Der junge, mystisch begabte Bäckerssohn war nicht die einzige Person, die Surin getroffen hatte und die dem hl. Josef zugetan war. Zwei Jahre später erwähnt er in einem anderen Brief eine Frau namens Marie Baron († 1642), Ehefrau eines Kaufmanns in Marennes und ebenfalls mystisch begabt. In Bezug auf deren spirituelles Leben schrieb Surin: „Es wäre falsch von mir, den heiligen Josef nicht zu nennen, den Patron aller großartigen Seelen unserer Tage. Dieser Heilige warnte sie und versprach ihr seinen immerwährenden Schutz, sogar bevor sie ihm überhaupt zugetan war. Eines Tages, an seinem Fest, zeigte er sich ihr überraschend und versprach ihr zukünftige Erleuchtung.“ 5
Die „neue, unübliche Art“ der Josefs-Verehrung
Die Relevanz all dieser Bezüge zum hl. Josef wird nur klar, wenn man sie in den historischen Kontext einfügt. 1629 – ein Jahr, bevor Surin den Brief nach La Flèche schrieb – hatte der Generalobere Muzio Vitelleschi (1563–1645) den jungen Jesuiten verboten, den hl. Josef auf die „neue, unübliche Art“ zu verehren. Dies mag auf den ersten Blick als eine eher merkwürdige Verordnung erscheinen. Es ist klar erkennbar, dass Surin ihr nicht folgt. Was konnte solch eine Entscheidung motiviert haben?
Um Muzio Vitelleschis Brief von 1629 zu verstehen, müssen wir zu einer früheren Quelle zurückgehen, nämlich zu Teresa von Ávila (1515–1582). Sie pflegte eine besondere Sympathie für den hl. Josef. Sie wusste sich im Alter von 26 Jahren aufgrund der Fürsprache des Heiligen von einer schweren Krankheit geheilt. Das war der Grund ihrer Josefs-Verehrung. Entscheidender für unser Thema ist jedoch ein Hinweis Teresas in ihrer Autobiographie. Für den Fall, dass man niemanden hat, der einem den Weg ins Gebet zeigt, schlägt Teresa vor, man möge sich einen Heiligen als spirituellen Führer wählen: „Dabei nahm ich mir den glorreichen heiligen Josef zu meinem Anwalt und Herrn und empfahl mich ihm sehr. (…) Mir fällt nichts ein, worum ich ihn bislang gebeten und was er mir zu gewähren unterlassen hätte. Es ist zum Staunen, welch große Gnaden mir Gott durch diesen glückseligen Heiligen geschenkt und wie er mich aus Gefahren für Leib und Seele errettet hat. (…) Nur bitte ich den, der mir nicht glauben sollte, es Gottes wegen auszuprobieren, dann wird er selbst erfahren, wie viel Gutes es bringt, sich diesem glorreichen Patriarchen zu empfehlen und ihn zu verehren. Besonders Menschen des inneren Betens sollten ihm immer zugetan sein. (…) Wer keinen Lehrmeister finden sollte, der ihn im Gebet unterweist, möge doch diesen glorreichen Heiligen als Lehrmeister nehmen, und er wird sich auf dem Weg nicht verirren.“ ( Vida VI, 6.8)
Dies war für Teresa klarerweise keine zweitrangige Sache. Welch große Bedeutung sie der kontemplativ-mystischen Verehrung des hl. Josef beimaß, zeigt sich an der Tatsache, dass sie die erste Gründung des reformierten Karmel in Ávila unter den Schutz dieses Heiligen stellte. Elf anderer ihrer Gründungen haben denselben Heiligen als Patron. Schließlich wurde der hl. Josef zum Patron der gesamten karmelitischen Reform in Spanien; dies gilt auch für die Karmel-Reform in Frankreich. Teresa hatte eine explizite Verbindung zwischen dem hl. Josef und den kontemplativ-mystischen Aspekten ihres Gebetslebens kreiert. Josef wurde zum Patron einer Wiederentdeckung der kontemplativ-mystischen Dimension. Mit seinem Interesse für den hl. Josef schließt Surin an diese Sichtweise an – keineswegs zur Begeisterung seiner Vorgesetzten.
Generationenkonflikt: zu viel oder zu wenig Gebet?
