„Hervorragend!”, antwortete Kati.
Zuerst war ich verwirrt, aber natürlich konnte es an der Art liegen, wie die Schuhe funktionierten. Sie schenkten einem den Erfolg nicht, sie weckten die Fähigkeiten, die man brauchte, um ihn sich zu erarbeiten.
„Am Anfang habe ich keinen Unterschied gemerkt. Aber dann habe ich plötzlich gespürt, woran es liegt. Ich knicke mit der einen Schulter ein, nur ganz wenig, man sieht es kaum, aber das bringt mich aus dem Gleichgewicht. Jetzt kann ich es plötzlich spüren und es richtig trainieren.” Sie lächelte, stellte sich wieder in Position und drehte weiter. Es war klar, dass sie jetzt erst recht nicht aufgeben würde, bis es klappte. Ich fragte mich, woher sie diese Energie nahm.
Sie stellte sich auf, holte Schwung, hob sich auf die Spitze und drehte. Einmal, zweimal, dreimal und kam dann in perfekter Balance zum Stehen. Mit leuchtenden Augen sah sie mich an. „Hast du das gesehen?”, rief sie mir zu. „Ich habe es geschafft. Es hat funktioniert!”
Ich zwang mich sie anzulächeln, aber mir war gar nicht froh Zumute. Wo war der Wunsch? Wieso spürte sie es nicht?
Kati machte weiter. Mit der Zeit fing es auch an, besser auszusehen. Es wirkte jetzt leichter, so als müsste sie sich weniger anstrengen. Wie gebannt starrte ich sie an, wartete auf das verräterische Glitzern in ihren Augen, aber nichts geschah. Meine Laune wurde mit jeder Drehung schlechter.
Als sie mehrmals hintereinander die drei Pirouetten nicht nur perfekt ausbalanciert gedreht hatte, sondern dabei auch den Eindruck erweckte, als gelänge es ihr völlig mühelos, blieb sie schließlich stehen. „Ich glaube, das reicht.” Sie ließ sich auf den Boden sinken.
Ich hörte auf zu spielen, starrte kurz auf meine Hände und atmete tief durch. Von Anfang an hatte ich gewusst, ja sogar gehofft, dass es schwierig werden würde, aber dass sich ihr Wunsch selbst jetzt noch nicht zeigte, kratzte an meinem Stolz. Mich jetzt darüber zu ärgern, war jedoch sinnlos. Ich musste mir eben etwas Neues einfallen lassen.
Irgendwann stand ich auf, ging zu ihr und reichte ihr meine Hand. Sie schüttelte nur schwach den Kopf. Ein paar Haare hatten sich aus ihrer Frisur gelöst und umrahmten vom Schweiß gekräuselt ihr Gesicht. Ihre Wangen waren rot von der Anstrengung und ihre Haut schimmerte feucht.
„Natürlich muss ich es auch en dehors machen.”
„En dehors?”, fragte ich, während ich mich neben sie auf den Boden setzte.
„Das war vorwärts, en dedans. Aber rückwärts, also en dehors, muss ich es genauso können.”
„Heute noch?” Dann hatte ich ja vielleicht doch noch Hoffnung. Auch wenn ich mir kaum vorstellen konnte, dass sie nach so einer Tortur noch weiter machen wollte. Nicht, wenn der Wunsch nicht geweckt worden war.
Sie lachte. Es war das erste Mal, dass ich sie richtig lachen hörte. „Nein, ich glaube, heute nicht mehr.” Sie strich sich die Haare aus der Stirn. „Aber ich trainiere vielleicht noch ein bisschen.” Ich wartete vergeblich auf ein Zwinkern ihrer Augen, irgendein Anzeichen dafür, dass sie es nicht ernst meinte.
„Nach all der Schinderei willst du noch weiter machen?”
Hatten die Schuhe am Ende doch etwas bewirkt? Ich bekam eine leise Ahnung, wozu sie fähig sein würde, wenn ihr Wunsch erst richtig in ihr brannte.
Sie zuckte mit den Schultern. „Klar. Ich habe gerade Lust dazu. Außerdem muss ich mich sowieso noch etwas abkühlen. Ich kann nicht einfach so aufhören, das schadet den Muskeln.”
Oder war sie einfach nur verantwortungsbewusst? Ich grübelte, wie ich weiter vorgehen sollte.
Kati unterbrach meine Gedanken. „Unglaublich, dass das funktioniert hat, nicht?”
Ich nickte, während ich die Möglichkeiten in meinem Kopf abwägte. „Ja, stimmt. Und alles nur wegen der Schuhe.”
Ernst schüttelte Kati den Kopf. „Dein Tipp war es, der geholfen hat. Etwas verändern. Das ist echt schlau. Das merke ich mir. An den Schuhen lag das bestimmt nicht.”
