„Na Pfeffer, da haben Sie aber ordentlich die Sau rausgelassen. Mann, Mann, Mann, und das auf einer Beerdigung, alle Achtung!“ Er winkte die Kellnerin heran und bestellte ein Glas Wasser ohne Sprudel.
„Ich..“ Pfeffer wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Irgendwie war sein Gesprächskonzept durch Müllers Heiterkeit völlig implodiert. „Ich ... Es tut mir leid, ich glaube, das habe ich wirklich verbockt, so wie es aussieht.“
„Machen Sie sich nicht in die Hose, Pfeffer. Wir sind deswegen nicht böse auf Sie. Wir sind ja schließlich auch alle nur Männer. Ich habe mir die Kleine übrigens angesehen, gar nicht so schlecht!“ Er zwinkerte anerkennend.
„Angesehen? Waren Sie da?“ Pfeffer war irritiert.
„Natürlich nicht, was soll ich denn auf der Beerdigung von einem völlig Fremden? Nein, Michaela Rebschläger hat eine Akte beim Verfassungsschutz. Nichts Weltbewegendes, ein bisschen roter Brigantismus. Ist einmal bei einer Demo gegen den Doppelbeschluss verhaftet worden, weil Sie einen Polizisten als Fascho-Schwein beschimpft und angespuckt hat. Ich glaube, das ist aber eher so ein familiäres Ding. Opa Rebschläger war nämlich in der Partei.“ Müller bekam jetzt sein Wasser.
„CDU?“, fragte Pfeffer ungläubig.
„NSDAP, Sie Idiot! Vierstellige Mitgliedsnummer, das will schon was heißen. Hat aber nach dem Krieg irgendwie einen Persilschein bekommen und dann, na ja, das Übliche halt.“
Pfeffer war erleichtert und überlegte, ob er jetzt nicht doch ein Bier bestellen sollte. Müller hingegen sprach weiter.
„Entschuldigen Sie übrigens, dass ich mich ein wenig verspätet habe, heute ist der Teufel los. Ich habe auch nicht allzu lange Zeit, deswegen lassen Sie uns gleich zum Punkt kommen.“ Er schlürfte einen Schluck aus dem Wasserglas und man sah im den Ärger deutlich an, als er feststellte, dass die Bedienung ihm nun doch karbonisiertes Wasser gebracht hatte.
„Also Pfeffer, das mit dem Beerdigungsinstitut ist natürlich eher unschön, aber was soll’s. Wir hätten Sie da jetzt wahrscheinlich ohnehin abgezogen. Es hat sich nämlich spontan etwas anderes ergeben.“
„Etwas anderes?“
„Etwas anderes. Genau. Ich kann Ihnen noch keine weiteren Details geben, wir sind sozusagen noch in der Planung, aber Sie sollten schon mal wissen, dass Sie sich bereit zu halten haben. Von daher war es gut, dass Sie noch mal die Sau raus gelassen haben, mein Lieber. Ab jetzt sollten Sie nämlich auf Ausfälle vorübergehend verzichten.“
„Sie sind hergekommen, um mir das zu sagen?“, beinahe war Pfeffer empört. Müller entging dies nicht und er reagierte mit väterlichem Ernst.
„Nein, ich bin hergekommen, um Ihnen dienstliche Anweisungen zu geben.“ Er machte eine kurze Pause. „Sie werden uns einen Gefallen tun. Nicht Großes, aber da Sie zum ersten Mal richtig aktiv werden, sollten Sie ein paar Dinge beachten. Erstens: Sie machen eine Woche Urlaub und erholen sich vernünftig. Allein! Kein Alkohol, keine Weibergeschichten, haben Sie das verstanden? Am besten, Sie fahren irgendwo an die Nordsee und lassen mal die Seele baumeln. Amrum soll doch schön sein. Außerdem sollten Sie zum Arzt gehen und sich einmal komplett durchchecken lassen. Blutbild, EKG, das volle Programm. Wir können niemanden gebrauchen, der mit heißem Gepäck an der Grenze einen Herzkasper bekommt. Drittens ...“
Einen Moment mal. Hatte er gerade? Ja, er hatte gerade!
„Wie, was? An der Grenze? An welcher Grenze? Was soll das heißen?“ Pfeffer war sichtlich erschrocken.
„Grenze?“, fragte Müller streng, „kein Mensch hat hier was von Grenze gesagt, Pfeffer. Also, drittens: Sie kaufen sich einen vernünftigen Anzug und ein anderes Auto. Und dann sehen wir uns in anderthalb Wochen wieder. Aber nicht hier, wir waren jetzt schon zu oft hier.“
Und Schwups war das Wort Grenze von seinem Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis gewandert und dort geendlagert. Auto? Neu? Was für eine Unverschämtheit!
