Ich setzte ein verzweifeltes Gesicht auf. „Du machst es mir wirklich nicht leicht. Aber gut, einen Versuch wage ich noch.”
Zugegeben, mein Vorgehen war einfach. Man musste kein kriminelles Genie sein, um so etwas zu planen. Aber einfach funktionierte eben meistens am besten.
Ich ging in den Nebenraum, der eigentlich nur ein Gang voller Kartons mit Schuhen war, und kam mit einem Beutel in der Hand zurück. Einem Beutel aus schwarzem Satin, den ich zuvor dort versteckt hatte.
„Da steht nichts drauf, aber ich hab so ein Gefühl, dass es die richtige Größe ist.” Mit einem Zwinkern hielt ich ihr den Beutel hin.
Sie nahm ihn, zog die Öffnung auseinander und sah hinein. „Oh. Das ist …” Sie schluckte. Lange sagte sie nichts, starrte nur die Schuhe an. Schließlich fuhr sie mit einer Hand hinein und berührte den Satin. Ich konnte die Liebkosung fast spüren. Ihr Atem stockte und ihre Augen weiteten sich. Erregung ergriff mich. Dies war der Moment, auf den ich so lange hingearbeitet hatte. Der Anfang. Ihre Hand schwebte jetzt über den Schuhen, als wollte sie sie herausnehmen. Doch dann zog sie entschlossen die Hand zurück und schloss den Beutel. „Nein. Das geht nicht.”
Ich hob die Augenbrauen. „Warum nicht?”
Sie schüttelte heftig den Kopf. „Die könnte ich niemals tragen. Und ich brauche so dringend neue. Für so was habe ich kein Geld.” Sie drückte mir die Schuhe vor die Brust. „Ich sehe besser mal nach, wo Mrs. Simmons bleibt.” Sie stand auf und wollte zur Tür gehen, aber das konnte ich natürlich nicht zulassen.
„Willst du sie nicht wenigstens anprobieren?”
Sie drehte sich zu mir um und eine Falte bildete sich auf ihrer Stirn. „Wozu?”
„Um zu sehen, ob sie sich anders anfühlen?” Ob du dich vielleicht anders fühlst?
Sie biss sich auf die Lippen und warf mir unter den Wimpern hervor einen Blick zu. „Warum sollten sie sich anders anfühlen?” Ich wusste genau, dass das Gefühl noch in ihren Fingerspitzen saß. Die Hoffnung, dass diese Schuhe etwas verändern würden. Betont gleichgültig zuckte sie die Achseln. „Und selbst wenn, warum sollte ich sie anprobieren, wenn ich sie mir doch nicht leisten kann?”
„Weil du hoffst, dass es an den Schuhen liegt, und weil du dich sonst dein Leben lang fragen wirst, ob du es in diesen Schuhen vielleicht gespürt hättest.”
Sie sog überrascht die Luft ein. „Woher …?”
„Probier sie doch einfach. Dann weißt du es. Vielleicht gibt es sie ja auch noch in einer anderen Farbe.”
Sie biss sich auf die Lippen und starrte einen Moment lang den Beutel an. Dann packte sie ihn und riss ihn auf. „Also gut.”
Sie setzte sich wieder auf den Stuhl, griff vorsichtig in den Beutel und holte einen der Schuhe heraus. In diesem Raum aus rosa Satin wirkte der rote Schuh wie eine pulsierende Wunde in blassem Fleisch.
„Ich habe noch nie so eine Farbe gesehen. So rot… so intensiv, wie flüssige Rubine. Wunderschön.” Sie nahm sich Zeit, betrachtete den Schuh von allen Seiten, bevor sie ihn an ihren Fuß hielt. Sie drückte die Zehen in die Öffnung und glitt langsam hinein. Sofort schmiegte sich der Schuh um ihre Ferse. Katis Blick zuckte zu mir.
Ich machte ein unbeteiligtes Gesicht, ließ mir nichts anmerken. Ich wusste genau, dass die Schuhe sich für sie wie eine zweite Haut anfühlten, nicht fremd, sondern wie ein Teil von ihr. Sie zog den anderen Schuh an, stellte sich vor den Spiegel, hob die Arme und ging auf Spitze. Diesmal ruhte ihr Blick von Anfang an auf den Schuhen. Der Stoff auf der Oberseite ihres Fußes reichte gerade so weit, dass er ihre Zehen bedeckte, und nach vorne hin wurden die Schuhe etwas schmaler, was ihren unterschiedlich langen Zehen perfekten Halt bot.
„Die Schuhe fühlen sich an, als …” Sie suchte nach den richtigen Worten. „... als wären sie für mich gemacht.”
Sie sind für dich gemacht.
„Das ist wirklich unglaublich”, flüsterte sie.
Ich lächelte. Komplimente nahm ich immer gerne entgegen.
