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Ak traf zur Mittagszeit mit einem rumpelnden Ochsenkarren ein. Die Aasvögel, die bereits über dem Dorf kreisten, alarmierten sie sofort. Skane konnte sehen, dass Ak einen Arbeitsspiegel in der Hand hielt, und ihre Signatur verriet ihm, dass sie bereits einen Schutzschild aufgebaut hatte. Allerdings vermutlich nur einen sehr schwachen, um sich vor der Seuche zu schützen. Ak hatte keinen Grund, an etwas Gefährlicheres zu denken.
Skane legte Jos Gesicht in traurige Falten und erhob sich. Ak stieg von ihrem Wagen und kam auf ihn zu. Immer noch erkannte sie ihn nicht, auch wenn ihre Miene wachsam war. Skane griff nach seinem Stab. In dem Moment, in dem seine Hände ihn berührten, ging eine jähe Verwandlung durch Ak. Fort war die etwas müde, leicht besorgte, mütterliche Frau. Fort war der kleine Arbeitsspiegel. Vor ihm stand eine Zauberin, gehüllt in eine fast greifbare Wolke der Macht, in der Hand einen Seelenspiegel, und auf ihrer Miene unerbittliche Entschlossenheit. „Du bist nicht Jo!”
Skane sparte sich eine Antwort auf das Offensichtliche.
„Ich kenne dich … irgendwoher.”
Skane gab ihr keine Gelegenheit, in ihrer Erinnerung zu suchen. Er griff an, hart, direkt. Die Luft ging in Flammen auf. Die Ochsen brüllten wie am Spieß, bevor sie tot umfielen und sich zusammen mit dem Wagen in Asche auflösten. Der Feuersturm tobte durch das ganze Dorf, löschte alles aus, was in seinen Weg kam.
Aber Ak hielt stand. Eis kristallisierte an der Schutzwand, die sie um sich gewoben hatte, Eis, das das Feuer dämpfte und schließlich zum Erlöschen brachte. „Ich … kenne … dich!” Skane konnte Aks Gedanken wie spitze Dornen fühlen. „Ich … habe … schon … früher … gegen … dich … gekämpft!” Die Dornen wurden zu Pfeilen, rasten auf ihn zu. Skane zog eine steinerne Barriere. Die Pfeile prallten dagegen, die Barriere explodierte in einer Myriade Splittern. Schon brandete die nächste Angriffswelle auf ihn zu, eine zähe, glosende Masse geschmolzener Erde, wallte aus dem Boden, kreiste ihn ein, wölbte sich über ihn und drohte auf ihn herabzubrechen. Skane schwang seinen Stab. Die Wogen zuckten zurück wie Spatzen unter einem Habicht. Sie verformten sich zu dornengespickten stählernen Ranken, die auf Ak herabpeitschten. Ak konterte, indem sie die Stahlranken in einen Schwarm wütender Bienen verwandelte. Einen Moment war Skane aus dem Konzept gebracht. Seit wann konnte man unbelebte Materie in belebte umwandeln? Ak nutzte sein Zaudern, um die Bienen fast auf Tuchfühlung mit ihm zu bringen. Gerade noch rechtzeitig gelang es Skane, eine Wasserwand um sich zu formen, in der die Bienen erstickten. Nun, wenn Ak mit Neuigkeiten aufwartete – das konnte er auch!
Ak rang nach Luft. Der Zauberer, der Jos Körperbild trug, war stark, verdammt stark. Und sie hatte schon einmal gegen ihn gekämpft. Früher. Sehr viel früher. Aks Gedanken glitten zurück in der Zeit. Ja, sie kannte diesen Zauberer. Sie hatte beim Aufstand gegen ihn gekämpft. Damals war er noch Anfänger gewesen. Aber ein sehr begabter. Skane, richtig! Skane hieß er. Und er war damals schon ein starker Gegner gewesen. Ak rang erneut nach Luft. Verdammt, warum fiel ihr der Kampf heute so schwer? Dunkle Punkte kreisten vor ihren Augen. Sie versuchte, tief einzuatmen. Aber da war nichts … nichts? Jäh begriff Ak. Skane hatte ihr die Luft genommen. Und sie hatte nichts bemerkt. Sie sah direkt in seine Augen. Augen, in denen Triumph blitzte. Skane wusste, dass er sie in der Falle hatte. Ihr Körper hatte nicht mehr genug Energie, um diesen Kampf fortzusetzen. Sie war verloren. Ihr Gegner war zu stark.
Ak griff zu dem allerletzten Ausweg. Einem, von dem sie gedacht hatte, dass sie ihn niemals benutzen würde. Sie berührte ihren kleinen Arbeitsspiegel und ließ sich hineinfallen.