Dank der historischen Recherche von Michel de Certeau wissen wir, dass sich diese Entscheidung in eine Grundsatzdebatte einfügte, die eine gesamte Generation junger Jesuiten – auch jene Surins – beschäftigte. 6Certeau arbeitete zwei verwandte Aspekte heraus, die mit zwei unterschiedlichen Generationen von Jesuiten verbunden waren. Der erste Aspekt ist abzulesen aus einem auf das Jahr 1605 datierten offiziellen Schreiben des Provinzials der Provinz Aquitanien. Dieser Brief beantwortete eine Frage, die P. General Claudio Aquaviva (1543–1615) an die gesamte Gesellschaft Jesu gerichtet hatte. Aquaviva war sich nicht sicher, ob der Orden nach Jahren spektakulären Wachstums in der ersten Dekade seiner Existenz noch auf dem richtigen Weg war und ob etwa eine Reform angebracht wäre. Die Stimme aus der Provinz Aquitanien besagte: Das innere Leben der Mitglieder lässt zu wünschen übrig. Diese gaben ihr Bestes, um im akademischen und intellektuellen Leben gute Leistungen zu erbringen. Demgegenüber fielen sie im Gebet und in der lectio divina zurück. Als Grund wurde die effusio ad exterioria genannt: Die Brüder verloren sich so in äußere Angelegenheiten, dass sie nicht mehr fähig waren zum inneren Beten, nicht einmal in den Momenten, die für das Gebet vorgesehen waren.
Der zweite Aspekt ist gegenteilig. Viele junge Jesuiten, so hat es den Anschein, führten ein intensives spirituelles Leben. Begeistert lasen sie mystische Autoren wie Teresa von Ávila, Johannes Tauler († 1361), Ludovicus Blosius († 1566) und Jan van Ruusbroec († 1381). Diese Generation junger aquitanischer Jesuiten hatte den Eindruck, dass ihre älteren Mitbrüder sie spirituell nicht führen konnten. So überrascht es nicht, dass sie eine gewisse Verbundenheit zum hl. Josef spürten, hatte doch Teresa von Ávila ihn als Führer im Gebet für alle, die geistliche Führung vermissten, empfohlen. Ebenso überrascht es nicht, dass sie spirituelle Unterstützung bei den großen mystischen Autoren der christlichen Tradition suchten. Dies würde als weise Entscheidung gesehen werden. Doch dafür hatte die ältere Generation wenig Verständnis. Die Beschwerden fanden ihren Weg nach Rom. Die junge Generation wurde beschuldigt, sich „von einem Geist leiten zu lassen, der den Jesuiten fremd ist“. Aus diesen Beschwerden sprach die Sorge, dass der Orden seine Identität verlieren könnte.
Nach dem Tod von Claudio Aquaviva folgte Muzio Vitelleschi. Seine Interventionen in dieser Frage waren hart. Das zeigt ein Brief aus dem Jahr 1628 7: Den Grund des Problems sieht Vitelleschi darin, dass junge Jesuiten sich tatsächlich von einem Geist leiten ließen, der dem Orden fremd war. Der sicherste Pfad sei, den normalen Richtlinien des Ordens zu folgen und dem Superior Gehorsam zu leisten. So gäbe es keine Abweichungen. Die Tendenz, den eigenen Einsichten zu folgen, würde bloß zu einem totalen Schiffbruch der Jesuiten führen. Vitelleschi insistierte auf der Notwendigkeit von Maßnahmen und bat um zusätzliche Informationen über die jungen Jesuiten. Surin war einer von ihnen: Zumindest zwei Ordner mit Beschwerden, die ihn betrafen, wurden nach Rom gesandt.
Das Generalat nahm also die Sache sehr ernst. Es hatte Sorge um die Identität und den Fortbestand des Ordens. In der Sichtweise Roms folgte die jüngere Generation der aquitanischen Jesuiten bloß ihren eigenen Einsichten, was vor allem auf die Lektüre bestimmter mystischer Autoren, die keine Jesuiten waren, zurückzuführen war. Nur Gehorsam konnte diesem Problem entgegenwirken, nur so könne „der Geist des Ordens“ gewahrt werden. Auf diesem Hintergrund wird der Satz verständlich: Das Interesse am hl. Josef bedrohte die Existenz des Jesuitenordens.
Eine späte Antwort Surins
Viele Jahre später, als die tiefe Krise durchgestanden war, verteidigte der alte Surin die mystische Dimension seiner Schriften sehr deutlich und verwehrte sich gegen die Anschuldigung, gegen den Gehorsam verstoßen zu haben. Dies tat Surin in seinem Buch Questions importantes à la vie spirituelle: Sur l’amour de Dieu 8. Ohne Vitelleschi beim Namen zu nennen, geht Surin auf dessen Einwände ein und entkräftet sie. Dies mag beim flüchtigen Lesen nicht auffallen, aber eine genauere Analyse der in Frage kommenden Passagen offenbart die alte Debatte.
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