Sie probierte vorsichtig ein paar Schritte, soweit es auf dem engen Raum möglich war, und drehte am Ende sogar eine Pirouette. Dann ließ sie sich auf den flachen Fuß sinken und betrachtete mit gerunzelter Stirn die Schuhe im Spiegel. Sie hatte es gespürt. Nur ein wenig, aber sie hatte es gespürt.
„Tatsächlich?”
Sie erwachte aus ihrer Träumerei und starrte mich an. „Ja. Ich meine, die Sohle, die passt perfekt. Als hätte ich die Schuhe schon mit Dampf bearbeitet, damit sie genau an meinen Fuß passen, und trotzdem ist sie nicht zu weich.” Ihre Augen leuchteten. „Ich würde so gern wissen, wie es sich anfühlt, richtig darin zu tanzen.”
„Dann solltest du die Schuhe vielleicht kaufen.”
„Ja, die und keine anderen. Ich muss gleich Mrs. Simmons fragen …”
„Was willst du mich fragen?” Die Verkäuferin gab einen überraschten Laut von sich, als sie ins Zimmer kam und mich sah. Ich konnte es heute nicht mehr riskieren, zu verblassen, und ohnehin spielte es jetzt keine Rolle mehr. „Entschuldigung, ich habe Sie gar nicht hereinkommen sehen”, sagte sie.
„Schon gut. Ich hatte mich verlaufen und habe der jungen Dame hier ein wenig beim Schuhkauf unter die Arme gegriffen.”
Mrs. Simmons kniff die Augen zusammen und musterte mich ungnädig von oben bis unten.
Kati legte den Kopf zur Seite und hob die Schultern, als wollte sie sagen: Ich habe Sie gewarnt.
Mrs. Simmons entschied sich gegen eine Schimpftirade. Stattdessen fragte sie dünnlippig: „Und ist dabei etwas herausgekommen?” Es war offensichtlich, dass sie das für unmöglich hielt.
Kati nickte. „Ja. Ist es.” Sie deutete auf die Schuhe an ihren Füßen. „Die hier. Aber in rosa.”
Mrs. Simmons’ Blick sank zu den roten Schuhen. Sie keuchte auf und legte sich eine Hand auf die Brust. „Du meine Güte! Die Farbe! Nein, das geht natürlich gar nicht.” Sie warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu. „Was haben Sie sich nur dabei gedacht? Rote Schuhe für eine Schülerin? Und wo kommen die überhaupt her?” Während sie nach der Tüte der roten Schuhe suchte, murmelte sie kontinuierlich vor sich hin, und ich meinte, das Wort „Blasphemie” zu hören.
Grinsend hielt ich ihr den Satinbeutel hin. Mit einem grimmigen Seitenblick riss sie ihn an sich und betrachtete ihn. Die Hoffnung in Katis Blick zog sogar mich einen kurzen Augenblick lang mit.
Schließlich schüttelte Mrs. Simmons den Kopf. „Tut mir leid. Da steht weder eine Größe noch eine Firma drauf. Mit so einer Farbe ist das sicherlich ein Einzelpaar. Wahrscheinlich eine Maßanfertigung, muss irgendwie dazwischen gerutscht sein.” Sie sah die Schuhe an, als wären sie das personifizierte Böse. „Ich habe so etwas sicher nicht bestellt.”
Kati stöhnte auf. „Oh nein.” Sie wandte sich an mich. „Sehen Sie? Hätte ich die Schuhe doch nie probiert. Das wäre besser gewesen, als zu wissen, dass es perfekte Schuhe gibt, die ich nicht haben kann.”
Die Verkäuferin sah mich an, als wäre ich ein Monster. Sie hatte wirklich kein schlechtes Gespür.
Mit einem mitleidigen Gesichtsausdruck drehte sie sich wieder zu Kati. „Zeig mal her. Vielleicht habe ich ja etwas Ähnliches.” Sie kniete sich vor sie auf den Boden und wollte ihr die Schuhe ausziehen. Schnell schob Kati ihre Füße unter den Stuhl, als hätte sie Angst, dass die Verkäuferin die Schuhe vernichten könnte, wenn sie sie in die Finger bekam. Insgeheim traute ich ihr diese Reaktion sogar zu. Gut, dass es unmöglich war.
„Das glaube ich kaum. Ich habe noch nie … Kein Schuh hat mir je das Gefühl gegeben …”, flüsterte Kati. Erst als Mrs. Simmons aufstand, kamen Katis Füße wieder unter dem Stuhl hervor. Zögerlich begann sie, sich die Schuhe auszuziehen.
Mrs. Simmons baute sich vor ihr auf und stemmte die Hände in die Hüften. „Du kannst die Schuhe auf keinen Fall kaufen. Für den Unterricht ist die Farbe genau vorgegeben. So etwas könntest du niemals tragen. Du weißt, wie Madame da ist.”
Читать дальше