Verlag Echter - Geist & Leben 2/2021

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Bernhard Körner eröffnet Heft 2 mit einer Notiz zu Jürgen Habermas' Reflexion dogmati-scher Geltungsansprüche in den Geisteswissenschaften und befragt sie nach Impulsen für die Unterscheidung einer wissenschaftlich-theologischen Außenperspektive von einer gläubigen Innenperspektive. Der inhaltliche Schwerpunkt dieser Ausgabe ist der französischen Schrift-stellerin und Mystikerin Madeleine Delbrêl gewidmet. Während der Beitrag von Edith Kür-pick FMJ von Madeleines Gedicht «Fahrradspiritualität» inspiriert ist, kommt die renommier-te Delbrêl-Forscherin Annette Schleinzer in einem Interview, das interessante neue Einsich-ten vermittelt, zu Wort. Mathias Moosbrugger begibt sich auf die Spur des eloquenten Pet-rus Canisius SJ, der eigentlich dem Kartäuser-Orden beitreten wollte und der jesuitischen Spiritualität zunächst nur wenig abgewinnen konnte. Felix Körner SJ beschließt die Rubrik «Nachfolge» mit einer ignatianischen Betrachtung der Markuspassion, deren Zentrum das Motiv der Verborgenheit Gottes bildet.
Zweifellos stellt die lückenlos transparente Aufarbeitung des sog. «Missbrauchsskandals» gegenwärtig die größte Herausforderung für die Kirche dar. Deshalb adressiert François Cassingena-Trévedy OSB kritische Rückfragen an die kirchliche Rede über Sexualität und votiert für ein «Projekt für den Leib», welches die Sexualität nicht als Tabu, sondern vielmehr als Ressource begreift. Unter dem Eindruck der Corona-Krise befragt Stefan Kopp den Be-griff der «Geistlichen Kommunion» nach seinen noch unentdeckten sakramental-spirituellen Potenzialen. Roman Winter beleuchtet das Martyrium und ökumenische Märty-rer(innen)gedenken in der Spannung von Freiheit und Gnade. Die Bedeutung der «Ränder» für die Evangelisierung der Kirche erhellt die Kleine Schwester Jesu Ulrike, indem sie den Leser(inne)n von prägenden Begegnungen in ihrem beruflichen, wie seelsorgerlichen Um-feld erzählt. Im Bereich der «Jungen Theologie» beschreibt Agnes Slunitschek das Zueinander von Liturgie und Diakonie anhand der theologischen Überlegungen Edward Schillebeeckx'.
Vor einem Jahr, am 6. April 2020, gedachte die Welt des 500. Todestages Raffaels, den die ZEIT als «Genie der Hochrenaissance» bezeichnete. Willibald Hopfgartner OFM wagt sich an eines seiner bekanntesten Werke, die «Sixtinische Madonna», heran und interpretiert die Funktion der weltberühmten «lümmelnden» Engelchen auf der unteren Brüstung des Bildes. Im Nachgang reflektiert Johannes Lorenz apersonale Spiritualitäten alternativspiritueller «Lebenskunst-Labore» anhand des New Age-Denkers Ken Wilber. Hans Brandl SJ geht der geistlichen Dimension des Lernens und ihrer Bedeutung für die Bildung des Menschen bei Ignatius von Loyola auf den Grund. Schließlich führt Egbert Ballhorn die Leser(innen) an Jo-chen Kleppers Lied «Die Nacht ist vorgedrungen» (1938) heran und stellt dessen Relektüre in den Kontext der Passionszeit.

