Kati legte die Schuhe in den Beutel und strich noch einmal sanft mit den Fingerspitzen über den Satin. „Ich weiß. Nichts, was nicht rosa ist. Das sagt sie immer. Und zwei Paar kann ich mir nicht leisten. Aber trotzdem …” Sie verstummte und warf mir einen hilflosen Blick zu.
Natürlich hätte ich ihr die Schuhe kaufen können. Ich hätte sie ihr auch einfach schenken können. Aber das hätte sie nur misstrauisch gemacht, und wahrscheinlich hätte sie es nicht angenommen. Sie musste selbst dafür bezahlen, es führte kein Weg daran vorbei.
Die Verkäuferin packte den Beutel und stopfte die Schuhe unsanft etwas tiefer hinein. Kati zuckte zusammen und wollte nach dem Beutel greifen, aber Mrs. Simmons ließ es nicht zu.
„Ich räume sie ganz nach hinten ins Lager”, sagte die Verkäuferin schroff. „Da können sie niemanden in Versuchung führen.” Sie warf einen letzten angewiderten Blick auf die Schuhe und zog dann so heftig an den Bändern des Beutels, dass ich ein Ratschen vernahm.
Der Gedanke, dass die Schuhe hier in Sicherheit wären und niemand anderes sie bekommen würde, schien Kati zu gefallen, denn sie nickte und beruhigte sich merklich. Ich runzelte die Stirn. Das war gar nicht in meinem Sinne. Vielleicht konnte ich mir die Verkäuferin zunutze machen, um Kati zu überzeugen.
„Es ist wirklich nett von Ihnen, die Schuhe für die junge Dame aufzubewahren. Vielleicht möchte sie irgendwann wiederkommen und sie doch noch kaufen.”
Kati nickte mit leuchtenden Augen. „Ja, ganz bestimmt.”
Mrs. Simmons’ Mund verzog sich zu einer fast unsichtbaren Linie. Sie starrte einen Moment Kati an, dann mich, dann wieder Kati. „Vielleicht ist es doch besser, wenn ich die Schuhe ans Theater gebe. Irgendwer dort wird sie schon brauchen können. Vielleicht kann man sie auch schwarz einfärben! Ja, das wäre wohl das Beste.”
Kati zuckte zusammen. „Nein. Auf keinen Fall! Ich nehme sie. Auch, wenn ich sie vielleicht niemals tragen kann, ich nehme sie. Jetzt gleich.”
*
„Haste mal ´n Euro?”
Ich musterte den merkwürdigen Typen, der sich vor mir auf der Straße aufgebaut hatte. Er war etwas kleiner als ich und ziemlich dünn. Eine Cargohose, die nachlässig in schwarze Springerstiefel gestopft war, hing auf seinen mageren Hüften, ein mit Nieten gespicktes Lederband war mehrfach um seinen Hals gewunden und auf seinem Arm prangte ein Tattoo. Aber es war die Frisur, die ihn verriet. Zwei aus leuchtend roten und gelben Haarsträhnen geformte Hörner schraubten sich rechts und links aus seinem ansonsten kahlrasierten Schädel. Ich schnaubte. Originalität war eindeutig nicht seine Stärke. Aber vielleicht war es auch Absicht, um seine Opfer in Sicherheit zu wiegen, ihnen das Gefühl zu geben, dass es leicht war, ihn zu übervorteilen.
„Ich dachte, ich probier mal wieder was Anderes.” Die tiefe Stimme ließ den Punker von Kopf bis Fuß erbeben. Zu viel Schwingung für zu wenig Körper.
Ich ließ meinen Blick vielsagend zu seinem schwarzen T-Shirt wandern, auf dem in silbernen Spikes eine Aufschrift stand: Call me Luci.
„Sehr subtil.”
Wahrscheinlich fand er es komisch. Mir war allerdings nicht zum Lachen zumute, denn völlig gleich in welcher seiner vielen Verkleidungen er sich präsentierte, die Präsenz ließ sich nicht maskieren. Sie ragte über den Körper des Punkers hinaus, lauerte über ihm und waberte wie eine Rauchwolke um ihn herum, viel zu groß, um vollständig in den schmächtigen Menschenkörper zu passen.
Der Punker verzog den Mund zu einem schmallippigen Lächeln, das jedem Beobachter das Blut in den Adern gefrieren ließ, auch mir. Besonders mir. Weil ich genau wusste, woran er dabei dachte.
„Ah, da ist sie ja.” Sein Blick wanderte über Kati, die gerade aus der Hofeinfahrt gekommen war und auf der anderen Seite der Straße entlang ging, ohne uns zu bemerken.
Die Präsenz dehnte sich aus. Der Punker schnalzte anerkennend. „Ein Leckerbissen.”