Spiegel. Die letzte Zuflucht aller Feiglinge. Skane starrte auf das blanke Oval in der fein ziselierten Fassung. So … feminin. Der Spiegel passte zu Ak. Er würde ihre Seele bewahren, solange er existierte. Aber er würde nicht lange existieren. Wenn die anderen Zauberer der nördlichen Kristallkammer diesen Spiegel fanden, würden sie mit Ak kommunizieren und die Wahrheit herausfinden können. Das durfte niemals sein. Skane packte seinen Stab mit beiden Händen und hob ihn hoch. Dann rammte er ihn mit all seiner Kraft in den Spiegel.
Der Spiegel wehrte sich. Die Oberfläche wölbte sich auf gegen den Stab. Skane verstärkte den Druck, ließ weiteren Zauber in seinen Stab fließen. Der Spiegel wölbte sich höher. Skane lächelte grimmig. Genau so brauchte er ihn. Abrupt zog er den Stab zurück. Und noch während der Spiegel ein weiteres Stück nach oben federte, sauste der Stab mit voller Wucht wieder herab, krachte in den Spiegel und zersplitterte ihn unter lautem Klirren. Skane hielt inne, wartete. Um ihn herum setzte sich das Klirren fort, nahm niedrigere Frequenzen an, bis es zu einem dunklen, donnerartigen Rumpeln wurde. Dann begannen sich im Boden Risse zu bilden, klafften auseinander, verbreiterten sich rasend schnell. Um ihn wichen die Bruchstücke zurück, schienen ein Stück weit zu versinken, während von allen Seiten ein dichter Staubnebel aufstieg.
Skanes Augen tränten. Sein linkes Auge schmerzte, etwas rieb darin, ein winziger Splitter. Vorsichtig wischte er ihn fort. Auch wenn es ein magischer Spiegel war, die Glassplitter blieben scharf, und ein Auge zu heilen brauchte seine Zeit. Auch in seinen Händen fand er ein, zwei Glasstückchen, die er sorgsam entfernte. Den Rest hatte seine Robe abgefangen. Nun ja, gemessen an dem, was er bereits früher in den Kriegen erlebt hatte, waren das Bagatellen. Ganz offensichtlich war Ak alt geworden. So miserabel hätte sie früher nicht gekämpft. Skane nahm seinen Stab fest in beide Hände, stützte ihn auf den Boden und richtete sich auf.
Dann kehrte Ruhe ein. Der Staub sank herab. Aus dem Staub schälte sich eine einzelne Felsennadel, die hoch über allem ragte, umgeben von einer Senke, die von tiefen, spinnwebartig nach allen Seiten zerfasernden Schluchten durchzogen war.
Skane sah sich zufrieden um. Keiner der verbliebenen Splitter war groß genug, um ein identifizierbares Stück Seele zu beherbergen. Spöttisch stieß er mit dem Stab gegen einen verbogenen, zusammengeschmolzenen Rahmenrest zu seinen Füßen. „Gehab´ dich wohl, Ak!” Er gestattete sich ein schmallippiges Lächeln. Diese Zauberin würde ihm niemals wieder in die Quere kommen. Dann konzentrierte er sich auf seinen Spiegel und verschwand.
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Am Hang einer der neu gebildeten Schluchten, mitten in einem Dornbusch, der halb den Hang heruntergerutscht war, lag Aks Spiegel. Der, den sie zum Schluss benutzt hatte. Ihr kleiner Arbeitsspiegel. Er war merklich größer geworden durch die Seele, die er nun beherbergte. Es war ein schöner Spiegel, mit geschwungenen Formen und einer kleinen, sternförmigen Verzierung an der Basis. Der Spiegel lag halb im Sand vergraben. Wind wehte. Sand rieselte. Wenige Stunden nur und der stetig vom Rand der Schlucht herabrieselnde Sand hatte den Spiegel und den halben Dornbusch unter sich begraben.
Dann regnete es und der Dornbusch begann Knospen zu treiben. Er bildete neue Wurzeln, die sich fest um den Spiegel schlossen. Der Spiegel wartete. Der Sand rieselte weiter.
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Der Wind wehte.
Etwas blitzte in der Ferne auf. Spiegelenergien stoben wie ein Feuerwerk in den Himmel. Spiegelenergie peitschte wie eine achtköpfige Kobra durch das Land. Einer der Energielinien berührte den tagträumenden Geist, achtlos, beiläufig, fing ihn wie die Leimrute eine Fliege, wehte ihn durch die Luft, rollte ihn über die Felder, zog ihn dann zum Zentrum der Explosion zurück.
Und der Geist, aufgeschreckt durch das Feuerwerk der Energien und wach trotz des Tages, erkannte seine Chance. Hier gab es endlich eine Verbindung zur Lebendwelt! Ein Spiegelsplitter, ein herrenloser Splitter, der für einen Moment die Präsenz in der Lebendwelt berührte, gab ihm endlich den ersehnten Ansatzpunkt. In diesem unachtsamen Moment jener Präsenz, die die Spiegelenergien entfesselt hatte, warf er seine Fühler über das Spiegelkorn in den Körper eben dieser Präsenz, verankerte sich in ihm, suchte sich in ihm ein Versteck.
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