Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft› § 7 Besitzrecht der Ehegatten› III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz
III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz
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Fall 13:
Die miteinander verheirateten M und F leben in einer dem M gehörenden Wohnung, wobei eine Lebensgemeinschaft im Übrigen nicht mehr existiert. M will von F getrennt leben und verlangt deshalb von ihr, seine Wohnung zu verlassen. Schließlich zieht F aus. Eines Abends steht M in einem leeren Wohnzimmer. F hat die Einrichtungsgegenstände mit der (zutreffenden) Behauptung, dass diese in ihrem Eigentum stehen, entfernt und zu sich genommen.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft› § 7 Besitzrecht der Ehegatten› III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz › 1. Dauer des Besitzrechts
1. Dauer des Besitzrechts
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Man könnte in Fall 13 überlegen, dass M gemäß § 985 von F Herausgabe (und nach § 1004 Räumung) seiner Wohnung verlangen konnte, wenn der F ein Recht zum Besitz (§ 986 Abs. 1 S. 1) nicht mehr zustand; und umgekehrt könnte F von M die Herausgabe der ihr gehörenden Haushaltsgegenstände nach § 985 verlangen, wenn M kein Recht zum Besitz mehr hat. Dies hängt davon ab, ob das Besitzrecht aus § 1353 Abs. 1 S. 2 die tatsächliche Lebensgemeinschaft zur Grundlage hat oder lediglich an das Eheband (den Rechtsbegriff „Ehe“) anknüpft. Das Recht zum Besitzaus § 1353 Abs. 1 S. 2 zählt zu den Ehefolgen, die allein den Bestand des Rechtsverhältnisses „Ehe“(im Rechtssinne) voraussetzen. Das Besitzrecht dauert demgemäß über die Trennungsphase hinweg bis zur rechtskräftigen Scheidung,[8] sofern sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt. Letzteres gilt etwa für die Regelung in § 1361a Abs. 1, die einen Anspruch auf Zuteilung der Haushaltsgegenständewährend des Getrenntlebens vorsieht und als lex specialis einen Anspruch des Eigentümers (hier der F) aus § 985 sperrt (dazu Rn. 341 ff.). Danach kann jeder Ehegatte im Grundsatz die ihm gehörenden Haushaltsgegenstände von dem anderen Ehegatten herausverlangen, sofern der andere nicht auf den Gebrauch angewiesen ist und eine Überlassung an ihn der Billigkeit entspricht; eine eigenmächtige Wegnahme bzw. Besitzentziehungkann dagegen possessorische Ansprücheauslösen (dazu Rn. 161 ff.).
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Gleiches gilt für die Ehewohnung: Das Recht zum Mitbesitz an der Ehewohnung hat über die Trennung hinaus Bestand, solange keine Zuweisung nach § 1361berfolgt ist. In der Rechtsprechung wird zwar diskutiert, ob das Besitzrecht des einen Ehegatten schon dann endet, wenn die Voraussetzungen des § 1361b Abs. 1 für eine solche Zuweisung erfüllt sind, der BGH hat diese Frage bislang jedoch offengelassen.[9] Vorund währenddes Ehescheidungsverfahrens endetdas Besitzrecht eines Ehegatten nur, wenn dieser die eheliche Wohnung in Scheidungsabsicht endgültig verlassenhat (vgl. § 1361b Abs. 4).[10] Das bedeutet für Fall 13 , dass F, jedenfalls solange sie in der Ehewohnung verblieben war, trotz der gescheiterten Beziehung ein Recht zum Besitz aus § 1353 Abs. 1 S. 2 hatte (§ 986 Abs. 1 S. 1) und dieses erst verliert, wenn sie innerhalb von sechs Monaten nach dem Auszug eine ernstliche Rückkehrabsicht nicht gegenüber M bekundet. Eine Zuweisung der Ehewohnung kann sie allerdings nur über § 1361b erreichen.
Dritter Teil Eheliche Lebensgemeinschaft› § 7 Besitzrecht der Ehegatten› III. Dauer des Besitzrechts und Besitzschutz › 2. Possessorischer Besitzschutz (§§ 858 ff.)