„Nichts Besonderes”, sagte ich, obwohl ich wusste, dass er nicht über ihre braunen Haare sprach, über ihre dunkelgrauen Augen oder ihre blassrosa Lippen. Der Mund eines Kindes. Ich verzog das Gesicht. „Und viel zu jung.”
Noch nie war meine Wahl auf ein so junges Mädchen gefallen. Aus gutem Grund.
„Eben. Ihre Seele ist stark, viel stärker als die eines Erwachsenen. Teenager sind so verdammt schwierig.”
Was wie eine abgedroschene Elternweisheit klang, war in Wirklichkeit eine Tatsache, die unter den Seelenfängern allgemein bekannt war. Je jünger, desto schwieriger. Genau das reizte mich. „Vielleicht nehme ich nächstes Mal ein Kind.”
Der Punker lachte. Das tiefe, grollende Geräusch ließ ihm fast die Ringe von den Lippen platzen. „Du bist ambitioniert, das mochte ich schon immer an dir.”
Ich schloss die Augen. Ambitioniert konnte man das schon lange nicht mehr nennen. Früher einmal war ich mit Begeisterung dabei gewesen, aber jetzt war ich es müde. Ich fühlte mich taub bis in die Tiefe meiner Seele. So als wäre ich auch innerlich verblasst. Nur dass es kein einfaches Mittel gab, diese Taubheit zu vertreiben. Allein der Kampf um eine besonders schwierige Seele ließ mein Herz noch schneller schlagen.
Kati war jetzt stehen geblieben. Sie sah sich kurz um und zog dann den Beutel auf. Roter Satin leuchtete bis zu uns herüber, als sie einen Schuh herauszog.
„Warum rote Schuhe?”, fragte der Punker.
Ich zuckte mit den Schultern. „Das macht die Sache spannender. Mit rosa Schuhen wäre es kaum eine Herausforderung.”
Die Gegenstände waren der Schlüssel. Sie legten das Verlangen frei, den Wunsch um jeden Preis zu verwirklichen. Früher hatte ich die Gegenstände mit Leidenschaft entworfen, aber auch das war vorbei.
„Das klingt, als würden wir wieder unseren Spaß haben.”
Die schwarzen Augen unter der gepiercten Braue leuchteten. „Ich mag es, wenn sie kämpfen, und die hier wird sich wehren bis zum Schluss, das schmecke ich. Aber irgendwann wird auch sie auf der anderen Seite der Schwelle stehen. Und dann gibt es kein zurück mehr. Dann gehört sie mir.” Sein Blick wanderte wieder zu Kati. Mit einer Hand fuhr er aus der Ferne die Kontur ihres Gesichtes nach. Sofort ließ Kati den Schuh sinken und sah sich um. Sie wirkte beunruhigt.
„Sie wird mir viel Freude bereiten.”
Bei seinen Worten zog sich mein Magen zusammen. Ich wusste, was er mit den Seelen tat, die ich ihm besorgte, und ich wusste auch, dass sie es verdient hatten. Schon lange stellte ich das nicht mehr in Frage. Seine offensichtliche Vorfreude widerte mich dennoch an. „Dafür musst du sie erst mal haben.”
Der Punker grinste und deutete mit einem langen, orangen Fingernagel auf den Beutel, den Kati an sich drückte, als wäre er ein Baby. „Dafür wirst du schon sorgen. Wie immer. Schließlich bist du mein bester Mann. Aber lass dir nicht zu lange Zeit. Ich will ihre Seele, solange sie noch frisch ist.”
„Es wäre einfacher, wenn das Verblassen richtig funktionieren würde.” Es war einen Versuch wert.
Der Punker seufzte theatralisch. „Mein Junge, du weißt doch, das geht nicht. Hausinterne Regeln. Schließlich kann ich dich nicht mit meinen Dämonen auf eine Stufe stellen!”
Ich bezweifelte, dass das der wahre Grund war. Manchmal glaubte ich, dass er es einfach amüsant fand, dass ich auf diese Art von ihm abhängig war. Deswegen hatte er mir auch nicht gesagt, dass es Konsequenzen gab, wenn ich zu oft hintereinander verblasste. Das hatte ich selbst auf sehr schmerzhafte Art und Weise herausgefunden.
„Außerdem hatte ich den Eindruck, du willst es dir schwer machen. Ich unterstütze dich nur.” Der Punker grinste.
„Zu gütig.”
Ich wandte meinen Blick wieder Kati zu, die inzwischen den Weg zur Ballettakademie eingeschlagen hatte. Der Gedanke, sie dazu zu bringen, ihm ihre Seele aus freien Stücken zu übergeben, vertrieb etwas von der Taubheit, die ich fühlte. Diesmal war es nicht damit getan, einfach abzuwarten, bis der Gegenstand seine Aufgabe von alleine erfüllte.
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