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Inhalt

Heft 2 | April-Juni 2021

Jahrgang 94 | Nr. 499

Notiz

Sich von Habermas etwas sagen lassen Bernhard Körner

Nachfolge

Plädoyer für eine Fahrrad-Spiritualität Edith Kürpick FMJ

Madeleine Delbrêl. Ein Interview mit Annette Schleinzer Annette Schleinzer

„Ich … kann den Mund nicht halten“. Petrus Canisius und das Apostolat der Geschwätzigkeit Mathias Moosbrugger

Die Verborgenheit Gottes. Eine ignatianische Betrachtung zur Markuspassion Felix Körner SJ

Nachfolge | Kirche

„Und sie erkannten, dass sie nackt waren“ (Gen 3,7). Über die Sexualität in ihrem kirchlichen Kontext François Cassingena-Trévedy OSB

Geistliche Kommunion 2.0. Zur Renaissance eines theologischen Begriffs Stefan Kopp

Das Martyrium in Gnade und Freiheit. Überlegungen zum ökumenischen Gedenken Roman Winter

Die Ränder evangelisieren die Kirche. Impulse für einen Ortswechsel Kleine Schwester Ulrike von Jesus

Nachfolge | Junge Theologie

Gottbegegnung in Menschenbegegnung. Liturgie und Diakonie bei E. Schillebeeckx Agnes Slunitschek

Reflexion

„Lümmelnde Engelchen“ vor der Madonna? Zur Deutung von Raffaels populärstem Bild Willibald Hopfgartner OFM

Unbedingt anerkannt?! Apersonale Spiritualitäten - christlich reflektiert Johannes Lorenz

Immer wieder in die Schule gehen. Lernen bei Ignatius von Loyola Hans Brandl SJ

Lektüre

„Die Nacht ist vorgedrungen“. Ein Weihnachtslied von Jochen Klepper in der Passionszeit Egbert Ballhorn

Buchbesprechungen

Impressum

GEIST & LEBEN – Zeitschrift für christliche Spiritualität. Begründet 1926 als Zeitschrift für Aszese und Mystik

Erscheinungsweise: vierteljährlich

ISSN 0016–5921

Herausgeber:

Deutsche Provinz der Jesuiten

Redaktion:

Christoph Benke (Chefredakteur)

Britta Mühl (Lektorats-/Redaktionsassistenz)

Redaktionsbeirat:

Margareta Gruber OSF / Vallendar

Stefan Kiechle SJ / Frankfurt

Bernhard Körner / Graz

Edith Kürpick FMJ / Köln

Ralph Kunz / Zürich

Jörg Nies SJ / Stockholm

Andrea Riedl / Dresden

Klaus Vechtel SJ / Frankfurt

Redaktionsanschrift:

Pramergasse 9, A–1090 Wien

Tel. +43–(0)664–88680583

redaktion@geistundleben.de

Artikelangebote an die Redaktion sind willkommen. Informationen zur Abfassung von Beiträgen unter echter.de/zeitschriften/geist-und-leben. Alles Übrige, inkl. Bestellungen, geht an den Verlag. Nachdruck nur mit besonderer Erlaubnis. Werden Texte zugesandt, die bereits andernorts, insbesondere im Internet, veröffentlicht wurden, ist dies unaufgefordert mitzuteilen. Redaktionelle Kürzungen und Änderungen vorbehalten. Der Inhalt der Beiträge stimmt nicht in jedem Fall mit der Meinung der Schriftleitung überein. Für Abonnent(inn)en steht GuL im Online-Archiv als elektronische Ressource kostenfrei zur Verfügung. Nichtabonnent(inn)en können im Online-Archiv auf die letzten drei Jahrgänge kostenfrei zugreifen. Registrierung auf echter.de/zeitschriften/geist-und-leben.

Verlag: Echter Verlag GmbH,

Dominikanerplatz 8, D–97070 Würzburg

Tel. +49–(0)931–660 68–0, Fax +49–(0)931–660 68–23

info@echter.de, www.echter.de

Visuelle Konzeption: Atelier Renate Stockreiter

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Notiz

Bernhard Körner Graz geb 1949 Dr theol Prof em für Dogmatik an der - фото 1

Bernhard Körner | Graz

geb. 1949, Dr. theol., Prof. em. für Dogmatik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Graz, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

