Wie der dolus alternativus in der Klausur zu behandeln wäre, soll hier veranschaulicht werden durch das aus der neuesten Rechtsprechung stammende und hier nur zur Veranschaulichung nach dem BGH gelöste
Beispiel 4:A schlug mit einem Hammer ohne Tötungsvorsatz in Richtung der C und des unmittelbar hinter ihr stehenden Bruders B. A hielt es für möglich und billigte, mit dem Hammer entweder C oder B zu verletzen. C und B gelang es, den Schlag so abzulenken, dass dieser nicht C, sondern B traf. ( Hammerschlag-Fallnach BeckRS 2021, 541[16])
Lösung: I.Hier wäre zunächst eine Strafbarkeit des A wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223 I, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5 StGB gegenüber B zu prüfen. Der objektive Tatbestand ist dabei gegeben, insbesondere handelt es sich bei dem Hammer um ein gefährliches Werkzeug und es ist zumindest eine abstrakt lebensgefährdende Behandlung anzunehmen, die die Rechtsprechung für § 224 I Nr. 5 StGB genügen lässt (für eine konkrete Lebensgefahr liefert der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte). Was den Vorsatz anbelangt, so wäre auch hier wiederum keine aberratio ictus anzunehmen, da diese nur gegeben ist, wenn der Täter den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem der Tatopfer für möglich hält, nicht aber bei beiden (sogenannter Alternativvorsatz). Da Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe nicht ersichtlich sind, ist eine Strafbarkeit wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung gegenüber B zu bejahen.
II.Fraglich ist, ob darüber hinaus auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung nach §§ 223, 224 I Nr. 2 Alt. 2, Nr. 5, 22, 23 StGB gegenüber C zu bejahen ist. Nichtvollendung sowie Strafbarkeit des Versuchs liegen vor (vgl. §§ 12 I, 224 II StGB). Fraglich ist allerdings, ob A auch Tatentschluss bezüglich einer Verletzung der C hatte. Zum Teil wird dies verneint, da es anderenfalls zu einer Verdoppelung des Vorsatzes käme, obgleich der Täter wusste, dass er nur eines von beiden Opfern treffen würde. Die h.L. und der BGH gehen dagegen davon aus, dass trotz sich ausschließender Erfolge bei verschiedenen Opfern ein auf diese gerichteter bedingter Vorsatz gegeben sein kann. Ausdrücklich stellt der BGH für den vorliegenden Fall fest: „Die Tatsache, dass der Angeklagte den Eintritt eines Körperverletzungserfolges bei nur einem der beiden Tatopfer für möglich hielt, nicht aber einen Erfolgseintritt bei beiden (sog. Alternativvorsatz), steht der Annahme von zwei bedingten Körperverletzungsvorsätzen nicht entgegen“, da sich A sowohl mit der Verletzung der C als auch mit der Verletzung des B abgefunden hat und daher kein Grund für die Annahme von nur einem zurechenbaren Vorsatz bestehe. Dies verstoße nicht gegen Denkgesetze, solange die Erfolge – wie hier – nicht den sicheren Eintritt nur eines der Erfolge zum Gegenstand haben. Damit liegt auch ein Tatentschluss bezüglich C vor. Spätestens mit dem Ausholen zum Hammerschlag hat A dabei zum Versuch unmittelbar angesetzt. Da wiederum Rechtfertigung und Entschuldigungsgründe nicht ersichtlich sind, liegt auch eine versuchte gefährliche Körperverletzung gegenüber C vor.
III.Bleibt schließlich das Konkurrenzverhältnis von vollendeter und versuchter Körperverletzung zu untersuchen. Hier wären nun die bei Bsp. 1-3 geschilderten Auffasungen darzustellen. Obgleich A davon ausgegangen ist, dass allenfalls ein tatbestandsmäßiger Erfolg eintreten wird, hat er damit nach Ansicht des BGH eine größere Tatschuld auf sich geladen, als derjenige, der nur einen einfachen Vorsatz aufweist. Dieser Schuldgehalt werde daher erst mit der tateinheitlichen Verurteilung auch wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung neben der Verurteilung wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung abgebildet und klargestellt. Dem ist nur dann zu widersprechen, wenn auf diese Weise der dolus alternativus mit dem dolus cumulativus gleichgesetzt wird. Zumindest bei annähernd gleicher Schutzrichtung und Tatschwere sollte daher der Versuch hinter der Vollendung zurücktreten. Auch bei höchstpersönlichen Rechtsgütern unterschiedlicher Rechtsgutsträger – wie dies vorliegend der Fall war – sollte dies entgegen einer starken Literaturauffassung[17] nicht anders sein (Abweichendes könnte nur bei einem doppelten Versuch gelten).[18]
5. Notwendigkeit einer zeitlichen Koinzidenz des Vorsatzes (sog. Simultaneitätsprinzip)[19]
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Der Vorsatz muss bei Vornahme der Tathandlung vorliegen.[20] Hieraus folgt im Wesentlichen zweierlei:
a) Nicht ausreichend ist ein sog. dolus subsequens.[21] Verdeutlicht wird dies durch folgendes
Beispiel:A geht auf den Hof des B und entwendet dessen BMW Coupé in der Absicht, eine Spritztour zu unternehmen und den Wagen dann zurückzustellen. Während der Fahrt gewinnt er Spaß an dem Wagen und behält ihn.