Ich verzog den Mund zu einem Lächeln. Mein Ärger war schon wieder verflogen und ich beschloss, es für heute aufzugeben. Auch wenn es ihm nicht gefallen würde, immerhin hatte ich meinen Spaß gehabt. „Wer weiß. Vielleicht haben die Schuhe magische Kräfte”, sagte ich.
Sie wurde plötzlich ernst und zog die Augenbrauen zusammen. „Komm mir nicht mit so etwas. Daran glaube ich nicht. Man hat seinen Erfolg selbst in der Hand. Magie oder gar Glücksbringer haben damit nichts zu tun!” Sie verstummte und schüttelte den Kopf. „Aber ich gebe zu, die Schuhe fühlen sich wirklich toll an beim Tanzen.” Dann sah sie mich noch einmal an und lächelte, aber dieses Lächeln wirkte angestrengt. „Vielen Dank für deine Hilfe. Für den Tipp, und dass du mit mir durchgehalten hast.”
„Das habe ich gern gemacht.” Und das war nicht einmal eine Lüge. Auch, wenn es nicht ganz so gelaufen war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich musste nur beharrlich sein und mich in Zukunft mehr in ihrer Nähe aufhalten, um jede Gelegenheit zu nutzen. Irgendwann würde ihr Wunsch erwachen, und mit ihm ihre Verdorbenheit.
Verstohlen sah ich mich um, ob mir auch ja keiner folgte. Erst als ich mir absolut sicher war, öffnete ich die Tür, drückte mich hindurch und schloss sie hinter mir schnell wieder. Mit pochendem Herzen lehnte ich mich dagegen. Neuerdings kam ich extra etwas früher ins Theater, um die Garderobe für mich allein zu haben. Niemand sollte es sehen. Die anderen Solisten nicht, die auch einen Schminkplatz und einen Spind hier hatten, und auch nicht Yuki, deswegen konnte ich es nicht zu Hause tun. Außerdem wollte ich die Schuhe in meiner Nähe haben, wenn ich trainierte.
Ich zog mir meine Trainingssachen an und meine rosa Spitzenschuhe. Allein bei dem Gedanken an ein weiteres Training, bei dem David mich völlig übersah, krampfte sich mein Magen zusammen.
Ich ging noch mal zur Tür, vergewisserte mich, dass die Luft rein war und huschte wieder zurück zu meinem Spind. Ich griff hinein und schob ungeduldig den Seidenschal beiseite. Weicher Satin liebkoste meine Fingerspitzen, meine Haut und meinen Geist. Sofort beruhigte sich mein Herzschlag und die Gedanken in meinem Kopf hörten zu kreisen auf. Nur ein einziger blieb übrig, und kristallisierte sich zu einem klaren Bild. Der Gedanke an Irina und David. Es machte mir Angst. David hatte mich erst vor kurzem zur Ersten Solistin gemacht und jetzt hatte er mich schon wieder abserviert, zu Gunsten von Irina. Dabei war ich doch das neue Talent gewesen, seine Nachwuchshoffnung für die Kompanie. Tränen der Wut verschleierten meinen Blick.
Während ich mir mit einer Hand über die Augen fuhr, holte ich mit der anderen die Schuhe heraus und legte sie in meine Ellenbeuge. Sie waren so unglaublich rot, immer noch, nach all den Jahren. Wie flüssige Rubine. Keine Flecken, keine abgewetzten Stellen. Es musste ein besonders widerstandsfähiges Material sein. Auch die Sohle, die sich so unglaublich zart an meinen Fuß schmiegte, ihn stützte und mir Sicherheit gab, war noch genauso hart wie damals, als ich die Schuhe gekauft hatte. Sie scheinen unkaputtbar zu sein. Ich legte die Schuhe mit den Sohlen aneinander und hob sie mit den Spitzen an meine Lippen. Sofort spürte ich die Energie. Sie durchdrang mich und raste durch meine Adern bis in mein Herz. David hatte etwas in mir gesehen, als er mich engagiert hatte, und das war nicht plötzlich weg, nur weil Irina jetzt da war. Ich atmete tief durch und hob das Kinn. Ob ich mich verdrängen ließ, hatte ich selbst in der Hand. Ich würde einen Weg finden, zu zeigen, was ich wert war.
„Kati!”
Beinahe hätte ich die Schuhe fallen lassen. Schnell drückte ich sie an meine Brust. Obwohl ich mit dem Rücken zu dem Eindringling stand, wusste ich natürlich sofort, wer es war. Ich schloss die Augen. Cristan. So unauffällig wie möglich legte ich die Schuhe in den Spind zurück, ganz nach hinten. Es kostete mich Überwindung, meine Hände von dem weichen Satin zu lösen. Dann drehte ich mich zu Cristan um. Er stand in der Tür der Garderobe und starrte mich an.
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