bernhard.koerner@uni-graz.at

Sich von Habermas etwas sagen lassen

In einer Rede zum 80. Geburtstag des jüdischen Gelehrten Gershom Scholem (1897–1982) hat Jürgen Habermas darauf aufmerksam gemacht, dass sich die Geisteswissenschaften bei der Auslegung von Texten der Vergangenheit „in jener merkwürdigen Ambivalenz“ bewegen „zwischen der Erhellung von Dokumenten, aus denen wir noch Lebenswichtiges lernen können, und der Entzauberung ihres dogmatischen Geltungsanspruches“. So werden die Weitergabe und Aneignung von Tradition „zugleich ermöglicht und vernichtet“ 1. Was heißt das? Dazu muss man wissen: Scholem, den Habermas mit seiner Rede ehrt, hat sich mit jüdischer Mystik befasst, er war aber selbst kein Mystiker. Er spricht also über etwas, wozu er in seiner eigenen Erfahrung keinen Zugang hat. Wie kann er dann mystische Texte verstehen und verständlich machen? Gerade im Blick auf die Mystik bleibt nur ein Ausweg – der Interpret muss die Texte im Licht seines Wissens über die Mystik, also in der Außenperspektive und nicht in der Innenperspektive lesen. Und das gilt nicht nur für die Mystik, sondern oft genug für Aussagen des Glaubens überhaupt.

Dieser Wechsel der Perspektive mag auf den ersten Blick harmlos erscheinen, ist es aber nicht. Denn in der Außenperspektive wird der Wahrheitsanspruch einer Glaubensüberzeugung in Klammern gesetzt. Nehmen wir ein Beispiel: Teresa von Avila spricht von ihrer mystischen Begegnung mit Christus. Diese ist für sie eine Wirklichkeit, eine Erfahrung. Religionswissenschaftler(innen) oder Theolog(inn)en, die keine mystischen Erfahrungen haben, können darüber nur in der Außenperspektive sprechen. Sie sagen – genau genommen – nicht: „Christus ist Teresa erschienen“, sondern nur „Teresa war überzeugt, dass ihr Christus erschienen ist“. Das kann sogar ein(e) Atheist(in) sagen, denn der Geltungsanspruch der mystischen Erfahrung ist in Klammern gesetzt, „entzaubert“ – wie Habermas sagt.

Was haben diese Überlegungen mit gelebter Spiritualität und Seelsorge zu tun? Ich meine: sehr viel. Dass in unserer Gesellschaft die religiöse Rede eine große Herausforderung darstellt, ist nicht neu. Was Jürgen Habermas anspricht, wird dabei allerdings kaum in Rechnung gestellt. Es ist zuzugeben, dass es manchmal gut, ja unumgänglich sein kann, in der Außenperspektive zu sprechen, einfach wiederzugeben, was andere im Glauben erfahren und erkannt haben. Oder was in der Bibel berichtet wird. Dabei kann die Frage, ob es das gibt, wovon erzählt wird, offenbleiben. Aber früher oder später stellt sich dann doch die Frage, wie es wirklich war, oder ob es das geben kann, wovon die Rede ist. Und das heißt: Man muss von der Außen- in die Innenperspektive wechseln.

Damit ist aber klar, dass eine universitäre Ausbildung für die Seelsorge, geistliche Begleitung, Exerzitien, Predigt usw. allein nicht genügt. Theologie an der Universität erhebt den Anspruch, Wissenschaft zu sein. Zumal heute will sie dadurch ihren Platz im Haus der Wissenschaften sichern. Deshalb wird sie über Gott in der Regel – nicht anders als die Religions- oder Kulturwissenschaften – in der Außenperspektive sprechen. Das schließt nicht aus, dass Vortragende dann und wann auch in der Innenperspektive ihren Glauben erkennen lassen. Das auch, weil es für Studierende manchmal irritierend ist, dass der Glaube so distanziert thematisiert wird. Erst recht gilt das für die Seelsorge. Wird nur in der Außenperspektive gesprochen, dann kann das Geglaubte nicht durch das Zeugnis als Wirklichkeit zur Sprache kommen. Ob es gilt, bleibt unklar.

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