K.T. Rina - Des Vaters, der Tochter, und des ewigen Geistes
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K.T. Rina
Des Vaters, der Tochter,
und des ewigen Geistes
www.422b1.com
Gewidmet an jedem, dem ich sowas wie ein Schmunzeln bereiten konnte.
Vielen Dank an all die Leute…sie sind so wenig, dass ich sie gar nicht bei Namen erwähnen kann. Nun gut, das war nun der letzte Witz des Buchs.
E–Mail an Gott
1
Wer braucht schon Erfolg? Unsere Arbeiten werden sowieso mit dem Lauf der Zeit in Vergessenheit geraten…Wer braucht schon Freunde? Sie amüsieren sich über dich, bis sie genug von dir haben und jemand besseres finden…Wer braucht schon Liebe? Sterben werden wir alle eh allein, und das Leben hat sowieso nichts nach dem Tod zu bieten. Warum überhaupt leben? Es gibt absolut nichts, das mich hier hält, dachte sich Siegfried. Er fuhr von der Arbeit mit dem vollgeladenen Bus nach Hause, mit den gleichen Fremden wie an jedem Abend. Er blickte auf die überfüllten Straßen und die Autos, in denen jeweils nur eine Person drin saß. Alle fuhren in dieselbe Richtung, doch war ihr Ziel dasselbe?
„Kanns‘e nich‘ lesen? Auf ‘er Website steht KEINE Anrufe!“ schrie das Mädchen neben ihm so laut, dass Siegfried sie sogar durch die melancholische Musik der Kopfhörer gehört hatte. Sie trug langes weiß gefärbtes Haar, wobei die linke Kopfhälfte glatt rasiert war und zahlreiche Piercings am linken Ohr glänzen ließ. Er nahm einen Kopfhörer aus dem Ohr und lauschte dem Telefonat.
„Ehm, ist das wirklich Gott?“ fragte die krächzende Stimme am Telefon. Siegfried pausierte seine Musik.
„Jo. Schieß los, was wills‘e?“ antwortete das Mädchen genervt.
„Eh, ja, ok. Ich will eine, eine Engelsstimme haben.“
„Metaphorisch oder wörtlich?“ sagte das Mädchen und blickte über ihre langen schwarzen Fingernägel.
„Meta–phorisch“, die Stimme hatte sich bei der Hälfte des Wortes in einen wundervoll resonierenden Sopran gewandelt, „Ich glaub es nicht. Es hat wirklich funktio…“ Das Mädchen beendete das Gespräch abrupt.
Siegfried konnte nicht glauben, was er gerade miterlebt hatte: Dieses Mädchen, das die Stimme am Telefon Gott nannte, hatte ihm einen Wunsch erfüllt. Siegfried spickte auf den Bildschirm des Mädchens. Sie scrollte durch einige E–Mails auf denen Namen und Bilder von den verschiedensten Leuten zu sehen waren: Alt, jung, schön, hässlich, rot–, dunkel–, hell– oder nicht–haarig), Männer, Frauen und Kinder. Alle hatten ihren eigenen Wunsch unter dem Foto, soweit Siegfried lesen konnte. Denn wie verschieden die Leute auf den Fotos waren, so waren die E–Mails in verschiedenen Sprachen und verschiedenen Schriften geschrieben. Sie öffnete eine Mail, wo eine schwer für die Augen anzuschauende Frau schrieb, dass sie sich einen schönen Mann wünschte. Siegfried hatte kaum Zeit sich den Namen durchzulesen, da löschte das Mädchen die E–Mail und öffnete die Nächste. Ein kleiner, blonder Junge schrieb, er wollte seine Mutter wiederhaben; es war zwar auf Kyrillisch, aber so viel konnte Siegfried verstehen, zumal es in einer kindlichen Ausdrucksweise geschrieben war. Auch diese Mail wurde innerhalb weniger Augenblicke gelöscht und durch die Nächste ersetzt. Siegfried stürzte nach vorne als der Bus anhielt und verlor für einen Moment den Blick auf ihr Handy. Als er sich drehte, stieg sie bereits aus. Er überlegte nicht und folgte ihr impulsiv, obwohl seine Endstelle noch weit entfernt war.
„Entschuldigung“, rief er ihr nach, doch sie beschäftigte sich weiter mit dem Handy. „Pardon, du mit den weißen Haaren.“ Das Mädchen blieb still stehen und steckte das Handy in die hintere Hosentasche ihrer schwarzen Hotpants.
„Was is‘ denn jetzt?“ fragte sie ohne sich umzudrehen.