2. Possessorischer Besitzschutz (§§ 858 ff.)
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Soweit Ehegatten untereinander verbotene Eigenmacht verüben (§ 858 Abs. 1), stehen grundsätzlich auch ihnen die allgemeinen Besitzschutzansprüche(§§ 861, 862) und das Selbsthilferecht des Besitzers (§ 859) zu.[11] Soweit die Ehegatten Mitbesitzer sind, findet § 866 Anwendung, der bei vollständigem Besitzentzug den possessorischen Besitzschutz gerade nicht ausschließt.
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Stark umstrittenist, ob die Rechtsbehelfe des Besitzschutzes auch gelten, wenn die Ehe gescheitert ist und die Ehegatten getrennt leben. Dann müsste F ( Fall 13)– ohne Rücksicht auf die Eigentumslage (§ 863) – die Einrichtungsgegenstände an M zurückgeben (§ 861 Abs. 1).[12]
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Der BGH hat zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen. Teile der Literatur[13] und der Rechtsprechung[14] bejahen einen possessorischen Besitzschutz auch zwischen getrennt lebenden Ehegatten mit dem Argument, dass gerade in einer sich auflösenden Ehe der eigenmächtige Zugriff eines Partners auf Ehewohnung oder Hausrat verhindert werden müsse.
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Die Gegenansicht weist auf die §§ 1361a, 1361b als spezialgesetzliche Regelungen auch im materiell-rechtlichen Sinne hin und verneint einen Herausgabeanspruch nach § 861 immer dann, wenn die Voraussetzungen des § 1361a Abs. 1 oder Abs. 2 vorliegen.[15] Ein Rückgabeverlangen könne nur nach Maßgabe des § 1361a geltend gemacht werden.[16]
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Eine vermittelnde Ansicht[17] kommt zur Anwendung possessorischen Rechtsschutzes jedenfalls dann, wenn der auf Rückgabe bestehende Ehegatte damit keine Verteilung der Haushaltsgegenstände i.S.d. § 1361a, sondern lediglich die Wiederherstellung des ursprünglichen Besitzstandes anstrebe und der in Anspruch genommene Partner den entfernten Gegenstand nicht dringend zur eigenen Bedarfsdeckung benötige. Dabei sei § 861 entsprechend anzuwenden, weil durch die Zuweisung des Streits an das Familiengericht (jetzt §§ 111 Nr. 5, 200 ff. FamFG) die allgemeinen zivilrechtlichen Besitzschutzansprüche grundsätzlich durch §§ 1361a, 1361b verdrängt seien.[18]
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Der Auffassung von der spezialgesetzlichen Regelung des Besitzschutzes unter getrenntlebenden Ehegatten durch §§ 1361a, 1361b steht der Grundsatz der strikten Trennung zwischen Possessorium (Besitz) und Petitorium (Recht zum Besitz)entgegen. Die possessorischen Ansprüche stellen die frühere Besitzlage ohne Rücksicht darauf wieder her, ob diese Besitzlage auch rechtlich begründet ist (Recht zum Besitz, § 863). Es kommt ihnen nurdarauf an, den eigenmächtigen Zugriff zu verhindern. Die Beteiligten sollen im Streitfall ihr Recht (zum Besitz) vor Gericht geltend machen. Die Vorschriften der §§ 1361a, 1361bregeln dieses Recht zum Besitzan Haushaltsgegenständen und Ehewohnung für die Zeit des Getrenntlebens, das für die Besitzschutzansprüche gerade keine Rolle spielen darf. Die possessorischen Ansprüche bleiben unberührt. Es herrscht deshalb zwischen den allgemeinen Besitzschutzansprüchen und den §§ 1361a, 1361b eine freie materiell-rechtliche Konkurrenz.[19] M kann deshalb in Fall 13 von F gemäß § 861 Abs. 1 sofortige Rückgabe der Einrichtungsgegenstände verlangen (vollständige Besitzentziehung durch F, § 866).
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Auch die praxisorientierte, verfahrensrechtliche Besorgniswiderstreitender Entscheidungen im Verfahren über Haushaltsgegenstände (§ 1361a) und im Besitzschutzverfahren (§ 861) hat sich erledigt. Für beide Angelegenheiten ist seit Inkrafttreten des FamFG das Familiengericht zuständig, gemäß §§ 111 Nr. 5, 200 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG für Ehewohnungs- und Haushaltssachen und gemäß §§ 111 Nr. 10, 266 Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 3 FamFG für possessorische Besitzschutzansprüche. Im Übrigen ist für die Ablösung des Possessoriums durch das Petitorium auf § 864 Abs. 2 hinzuweisen.
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