„Wieso denn ein anderes Auto? Was ist denn mit meinem nicht in Ordnung?“ Richard genannt Rick Pfeffer brauchte die Empörung nicht zu spielen, sie kam aus der Tiefe seiner Seele.
„Sie sollen Ihr Auto ja nicht verkaufen. Aber Sie brauchen ein Fahrzeug, das, na ja, das ein bisschen weniger auffällig ist.“ Müller versuchte sanft zu klingen.
„Ich kann mir aber kein zweites Auto leisten.“ Pfeffers Protest klang schon wieder ab, aber die Empörung war geblieben.
„Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen. Sie haben doch schon Geld von uns bekommen. Fünftausend, wenn ich nicht irre.“
Empörung weg. Hallo Scham, alter Freund!
„Das ähm ...“ Stammel, stammel. „Ich habe das schon alles ausgegeben.“
„Ausgegeben?“ Müller klang nicht überrascht.
„Eher investiert, würde ich sagen. Also, das war so eine ganz verrückte Sache ...“
„Mir ist es egal, wofür Sie Ihr Geld ausgeben, Pfeffer. Sie werden dieselbe Summe noch einmal erhalten. Versprechen Sie mir nur, dass Sie sich davon angemessene Kleidung und einen normalen “, er machte in der Luft mit den Fingern Anführungszeichen „PKW kaufen. Haben Sie sonst noch Verbindlichkeiten, die Sie begleichen müssen?“
„Nein, nichts“, log Pfeffer.
„Dann ist es ja gut. Also: Sie gehen zum Arzt, Sie entspannen sich, und Sie sorgen für ein unauffälliges Äußeres. Und das alles in den nächsten zehn Tagen. Haben Sie das verstanden, Pfeffer?“
„Völlig verstanden“, sagte Pfeffer tonvoll und nun wieder selbstsicher.
„Wirklich? Keine Affären. Keine Exzesse. Kein Casino. Wenn Sie glauben, dass Sie das nicht durchhalten, dann sagen Sie es lieber jetzt gleich.“
„Ich fahre ans Meer und mache eine Saftkur oder was auch immer. Zufrieden?“
„Gut. Ich werde Sie rechtzeitig informieren, wo und wann wir uns treffen. Sie kümmern sich um alles, wie besprochen. Und Pfeffer:“, er hob jetzt den Zeigefinger vor die Brust „Nochmal, Pfeffer: keine Eskapaden bis dahin. Das meine ich wirklich ernst. Und vergessen Sie nicht: wir beobachten Sie!“
Oberleutnant Hans Müller trank sein Glas aus, stand auf, zog Mantel und Hut wieder an und verabschiedete sich mit einer förmlichen Herzlichkeit von Pfeffer. Noch schnell – klingeling – Zwei Mark für das Wasser auf den Tisch gelegt, dann ging er zur Tür hinaus und war weg. Rick Pfeffer blieb wie zurückgelassen auf seinem Platz sitzen und wusste, dass er sich in diesem Moment über alles Mögliche Gedanken machen sollte. Hatte Müller nicht Grenze gesagt? Und was sollte das für ein Gefallen sein, den er ihm tun sollte? Den er dem BND tun sollte? War es gefährlich? Ja, ja, über all das hätte er sich Gedanken machen sollen. Machte er aber nicht. Richard genannt Rick Pfeffer machte sich Gedanken über die Zahl Fünftausend und er machte sich Gedanken darüber, was er mit so viel Geld so alles anstellen könnte.
Den Auftrag aber, welchen Müller ihm gegeben hatte, diesen Auftrag nahm er sehr ernst. Reisepläne. Seiner Frau erzählte Pfeffer, die CDU habe ihn nach Kiel gebeten, dort sei ja bald Wahlkampf und man wollte seine Meinung zu ein paar Dingen hören. Inoffiziell versteht sich, um keinen unnötigen Staub aufzuwirbeln. Tuschel, Tuschel, Decke drüber. Aber da ein Experte wie er nun mal gefragt sei in diesen Zeiten und es ja außerdem um Deutschland ginge, hätte er nicht Nein sagen können. Darüber hinaus würden die für alles sorgen, ihn sogar mit dem Taxi direkt vor der Tür abholen lassen, eine Woche Vollpension Fünf Sterne, dazu Getränke frei und so weiter. Staatsfinanzen, Budget, Geld spielt keine Rolle. Man kennt das ja. Steuergelder, ja na klar, aber was wäre wenn die Roten? Da wollen wir lieber mal gar nicht dran denken. Seine Frau hatte nur genickt und ihm wahrscheinlich kein Wort geglaubt, aber wenn er ehrlich war, war es Pfeffer eigentlich auch gleichgültig.
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