Der Hauptmann grinste. „Nicht gerade das kleinste Ziel. Was glaubst du, was du dafür brauchst?“
Geld, Reichtum, Beziehungen? Nein, das meinte der Hauptmann bestimmt nicht. Steinfaust überlegte. Was tat ein General? Er redete mit dem Shorok. Er gab Befehle. Er plante.
Der General kämpfte nicht selbst.
Der General durfte auf keinen Fall ein Berserker sein.
„Dann muss ich Disziplin lernen.“
„Disziplin und ein paar Dinge mehr. Dinge, die du als einfacher Soldat nie lernen wirst. Ab sofort bist du mein persönlicher Bursche.“
Bursche des Hauptmanns zu sein hatte Vor- und Nachteile.
Steinfaust konnte lernen, soviel er wollte, ja, er musste es sogar. Der Hauptmann schulte ihn mit allem, was er selbst wusste. Er hörte, was der Hauptmann mit anderen Offizieren und manchmal sogar mit dem Prinzen selbst besprach, und auch daraus lernte er. Der Hauptmann machte Andeutungen, dass Steinfaust für die höhere Laufbahn infrage kommen könnte. Allerdings musste er dafür die Aufnahmeprüfung der Offiziersschule bestehen. Und dafür musste er zuvor noch sehr viel mehr lernen. Also lernte Steinfaust.
Aber weder das Lernen noch seine Hilfsdienste für den Hauptmann entbanden ihn vom täglichen Exerzieren oder von den Kasernen. Und seine Kameraden ließen ihn deutlich spüren, dass sie ihn nicht mehr richtig als zugehörig betrachteten. Da war ein Graben zwischen ihnen, nicht tief, nicht unüberbrückbar, aber kalt wie das Eis des Nordens. Steinfaust vermisste die alte Kameradschaft.
Bis der Hauptmann ihn eines Tages nach Dienstschluss anwies, noch zu bleiben.
Hatte er etwas falsch gemacht? Aber was nur? Steinfaust sah ratlos zu, wie der Hauptmann zum Schrank ging, ihn öffnete, eine Flasche herausholte und zwei Becher. Er stellte die Becher auf seinen Schreibtisch, öffnete die Flasche, goss eine honigfarbene Flüssigkeit aus der Flasche hinein und verschloss diese dann sehr sorgfältig wieder. „Komm näher. Ich beiß dich schon nicht!“
Steinfaust kam zögernd heran.
„Du vermisst deine Kameraden, nicht wahr?“
Steinfaust schluckte. „Ist das so offensichtlich?“
„Nein, du tarnst es gut. Aber ich weiß noch genau, wie es mir damals gegangen ist. Hier, nimm!“ Der Hauptmann schob ihm einen der Becher zu.
Nach kurzem Zögern griff Steinfaust zu und nahm, wie der Hauptmann, einen kräftigen Schluck.
Es fehlte nicht viel und er hätte alles wieder ausgespuckt. Das Zeug brannte wie Feuer in seinem Rachen und den ganzen Weg hinab in seinen Magen, wo es dann zu explodieren schien. Steinfaust schluckte verzweifelt, schluckte noch einmal, schnappte nach Luft und holte tief Atem. Ein Fehler. Im nächsten Moment hustete er sich fast die Seele aus dem Leib.
Der Hauptmann lachte, schlug ihm kräftig auf den Rücken. „Bist wohl noch nichts Gutes gewohnt, was? Das ist Honigfeuer. So etwas trinken echte Männer!“ Er schüttete sich den Rest seines Bechers mit sichtlichem Wohlbehagen in den Mund. „Und du bist alt genug, um ein Mann zu sein.“ Er stellte den Becher wieder ab. „Deswegen werden wir jetzt von Mann zu Mann reden. Also, Steinfaust. Willst du immer noch General werden?“
Steinfaust nickte. Reden konnte er noch nicht wieder.
„Gut“, fuhr der Hauptmann fort. „Den nötigen Ehrgeiz scheinst du zu haben. Aber bist du auch bereit, für diesen Wunsch einiges zu opfern? Du bist seit fast acht Monden mein Bursche. Ich weiß, dass du lernen kannst. Aber das hier, das war ein gemütlicher Spaziergang. Wenn du die Aufnahmeprüfung der Offiziersschule bestehen willst, musst du sehr viel mehr lernen. Und sehr schnell, denn die nächsten Prüfungen sind bereits in drei Monden. Du wirst dir kein Versagen leisten können. Niemand kriegt mehr als eine Chance. Privatleben kannst du abschreiben. Keine Biere mehr abends, keine Besuche bei den Huren, kein Kartenspielen, nichts. Willst du dir das wirklich antun?“
Steinfaust quetschte ein mühsames „Ja!“ hervor.
