Rudolf Eucken - Der Sinn und Wert des Lebens

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Rudolf Eucken

Der Sinn und Wert des Lebens

Die Wohnung des Lebens

sind viel weiter denn die

Wohnungen des Todes.

Luther.

Vorwort zur ersten Auflage

Mit einer Behandlung der Frage nach dem Sinn und Wert des Lebens suche ich die inneren Probleme der Gegenwart jedem einzelnen möglichst nahe zu bringen und ihn zur Teilnahme daran zu gewinnen. Solche Fassung der Aufgabe zog der philosophischen Erörterung bestimmte Grenzen: daß es aber innerhalb dieser Grenzen genug zu klären gibt, das hofft die Untersuchung selbst zu zeigen. Dem einen oder anderen Leser wird vielleicht der erste kritische Teil zu weit ausgesponnen scheinen. Aber es konnte die entscheidende Hauptthese, an der die Möglichkeit einer Wiederbefestigung des Lebens und einer Verjüngung der Kultur hängt, ihre volle Überzeugungskraft nur erlangen, wenn sie als der einzig mögliche Weg zum Ziele erwiesen war; dafür aber war jene Kritik unentbehrlich, sie steht nicht neben, sondern in der Sache.

Jena, Dezember 1907.

Vorwort zur fünften Auflage

Zwischen der vierten und der fünften Auflage liegt der Beginn und der Verlauf des Weltkriegs; notwendig mußten seine Eindrücke und Erfahrungen auch auf das Gesamtbild des menschlichen Lebens wirken, und solche Wirkung mußte sich auch auf eine Untersuchung erstrecken, welche sich mit dem Sinn und Wert des Lebens befaßt. So ist denn diese neue Auflage aufs gründlichste umgestaltet, ja völlig erneuert worden, ganze Abschnitte sind stark verkürzt, andere neu hinzugefügt worden, das Ganze ward straffer zusammengefaßt und mehr in den Dienst eines einzigen Hauptgedankens gestellt. So wenig ich meine Grundanschauungen zu verändern brauchte – die Erfahrungen des Krieges haben sie nur bestätigt – , ihre Darstellung mußte kräftiger werden, die Gegensätze waren schärfer zu scheiden, die Forderungen deutlicher herauszuheben. So hoffe ich, daß das Buch an innerem Leben gewonnen hat, und daß zugleich sein Verhältnis zur Gegenwart in Ja und Nein enger geworden ist. Mein Hauptwunsch geht dahin, in unserer wirren Zeit möchte es suchenden und kämpfenden Seelen irgendwelche Förderung bringen.

Jena, im Juli 1917.

Rudolf Eucken.

