Zwar hatte ich den Schrei mit einem Vogel in Verbindung gebracht, doch selbst auf die Distanz hin war er mir so unbändig vorgekommen, dass dies eigentlich nicht infrage kam.
Kurz darauf wiederholte sich das Geräusch, dieses Mal deutlich näher.
Abermals drängte ich mich gegen die Öffnung, erkannte aber immer noch nichts außer dem Himmel und den Wolken.
Was verursachte bloß diesen Lärm?
Meine Gedanken schweiften wieder ab zu einigen Männern, denen ich auf der Erde begegnet war. Wie würden sie wohl aussehen, wenn sie statt der hinderlichen, seltsamen Kleider, die ihre Kultur ihnen aufzwang, natürlichere Gewänder anzögen, beispielsweise die Tunika oder, wie ich es manchmal im Haus gesehen hatte, Robe und Mantel verschiedener Art. All diese Stoffe ließen sich im Handumdrehen zur Seite werfen, um den nackten Leib anmutig und verwegen zur Ertüchtigung zu enthüllen, für Rennen, zum Ringkampf oder Baden, vor dem Waffengang oder dem Verkehr mit einer wie mir. Während ich es vollkommen plausibel fand, die Frauen meiner Welt, jedenfalls manche, in Gedankenspielen die Kleider anzuziehen, die ich hier trug, wirkte es irgendwie dumm oder unschicklich, sich die Männer der Erde im Zwirn derer auf Gor vorzustellen. Dies passte einfach nicht zu ihnen. Vielleicht konnten sie sich ordentlich damit herausputzen, aber taten sie dies dann auch aus voller Überzeugung? In Anbetracht dessen, was sie darstellten, waren sie solchen Gewändern meiner Meinung nach nicht würdig, aber möglicherweise tat ich meinen ehemaligen Nachbarn damit Unrecht. Bestimmt gab es auch auf der Erde irgendwo echte Männer. Der Hauptunterschied war wohl nicht biologisch, sondern eher kulturell bedingt. Im Pferch etwa hatte ich einen Trunk zu mir nehmen müssen, der zur Verhütung diente, soweit ich wusste. Dies lässt darauf schließen, dass die einheimischen Männer zeugungsfähig sind, wenn sie Frauen von der Erde besteigen, also gehören wir trotz erheblicher Diskrepanzen faktisch derselben Spezies an. Den entscheidenden Faktor im Vergleich zwischen den Männern von hier, die so selbstbewusst und kühn, ungezwungen, stark und frei sind, sowie jenen aus meiner Heimat, die so wenig mit den hiesigen gemein haben, muss man deswegen vorwiegend der jeweils anderen gesellschaftlichen Anpassung zuordnen. Auf der Erde fürchtet man die Natur, sperrt sich dagegen und nimmt sie nur verzerrt wahr. Dort ist die Zivilisation der Feind der Natur. Hier akzeptiert man sie indes und hält sie in Ehren. Sie wird weder geleugnet noch verfremdet dargestellt. Zivilisation und Natur stehen auf Gor im Einklang miteinander. Hier obliegt es den Menschen nicht, das Natürliche herabzuwürdigen, zu verdammen und zu bekämpfen, was pathologische Folgen nach sich zieht; er ergänzt sie vielmehr und drückt sie in ihrer ganzen Reichhaltigkeit und Vielfalt über sich selbst aus, macht sie noch erhabener und stattet sie mit den Errungenschaften von Brauchtum, Sitte und Organisation aus.
Jetzt vernahm ich das Geräusch wieder, dieses Mal noch näher und unheimlich anzuhören. Es kam von rechts, und der Verursacher war bestenfalls noch hundert Yards entfernt. Es war ein schreckliches Krächzen oder Kreischen, als handle es sich um einen Vogel. Ich war so entsetzt, dass ich augenblicklich erstarrte. So stand ich nun am Gitter und war außerstande, mich zu rühren. Ich hielt vor Angst schlagartig den Atem an. Meine Hände verkrampften sich am Metall. Von rechts nach links flog nun ein paar Yards über der Höhe, auf der sich der Vorsprung erstreckte, im Abstand von rund siebzig Yards eine riesenhafte Kreatur, die einem Habicht ähnelte. Ein monströser, titanischer Vogel mit unfassbaren Körpermaßen. Die Spanne seiner Schwingen mochte gut vierzig Fuß betragen! Etwas so Schreckliches, wie die Größe, Geschwindigkeit, Wildheit und Kraft lässt sich kaum vermitteln ... die Gräuel und die eindeutig raubtierartigen Absichten dieses Wesens. Was ich aber am wenigsten fassen konnte, offenbarte sich in den wenigen Augenblicken, als es durch mein Sichtfeld huschte: Dieses Untier trug Zaumzeug und einen Sattel, in dem eine Gestalt mit Helm saß – ein Mann! Ich fiel fast in Ohnmacht hinter den Gittern.