„Dann sind da noch deine Kameraden. Du hast jetzt schon gesehen, wie alleine die Tatsache, dass du mein Bursche bist, dich von ihnen entfremdet hat. Was, glaubst du, wird passieren, wenn du ein Offizier wirst? Was glaubst du, wie viel ein Offizier mit einem gemeinen Soldaten redet?“
„Nicht viel.“
„Ganz genau. Ein Offizier redet nicht mit seinen Soldaten. Er gibt ihnen Befehle. Und wenn du wirklich General werden willst … überleg es dir gut. Ein gemeiner Soldat hat viele Kameraden und unter ihnen viele Freunde. Ein Offizier hat nur wenige. Und ein General gar keine.“
Steinfaust dachte an die Weißgesichtigen. Niemand hier wusste von der Bedrohung. Und die, denen er davon erzählt hatte, hatten ihm nicht geglaubt. Wenn er dieses Land vor den weißen Ungeheuern schützen wollte, musste er hoch genug kommen, dass er Befehle geben konnte. Und deshalb … „Ich will General werden.“
Der Hauptmann nickte, als ob er etwas bestätigt fand. „Eines solltest du noch bedenken, Soldat. Wenn du die Prüfung nicht schaffst, musst du zurück in die Baracken. Aber deine ehemaligen Kameraden werden dich nie wieder in ihre Reihen aufnehmen.“
„Dann muss ich eben die Prüfung schaffen.“ Steinfaust hob seinen Becher ein zweites Mal, trank den Rest in einem Zug aus und setzte ihn hart wieder an. Das Zeug brannte nicht weniger als beim ersten Mal. Aber er schaffte es, ruhig stehen zu bleiben und nicht zu husten.
Das mit dem „zurück in die Baracken“ hatte der Hauptmann wörtlich gemeint. Steinfaust hauste ab sofort im Vorzimmer seines Hauptmanns. Die Blicke seiner ehemaligen Kameraden brannten ihm im Nacken, wenn er mit ihnen exerzierte. Sie lauerten förmlich auf einen Fehler. Steinfaust strengte sich doppelt an. Jetzt wieder zurück zu müssen … Da wäre fast der Hundezwinger seines ehemaligen Herrn vorzuziehen gewesen. Exerzieren musste er trotzdem, wenn auch nicht mehr so viel wie früher.
Dafür verlangte der Hauptmann, dass sein Bursche ab sofort praktisch jede freie Minute mit ihm verbrachte. Und Steinfaust bemerkte etwas, das ihm vorher nie aufgefallen war. Der Hauptmann, dessen Name Ochon war, wie er ebenfalls lernte, bekam Besuch. Zu den merkwürdigsten Zeiten. Und von den merkwürdigsten Leuten. Es schien fast, als ob sämtliche Kasten Narkassias den Hauptmann aufsuchten. Vom Bettler bis zum Adeligen. Bei dem Bettler versuchte Steinfaust zu horchen. Aber so laut der Mann vor der Tür der Kaserne nach einer milden Gabe gejammert hatte, so leise war seine Stimme, als er hinter der dicken Holzbohlentür zur Stube des Hauptmanns verschwunden war. Es war frustrierend, um das Mindeste zu sagen.
Drei Tage später rief Ochon ihn zu sich. „Du erinnerst dich an den Bettler, der hier war?“
Steinfaust bejahte.
„Würdest du ihn wiedererkennen?“
„Eine Narbe wie ein Angelhaken auf der linken Seite des Kinns, einer der unteren Schneidezähne fehlt, der andere ist schief. Und mindestens zwei Finger seiner Linken waren schon einmal mehrfach gebrochen.“
Ochon streckte ihm einen Holzstab hin, kaum länger als seine Hand. An einem Ende hatte der Stab drei rote Farbringe, am anderen war krude etwas hineingeschnitzt, das wie ein vierfüßiges Tier aussah. Eines mit einer kurzen Schnauze und einem kegelförmigen, ziemlich langen Schwanz. „Gib ihm das. Unauffällig.“
Einen winzigen Moment war Steinfaust versucht, nach dem „Warum“ zu fragen. Aber dann nahm er stumm den Stab und verließ die Wachstube.
Der Bettler war schnell gefunden. Um diese Zeit war Markt, und sie lungerten alle dort herum. Steinfaust ließ den Stab zusammen mit einem Kupferling in seine Bettelschale gleiten und ging weiter, ohne sich umzusehen, als wäre ihm der Bettler bestenfalls lästig. Als er sich am nächsten Stand unauffällig nach ihm umsah, verschwand der Mann gerade in einer der kleinen Gassen Richtung Flussviertel.
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