreckt habe“, sagte sie deshalb nur scheinbar reumütig. „Ich habe auf meinem Schirm den violetten Alarm gesehen und habe mich zu dir hergedacht. Soweit ich weiß, wird dieser Alarm doch nur ausgelöst, wenn es um die Existenz eines Planeten geht. Aber bis jetzt kann ich noch nichts besonders Bedrohliches erkennen.“
„Nun, dieser Augustus Miller verheißt nichts Gutes. Er ist im Kontakt mit unserem speziellen Freund Luzifer. Wie eng ihre Verbindung ist, weiß ich allerdings nicht. Es würde mich aber nicht wundern, wenn Luzifer sich in einer seiner Maskeraden ständig in Millers Nähe herumtreiben würde und ihn berät und beeinflusst.
Wenn es ihm gelungen sein sollte, Miller dazu zu bewegen, sein riesiges Vermögen und seine Macht einzusetzen, um ein neues gigantisches Ölbohrungs-, Staudamm – oder Autobahnprojekt durchzuführen, könnte es sehr gefährlich für die Umwelt der Erde und für Caspar, Gretchen und die Agenten des Lichts werden. Ok, schalten wir mal den Zoom ein.“
Auf dem Monitor war das aus der Vogelperspektive aufgenommene Bild des friedlich schlummernden Ratzeburgs zu sehen.
Alles schien ruhig zu sein. Es gab fast keinen Verkehr. Nur ein paar späte Nachtbummler ließen sich von drei Taxis nach Hause fahren und zwei Polizeiwagen waren auf Streife unterwegs. Und ein einsamer, alter Mann. Ohne Familie, ohne Freunde, ohne Haus. Und ohne etwas zu essen. Einsam und verlassen, wie so viele auf dieser Erde.
„Da, schau!“
Angela betätigte erneut den Zoom. In Großaufnahme waren zwei Schäferhunde zu sehen, die friedlich nebeneinander an der in die Stadt führenden Bundesstraße entlang liefen, die die Stadt mit der Autobahn verband.
In diesem Augenblick bog ein LKW mit Anhänger von der Autobahn auf die Bundesstraße ein und fuhr Richtung Stadt. Deutlich war an den Seiten seiner Aufbauten die Aufschrift „Augustus Miller“ zu lesen.
Der Vierzigtonner beschleunigte und fuhr direkt auf die beiden Hunde zu.
Angela ergriff Petrus Arm und stöhnte entsetzt auf.
Auf der Höhe der beiden Tiere machte der schwere Lastzug plötzlich einen Schlenker.
Einer der beiden Hunde wurde von dem Vierzigtonner gerammt und meterweit durch die Luft geschleudert. Er blieb regungslos am Straßenrand liegen. Ohne abzubremsen fuhr der Fahrer weiter, während der andere Hund zu seinem Gefährten rannte und ihn immer wieder sanft mit seiner Schnauze an stupste.
Petrus schnaufte.
Schnell drehte er an einigen Knöpfen. Das Gesicht eines höhnisch grinsenden Mannes erschien auf dem Bildschirm, der lässig sein Lenkrad mit der Linken hielt und sich mit der Rechten eine Zigarette anzündete. Im Schein des aufflackernden Feuerzeugs war deutlich ein Schild zu erkennen, das er an der Rückwand der Fahrerkabine neben seinem Kopf befestigt hatte.
„Big Ralf“, lasen Petrus und Angela. Petrus machte sich eine Notiz.
„Das werde ich in seiner Akte vermerken, da kannst du sicher sein.“
„Aber was ist mit dem angefahrenen Hund? Können wir nichts tun für ihn?“ fragte Angela.
„Müssen wir nicht, Hilfe ist schon unterwegs“, erwiderte Petrus und deutete auf den Schirm, den er erneut auf Vogelperspektive umgestellt hatte.
Tatsächlich war wieder der Kleinbus mit der Aufschrift „Tierrettung“ zu sehen, der stadtauswärts die Bundesstraße direkt auf den LKW zufuhr. Als sie auf gleicher Höhe waren und er den Bus des Neffen seines Chefs erkannte, ließ Big Ralf zur Begrüßung sein Horn ertönen.
„Rücksichtsloser Kerl, dieser Big Ralf. Um diese Zeit einen solchen Lärm zu machen. Er weckt die ganze Stadt auf. Ich frage mich, wo mein Onkel immer diese gewissenlosen Burschen herbekommt, die bei ihm angestellt sind“, sagte Caspar empört, als der LKW ihn passiert hatte.
„Gleich zu gleich gesellt sich gern“, erwiderte Gretchen spitz.
„Ich weiß, dass mein Onkel alles andere als eine Mutter Theresa ist. Aber immerhin hat er mich nach dem Tod meiner Eltern bei sich aufgenommen und mir mein Studium und meine Praxis finanziert.
Dafür werde ich ihm immer dankbar sein“.
„Ja, ja, und dafür behandelt er dich schlimmer als den letzten Laufburschen, während er seinem fetten Sohn Biff, dessen einziger Lebensinhalt das Vertilgen riesiger Mengen von Junk Food zu sein scheint, vergöttert und ihm jeden seiner Wünsche erfüllt. Warum zum Beispiel hat er ihm diesen roten Ferrari geschenkt? Biffs Elefantenkörper passt doch niemals in das enge Cockpit dieses Autos!“
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