Lösung:§ 242 I StGB ist hier nicht erfüllt, da es an der Zueignungsabsicht im Zeitpunkt der Wegnahmehandlung fehlt. Der nachträglich gefasste Entschluss reicht als bloßer dolus subsequens nicht aus. Gegeben sind jedoch § 248b I StGB sowie § 246 I StGB, wobei § 248b StGB nach dessen Abs. 1 gegenüber § 246 StGB formell subsidiär ist (dies gilt auch dann, wenn sich der Täter das KFZ während des Gebrauchs zueignet;[22] § 246 StGB droht nämlich zumindest abstrakt in Abs. 2 eine höhere Strafe an als § 248b StGB und hat daher Vorrang).
Ein Fall aus der neuesten Rechtsprechung liefert zu dieser Problematik ein lehrreiches
Beispiel:[23] A und B veranstalteten spontan auf dem Kurfürstendamm ein illegales Autowettrennen. In dessen Verlauf fuhren A und B nach Erreichen einer Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h bei Rot in einen Kreuzungsbereich ein. Spätestens jetzt – zu einem Zeitpunkt, als sie schon absolut unfähig waren, noch zu reagieren – war beiden bewusst, dass ein bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrender Fahrzeugführer und etwaige Mitinsassen bei einer Kollision mit den von ihnen gelenkten Pkw nicht nur verletzt, sondern sogar zu Tode kommen könnten. Auf der Kreuzung kollidierte das Fahrzeug des A tatsächlich mit dem Wagen des C, der bei Grün in die Kreuzung eingefahren war und durch den seitlichen Aufprall sofort getötet wurde. Strafbarkeit des A? ( Raser-Fallverkürzt nach BGH NStZ 2018, 409; eine ausführliche Darstellung und Lösung dieses Falles unter Berücksichtigung des neuen § 315d StGB findet sich in Rn. 103und Rn. 104)
Lösung:Der 4. Senat hat die Verurteilung des A wegen Mordes durch das LG Berlin (vgl. zu den einschlägigen Mordmerkmalen die klausurmäßige Lösung des Falles in Rn. 103und Rn. 104) in einem spektakulären ersten Revisionsurteil zunächst aufgehoben, da der hierfür mindestens erforderliche bedingte Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt der Tathandlung nicht hinreichend festgestellt sei. Voraussetzung für die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat sei nach § 16 I StGB, dass der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bei ihrer Begehung kennt. Dementsprechend müsse der Vorsatz im Zeitpunkt der zum Taterfolg führenden Handlung vorliegen. Fasse der Täter den Vorsatz erst später (dolus subsequens), komme eine Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat nicht in Betracht. Aus der Notwendigkeit, dass der Vorsatz bei Begehung der Tat vorliegen muss, folge, dass sich wegen eines vorsätzlichen Delikts nur strafbar macht, wer ab Entstehen des Tatentschlusses noch eine Handlung vornimmt, die in der vorgestellten oder für möglich gehaltenen Weise den tatbestandlichen Erfolg – bei Tötungsdelikten den Todeserfolg – herbeiführt. Das Landgericht habe einen bedingten Tötungsvorsatz erst – wie sich aus der Wendung ‚Spätestens jetzt (…)‘ ergebe – für den Zeitpunkt festgestellt, als A bei Rotlicht zeigender Ampel in den Bereich der Kreuzung einfuhr, also zu einem Zeitpunkt, als er ‚absolut unfähig‘ gewesen ist, ‚noch zu reagieren‘, sodass ‚ein Vermeidungsverhalten objektiv nicht mehr möglich‘ gewesen sei. Die für den Unfall maßgeblichen Umstände, insbesondere die bereits erreichte Kollisionsgeschwindigkeit sowie das Einfahren in den Kreuzungsbereich trotz roten Ampelsignals, lagen danach bereits vor bzw. waren unumkehrbar in Gang gesetzt, als die Angeklagten und damit auch A – nach den Feststellungen – den Tötungsvorsatz fassten. Damit fehlt es an der Simultaneität von Tötungsvorsatz im Zeitpunkt des Versuchsbeginns, der nach den Feststellungen erst begann, als A und B die Entwicklung des weiteren Geschehens bereits unverhinderbar aus den Händen gegeben hatten. In der Neuauflage des Prozesses ist eine andere Kammer des LG Berlin jedoch davon ausgegangen, dass A schon früher den bedingten Tötungsvorsatz gefasst habe, nämlich bereits ca. 90m vor dem Scheitelpunkt der Kreuzung, was unter anderem dadurch belegt sei, dass A dort noch einmal Vollgas gegeben habe und sodann auf die Kreuzung zugefahren sei (auch hierzu die Falllösung Rn. 104).
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