Nun konnte ich froh sein, dass sie mich vor der Außenwelt trennten.
Der Mann, der das geflügelte Monster ritt, hatte nicht zum Berg, dem Vorsprung oder meiner Zelle geschaut.
Was hier lag, schien ihn gar nicht zu bekümmern.
Klar, welche wichtigen Dinge, die es wert waren, dass man sie beachtete, sollte es hier schon geben?
Ich klammerte mich an das Portal, ansonsten wäre ich in Ohnmacht gefallen.
Solche Männer lebten hier!
Mir wurde schwindelig.
Männer, die solche Geschöpfe beherrschten!
Ich taumelte rückwärts und legte die Finger um meinen Hals. Eigentlich musste ich eine Fessel tragen, aber da war nichts! Ängstlich zog ich noch einmal den Saum meines knappen Kleides nach unten. Ich wollte mich jetzt gründlicher bedecken, warum auch immer, doch diese Mühen waren angesichts der Kürze des Stoffes logischerweise zwecklos. Durch die Tunika befühlte ich mein Brandzeichen. Die leichte Einbuchtung war weiterhin spürbar und identifizierte mich vor jedermann als Sklavin, der sich mit solchen Angelegenheiten auskannte. Schließlich berührte ich meinen Hals erneut mit den Fingerspitzen. Er war nackt, aber bestimmt nicht mehr lange an einem Ort wie diesem, wo es solche Männer gab. Auf einmal ergaben einige Erinnerungsschnipsel, die ich von der Reise hierher bewahrt hatte, mehr Sinn. Vor einiger Zeit war ich an Händen und Füßen gefesselt, in eine Decke gewickelt und vermutlich in einem Korb angeschnallt worden, dann hatte ich das Gefühl, durch die Luft getragen zu werden, Flügelschläge zu hören, und markante Schreie, die nun, da ich es mit eigenen Augen sah, nur von einem solchen Biest, einem Transportmittel, stammen konnten.
Der Riesenvogel versetzte mich in einen Schockzustand.
Hier durften mich Männer zu ihrem Eigentum machen – hier, wo es solche Wesen gab und Menschen, die damit herumflogen.
Ich fürchtete mich, denn ich wollte nicht an ein solches Tier verfüttert werden.
Andererseits war es eher unwahrscheinlich, dass ich dazu gekauft und hergebracht worden war, zumal augenscheinlich von sehr weit weg.
Wie sollte ich mir aber nun erklären, dass ich, seltsamer- und unerklärlicherweise sexuell erregt war?
Ich kehrte zur Öffnung zurück und hielt mich abermals an den Stäben fest.
Meine Freundinnen kamen mir wieder in den Sinn. Ob sie manchmal auch noch an mich dachten? Fragten sie sich gelegentlich nicht auch, was aus mir geworden sei? Ich wusste, ich war nicht mehr dieselbe wie früher, sondern gänzlich anders. Was würden sie davon halten, mich jetzt so zu sehen, in diesem Fetzen und an einem solchen Ort gefangen, mehr noch: als Tier und Eigentum eines Mannes hinter Gittern? Sie kämen wohl nie darauf, dass ich nun nichts mehr mit ihrer einstigen Bekannten zu tun hatte, sondern dass ich mich drastisch abhob, von einer Halsfessel abhing und gebrandmarkt war. Konnten sie fassen, dass ihre Freundin nun folgen, dienen und Lust spenden musste? Nein, vermutlich begriffen sie so etwas nicht, während ich es nur allzu gut tat. Ich fand es ungemein erregend hier zu sein, auch und gerade als Sklavin.
Ich hatte den Riesenvogel in seiner prachtvollen Urgewalt und Rohheit gesehen, ebenso seinen Reiter, dem ich nicht aufgefallen war, weil er die Zelle nicht beachtete. Wie exotisch mutete diese Welt an! Sie war so schön, so aufregend und spannend, vor allem aber extrem anders. Und ich befand mich als Unfreie in ihr. Zitternd schmiegte ich mich ans Gitter und spekulierte noch einmal darüber, ob meine Freundinnen nicht doch etwas von dem verstehen würden, was eine Frau wie mich auf einem solchen Planeten ausmachte. Jetzt erschien es mir nicht mehr gänzlich ausgeschlossen, immerhin waren auch sie weiblich.
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