„Sorry, aber ich hab deine E–Mails mitgelesen und...“
Die Weißhaarige drehte sich um und lief direkt auf Siegfried zu. Er war zwar zwei Köpfe größer als sie, aber er fühlte sich zwei Köpfe kleiner. Sie starrte ihn böse an, die Brauen nach innen rotiert und das Septum in ihrer Nase wippte mit ihren Luftausstößen. „Und du wills‘ auch ‘nen Wunsch erfüllt?“
Siegfried blickte in ihre Augen, die durch Kontaktlinsen komplett schwarz aussahen, und fühlte, wie sie ihn durchbohrten und durchschauten. „Ich will, dass du meine Freundin wirst.“
Ihr Blick wechselte sich sofort in ein freundliches Lächeln und sie sagte ihm: „Ok, komm mit, Siegfried.“
„Woher kennst du meinen Namen?“ Sie tippte ihm auf die Brust, wo sein Namensschild dranhing. Er klatsche seine Hand direkt über seine Augen. In diesem Moment schnappte sie sich Siegfrieds Handy aus der Hosentasche und tippte wild darin rum. „Hey, was soll das.“ Er versuchte, sein Handy wieder zurück zu ergattern, aber sie wendete sich von ihm und er war wie von einer unsichtbaren Barriere blockiert, näher heranzutreten. Sie schmiss das Handy über ihre Schulter und Siegfried fing es nach einer kleinen Jongliereinlage auf.
„Ein kleiner Hinweis, Siegfried. Du darfst dir nie wieder was wünschen.“
„Du bist nicht wirklich Gott, oder?“ fragte er, während er ihr an der Seite folgte.
„Warum glaubs‘e das denn nich‘?“ Ihr Handy klingelte. „VERDAMMT NO‘MAL! AUF ‘ER WEBSITE STEHT KEINE ANRUFE!“
„Tut mir aufrichtig Leid“, sagte die Stimme ganz leise bevor das Gespräch beendet war.
„Du kannst ja die Anruffunktion ausstellen, wenn es dich so sehr stört.“ Sie schaute ihn fragwürdig an und tippte dann furios auf ihrem Handy.
„Wir sind jetzt wirklich Freunde, Siegfried. Übrigens, du kannst mich Gott nennen, kürzer wird ‘er Name eh nich‘.“ Sie schüttelten sich die Hand und sie ging munter weiter, das Handy in der Hand. Er schüttelte den Kopf und dachte laut: „Ich muss nach Hause, ich hab ja doch keine Zeit für solche Dummheiten.“
„Alles klar, wohin geht’s?“
Er bedachte erst zu antworten, aber er ignorierte sie und ging wieder zurück zur Haltestelle, sie ihm hinterher. „Ehm, Gott , du kannst nicht mitkommen.“
„Ich bin dein Freund, Siegfried, das wolltest du . Wenn dir Gott zu abstrakt oder zu nah is‘, kann ich ja ‘nen and‘ren Namen finden.“ Sie suchte über ihr Handy nach „Namen von Gott“. Sie murmelte einige bekannte Bezeichnungen vor sich her: „…Ah, das is‘ doch fein. Nenn mich einfach Nüwa.“
„Nüwa? Wie auch immer.“ Siegfried setzte sich auf die Bank an der Haltestelle und Nüwa setzte sich neben ihn und fuhr mit ihren E–Mails fort. „Du warst doch irgendwo hin unterwegs, Nüwa? Warum bist du dann hier?“
Sie lächelte ihn an und sprach: „Wir sin‘ doch jetzt Freunde, Siegfried, da komm ich halt mit zu dir. Und ich war nich‘ wo hin unterwegs; ich geh einfach willkürlich um ‘e Welt.“
„Hast du kein Zuhause? Deine Eltern warten sicherlich auf dich.“
„Du glaubs‘ immer noch nich‘, dass ich Gott bin? Hier!“ Im selben Augenblick verschwand das weißhaarige Mädchen für einen alten Mann mit einem langen weißen Bart, der statt der Haare auf dem Kopf baumelte, und ebenso weißen Roben. „Passt dieses Bild besser zu deinen Vorstellungen?“ tönte der tiefe Bass aus dem Mund, welcher sich hinter dem flauschigen Bart verbarg. Der Bart war so flauschig, dass Siegfried nach ihm griff: „Du bist Gott ?!“
„Endlich hass‘e es begriffen“, sagte die genervte Stimme des Mädchens wieder, und statt des Barter hielt Siegfried nun die glatt rasierte linke Seite von Nüwa in der Hand. Er schaute sich um und dann wieder auf Nüwa. „Wenn wir bei dir sin‘, muss ich mein Handy aufladen; diese billigen Akkus halten nich‘ mal ‘nen Tag aus.“
Siegfried war noch gänzlich verwirrt von all dem, was geschehen war, dass er beinahe seinen Bus verpasst hatte, doch Nüwa zerrte ihn zum Glück hinein.
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