Ich schätzte die Tageszeit auf den Spätnachmittag. Ich umschloss die Stäbe fest mit den Fingern.
Auf der Erde hatte ich nie gewusst, wie ich mich benehmen sollte, wenn Männer zugegen waren, und hatte nur schwerlich Kontakt zu ihnen aufbauen können. Was dies betraf, legte ich nur dürftige Kenntnisse an den Tag und umso größere Verwirrung. Keines der Geschlechter schien dort eine klare Identität zu besitzen. Wir verstanden den jeweils anderen nicht und waren einander fremd. Fast schien es so, als ob keine Realität für uns existierte ... als seien wir bloße Abbilder, Projektionen, Schatten oder Nebel. Auf diesem Planeten hingegen besaß mein Geschlecht wenigstens eine Identität, ein explizites, nachweisbares Selbst, eine handfeste Wirklichkeit. Hier war ich etwas, und zwar etwas sehr Konkretes, so greifbar wie das lebende Gestein ringsum oder das Gitter. Hier bestand keine Ungewissheit, hier wurden jegliche Zweifel aufgehoben, hier zerstob sich die Konfusion. Auf diesem Planeten ging ich vor Männern auf die Knie und diente ihnen, zeigte mich ihnen gefällig, so gut ich es konnte und auf alle Arten, die sie sich wünschten.
Ich hängte mich regelrecht an die Gitterstäbe. Wieder drückte ich meine linke Wange dagegen, dann sann ich über die Männer dieser Welt nach.
Auf welche andere Art konnte eine Frau wie ich eine Beziehung zu ihnen aufbauen? Sie fanden sicherlich Gefallen an mir, und ich war zuversichtlich, sie zufriedenstellen zu können. Schließlich wusste ich nun, wie man gegenüber Männern auftritt, ich kannte genau die beste Vorgehensweise, denn ich war eine Gelernte. Unsicherheiten, Zweideutigkeiten bestanden nicht mehr.
Der Dienst an den hiesigen Männern sollte mir keine Schwierigkeiten bereiten. Abgesehen von einem hatte ich alle im Haus beeindruckt. Wieso hasste mich dieser Kerl? Ärgerte er sich darüber, dass mir keine andere Wahl blieb, außer ich selbst zu sein?
Dass man Wachen wie jenen im Haus gebot, sie sollten mir gegenüber Obacht walten lassen, stand hier wohl außer Frage. Die Situation damals war eine besondere gewesen, da man die Lehrmittel vernünftig einteilen musste, denn auch andere wollten gründlich ausgebildet werden. Dies hier war offensichtlich sowieso kein Pferch, und selbst wenn ich mich irgendwie zu einschlägiger Bekanntheit aufschwingen sollte, würde wohl kaum jemand die Männer vor mir warnen. Das ergäbe keinen Sinn und würde vielmehr das Gegenteil bewirken, nämlich dass man mich umso häufiger einspannte. Falls sich jemand über mich beschwerte, dann andere Frauen, doch diese kümmern sich besser um ihre eigenen Angelegenheiten! Ich war allzeit bereit, mich der Konfrontation zu stellen.
Zuerst fand ich es skandalös, solche Gedanken zu hegen. Was war nur aus mir geworden? Aber, ich wusste es doch genau. Doch, ich war mir sicher, Männern klaglos aufwarten zu können.
Geistesabwesend lehnte ich mich ans Portal. So oder so würde ich mein Bestes geben. Insgeheim träumte ich seit jeher davon, mich Männern gefällig zu zeigen und sie zu hofieren. Für mich stand dies völlig im Einklang mit dem Lauf der Natur, war also stimmig und richtig. Mit einem Mal fand ich mich nun bemerkenswerterweise in einer Umgebung wieder, wo ich dazu gezwungen war, diesen Traum auch zu leben. Hier gab es keine Alternative, ich war dem Gesetz unterworfen und wollte nicht bestraft werden. Man könnte mich töten.
Ich griff erneut zu den Stäben und ließ den Blick über den schmalen Vorsprung, die schönen Berge und den unermesslichen, hellen Himmel, an dem zu fortgeschrittener Stunde einige Wolken vorüberzogen, schweifen.
Wie herrlich diese Welt doch war!
Noch einmal: Ich war darin bestimmt nichts Besonderes, noch weniger als ein Niemand.