Einleitung

Die Frage nach einem Sinn und Wert des Lebens macht ruhigen Zeiten wenig Sorge, da dann die Umwelt dem Einzelnen einen festen Lebenszusammenhang zuführt, ihm darin einen sicheren Halt und eine Antwort auf etwaige Zweifel gibt; sie wird erst dringend, wenn über den Grundstock des Lebens eine Unsicherheit entsteht, wenn sich in ihm Spaltungen bilden und das Handeln nach verschiedenen Richtungen ziehen. Dann müssen wir wohl oder übel unsere Zuflucht zum eigenen Denken nehmen, dann müssen wir suchen, mit seiner Hilfe wieder eine Hauptrichtung des Lebens zu gewinnen und in der Arbeit dafür eine Wehr und Waffe gegen all das Dunkle und Feindliche, das unaufhörlich auf uns eindringt. So erweist das Fragen und Mühen um einen Sinn und Wert des Lebens immer einen geistigen Notstand, einen solchen erweist es auch heute. Dieser Notstand ist keineswegs eine bloße Folge des Krieges, er reicht weit hinter ihn zurück und ist aus dem Ganzen des modernen Lebens mit Notwendigkeit hervorgegangen. Dieses Ganze hat sich in verschiedenartige Ströme gespalten, die auseinandergehende Richtungen verfolgen und abweichende Wertschätzungen enthalten. Namentlich stehen hier gegeneinander eine unsichtbare und die sichtbare Welt. Der früheren Zeit galt jene als der Kern der Wirklichkeit und als der Hauptstandort echten Lebens, während die Neuzeit mehr und mehr die sichtbare Welt auch zur geistigen Heimat des Menschen macht und alle seine Ziele von ihr erhofft. Innerhalb der Hauptrichtungen aber erschienen weitere Unterschiede und trieben das Leben auseinander, das freudige Ja der einen wurde den anderen zum herben Nein, eine peinliche Unsicherheit griff um sich und mußte zur Schwächung alles Strebens wirken, das die Notwendigkeit des Lebens und die selbstischen Zwecke überschreitet. So mußte die Menschheit bei aller Fülle äußerer Berührungen sich innerlich mehr und mehr zerwerfen und ein gegenseitiges Verständnis verlieren. Ernsteren Seelen waren diese Gefahren schon vor dem Kriege deutlich geworden, und an Bemühungen, sie zu überwinden, hatte es nicht gefehlt. Aber die Breite der Zeit fühlte sich viel zu sehr in reichem Kulturbesitz und wurde durch die Befassung mit ihm viel zu sehr festgehalten, um diesen Fragen viel Aufmerksamkeit zu schenken; so blieb das Mühen um sie im Hintergrunde und erlangte nicht die nötige Kraft. Der Krieg hat die Lage weiter verschärft, er stempelt die willenlose Ergebung in die Widersprüche des Daseins zu flacher und niedriger Art. Er zeigt uns handgreiflich die völlige Abhängigkeit unseres Lebens und Strebens von dunklen Geschicken, er zeigt die Menschheit bei sich selbst gespalten und bis zu wildem Haß verfeindet, er zeigt im Völkerleben eine häßliche Mischung moralischer Unlauterkeit und intellektueller Schwäche, er zeigt freilich auch viel Kraft in den Völkern und viel Aufopferungsfähigkeit für gemeinsame Zwecke, aber im Gesamteindruck stellt er die Lage der Menschheit als höchst verworren und ihr Streben als eines deutlichen Zieles entbehrend dar, er erschüttert aufs stärkste den Glauben an das Walten einer Vernunft bei ihr. Einer so verworrenen Lage gegenüber versagt alles bloße Grübeln und Deuten, Scharfsinn und menschlicher Witz werden uns nicht von ihr befreien; die einzige Hoffnung einer Rettung besteht darin, daß durch alles menschliche Meinen und Suchen hindurch eine tiefer gegründete Tatsächlichkeit im Leben waltet, auch uns sich eröffnet und unser Handeln zu sicheren Zielen leitet. Dieser Tatsächlichkeit den Weg zu bahnen, zunächst der Richtung inne zu werden, in der sie zu suchen ist, das muß einer Selbstbesinnung zur Aufgabe werden. Sie kann das aber nicht tun ohne vorherige Orientierung über den heutigen Lebensstand mit all seinem Durcheinander. Denn was an vermiedenen Strömen wirkt und sich gegenseitig zu hemmen droht, das sind keineswegs bloße Lehren, die sich behaupten und zurücknehmen lassen, sondern das enthält tatsächliche Leistungen, Bewegungen des Lebens selbst, Konzentrationen, welche ihrem ganzen Bereich eine eigentümliche Beschaffenheit verleihen; wir kämpfen daher nicht um bloße Deutungen eines gegebenen Lebensstandes, sondern wir kämpfen um den Lebensstand selbst, wir kämpfen nicht um Bilder, sondern um Wirklichkeiten. Die Verwicklung aber stellt sich nun dahin, daß jede einzelne dieser Lebensentfaltungen Berechtigtes und Wertvolles enthält, das, einmal belebt, sich nicht wieder aufgeben läßt, daß sie aber, anscheinend untrennbar, mit diesem anderes verquickt, was wir unmöglich festhalten können, wovon wir uns befreien müssen. Daß so Notwendiges und Unmögliches bei uns zusammentrifft und vielfach ineinander verfließt, das versetzt uns in ein peinliches Schwanken zwischen dem Ja und dem Nein; wir sehen nicht, wo das eine sich gegen das andere abgrenzt, wir werden nach dem Wechsel der Stimmung bald hierher, bald dorthin gezogen. Um so mehr bedürfen wir einer überlegenen Tatsächlichkeit, die uns Wahres und Falsches scheiden, das Wahre aber miteinander verbinden und mutig in den Kampf führen lehrt. Ohne den Glauben an das Bestehen und das Wirken einer solchen Tatsächlichkeit wäre alles Streben nach Rettung vergeblich, auch unsere Untersuchung ruht auf einem solchen Glauben, sie wird getragen von der Überzeugung, daß in der Tiefe des Lebens Notwendigkeiten walten, die nicht an menschlicher Meinung hängen. Im Vertrauen auf solche Notwendigkeiten beginnen wir unser Werk.

Die Antworten der Zeit

Die älteren Lebensordnungen

Die religiöse Lebensordnung

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