Meine alte Heimat beschäftigte mich abermals – ihre Gebäude, Straßen und Wege, Zeichen und Menschenmassen. Viele von ihnen waren schlicht wunder- und wertvoll, andere verbittert und traurig. Ihr Kleidungsstil wirkte nun unnatürlich und exzentrisch auf mich, gleichsam ihre Eitelkeiten und feindlichen Gesinnungen. Die anstößige, widerwärtige Leere ihres Materialismus, der Missbrauch von veritablem Intellekt und aufrichtiger Emotion. Ein Gefühl von Nichtigkeit und Entfremdung herrschte vor, die zerstörerische, zwecklose Jagd nach zahllosen toxischen Rauschmitteln ging weiter, dazu die banale Zerstreuung durch elektronische Spielzeuge, weil man nicht willens war, in sich zu gehen oder vorauszuschauen in dieser Kultur des Egoismus, der Bequemlichkeit und der ständigen Ablenkung. Deswegen kam es mir eigentlich gelegen, dass ich hier aufgeschlagen war. Früher hatte man mir weismachen wollen, ich sei bedeutsam, so, wie man es jedem Menschen von der Erde erzählt, obwohl es nicht stimmt. Hier machte ich mir keine Illusionen darüber, ich wusste, dass ich unwichtig war, und durfte hoffen, irgendwann zumindest ein wenig Relevanz für jemanden zu besitzen. Um dies zu erfahren, muss man sich nicht gleich zum Maß aller Dinge stilisieren; ganz und gar nicht, nein.
Ich hatte sogar schon eine Halsfessel getragen, einen Stahlhalsreif, den ich nicht selbst hatte abnehmen können. Wie toll ich mir damit vorgekommen war!
Gefahren bestanden auch hier, oh ja, und ich wusste nicht, wie viele oder in welcher Form sie sich äußerten. Wie wenig ich doch wusste!
Dennoch war ich nicht unzufrieden, hier zu leben, und die Gefangenschaft machte mir eigentlich kaum etwas aus. Jemand wie ich musste damit rechnen, in eine Zelle gesteckt zu werden. Uns frei herum laufen zu lassen, schickte sich nun einmal gar nicht.
Alte Freundinnen zogen an meinem geistigen Auge vorüber. Wir hatten gemeinsam die Gegend unsicher gemacht und teilweise dieselbe Klasse besucht, aber wie ich nun über sie dachte, kam mir selbst recht interessant vor. Ich sah sie weniger in Situationen wie dereinst, etwa im Bus, im Unterricht beziehungsweise wie sie mit mir über die glatten Böden der weitläufigen Flure, Räume und Hallen dieser oder jener Einkaufspassage schlenderten, wo wir in grell ausstaffierten Restaurants aßen, die sich damit rühmten, ihre minderwertigen Menüs blitzschnell zu servieren. Nein, stattdessen stellte ich mir vor, wie sich diese Bekannten wohl anstellen würden, wenn sie, wie ich auf dieser Welt gestrandet wären. Welche Schau wäre Sandra, barfuß mit Riemen um den linken Knöchel, an dem in drei Reihen Glöckchen bimmelten? Stünde eine gewöhnliche Camisk Jean, während sie eine Karaffe Wasser auf dem Kopf balancierte, indem sie nur eine Hand zum Festhalten benutzte, wie man es unseresgleichen beibrachte? Priscilla würde bestimmt hinreißend aussehen in einem verschwindend kleinen Stück gelber Seide als einzigem Kleidungsstück, und Sally – die plump pummelige kleine Sally – mag vorerst nur einen Halsreif tragen und sich zu Füßen eines Mannes rekeln dürfen, weil sie früher so hysterisch und redselig gewesen war, stets selbstkritisch bis zynisch mit Hinblick auf den Gehalt ihrer eigenen Reize. Auf Knien soll sie das Fürchten lernen und begreifen, dass sie ihre Begehrlichkeit und Anziehungskraft damals ziemlich falsch eingeschätzt hat, dass in solchen Belangen vieles von der Gesundheit der Männer abhängt, ihrer Natürlichkeit und Macht. Sie sehen: Ich setzte für meine Freundinnen den Maßstab meiner neuen Heimat an. So fragte ich mich auch, welche Preise sie auf einem Auktionsblock erzielen mochten. Reizend machten sie sich gewiss alle aus, folglich auch mit einer Halsfessel. Deshalb musste ich davon ausgehen, jede Einzelne von ihnen würde gutes Geld einbringen.
Die Männer würden sich um sie reißen.
Was aber, wenn ich mit ihnen um die Gunst eines Herren buhlen müsste? Dann läge der Fall anders, und jede wäre sich selbst die Nächste.
Plötzlich hörte ich von Weitem, ohne etwas zu sehen, ein Geräusch. Es kam von rechts und klang nach einem Vogel.
Wieder packte ich das Gitter und lehnte mich dagegen, schaute hoch in die entsprechende Richtung, aber es gab nichts zu entdecken.
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