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Beispiel:A zündete das Haus der Familie H an. Als der 22-jährige Sohn M der Eheleute H mit 2,17 Promille von der Gaststätte nach Hause kam und das Feuer bemerkte, entschloss er sich in das Haus zu gehen, um dort Sachen oder Menschen – etwa den 6-jährigen Bruder B, der sich aber schon selbst gerettet hatte – in Sicherheit zu bringen. M starb im Feuer. Strafbarkeit des A? Wie, wenn der Feuerwehrmann F beim Löschen des Brandes starb? ( Retter-Fall, abgewandelt und verkürzt nach BGHSt 39, 222[71])
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Lösung:Während zunächst eine schwere Brandstiftung nach § 306a I Nr. 1 StGB erfüllt ist, fehlt es für eine besonders schwere Brandstiftung nach § 306b II Nr. 1 StGB an einer durch die Tat vorsätzlich bewirkten Todesgefahr für einen anderen Menschen,[72] nachdem bezüglich B der Sachverhalt nicht hinreichend klar ist, bezüglich M ein hinreichender, auf die Herbeiführung der Todesgefahr bezogener Vorsatz nicht feststeht.[73] Gegeben ist jedoch eine Brandstiftung mit Todesfolge gem. § 306c StGB, nachdem seit Inkrafttreten des 6. StrRG nur noch irgendein durch die Brandlegung verursachter Tod eines Menschen gefordert wird, der sich nicht zwingend schon vorher in den Räumlichkeiten befunden haben muss. Ein qualifizierter Zurechnungszusammenhang im Sinne eines spezifischen Gefahrzusammenhangs liegt vor, da M stark alkoholisiert war und zur Rettung seines Bruders tätig wurde, sodass eine Freiverantwortlichkeit bei der Selbstgefährdung mit Blick auf §§ 21 und 35 StGB nicht gegeben war.[74] Die ebenso verwirklichte schwächere Erfolgsqualifizierung des § 306b I StGB[75] tritt hinter § 306c StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück. Im Ergebnis hat sich A nach §§ 306c, 306 StGB strafbar gemacht. Die Taten stehen zueinander in Tateinheit. §§ 303, 305 StGB treten zurück. Ebenso § 222 StGB.
Hinweis: Machen Sie sich schon hier das Stufenverhältnis der §§ 306a I, 306a II, 306b I, 306b II und 306c StGB klar. Sie erkennen dann, dass der Gesetzgeber systematischer vorgegangen ist, als dies vielleicht zunächst den Anschein hat. Behält man die Stufung im Auge, so lassen sich viele Klausuren schon durch aufmerksame Lektüre des Gesetzestextes lösen. Zumindest aber verlieren die Brandstiftungsdelikte auf diese Weise ihren Schrecken (näher zu den Brandstiftungsdeliken Jäger, BT, Rn. 739 ff.).
Achtung Klausur: Wenn der Feuerwehrmann F bei seinem Einsatz stirbt, soll dagegen nach der h. M. der Schutzzweckzusammenhang stets aufrecht erhalten bleiben. Denn dann realisiere sich die typische Gefahr, weil der Feuerwehrmann zum Einsatz verpflichtet sei und es daher auch unabhängig von §§ 20, 21, 35 StGB grundsätzlich an einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung fehle (dagegen allerdings früher Roxin, demzufolge auch beim Feuerwehrmann die Übernahme der Berufspflichten freiverantwortlich erfolgt; [76] nach der Änderung der Gesetzesfassung des § 306c StGB ist diese Auffassung im Hinblick auf Brandgefahren freilich fraglich geworden, da der Gesetzgeber wohl gerade Feuerwehrleute angesichts der berufstypischen Gefahr, das bereits brennende Haus betreten zu müssen, unter erhöhten Schutz stellen wollte [77] ). Eine wichtige Einschränkung hat jedoch das OLG Stuttgart [78] auch für Berufsretter formuliert. Danach sollen dem Verursacher eines Brandes zwar grundsätzlich auch die Schädigung oder gar Tötung von Feuerwehrmännern zuzurechnen sein, die auf überobligatorischen, d. h. über die beruflichen Pflichten hinausgehenden Rettungshandlungen beruhen; die Grenzen der Zurechnung seien allerdings dort überschritten, wo sich der Rettungsversuch als von vornherein sinnlos, mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbunden und damit als erkennbar unvernünftig darstellt. Die Entscheidung betraf § 222 StGB, muss aber auch für §§ 306b I, 306c StGB gelten, da dort sogar ein spezifischer Zurechnungszusammenhang gefordert wird, der folgerichtig bei offensichtlich unvernünftigen Rettungshandlungen erst recht verneint werden müsste (vgl. auch Jäger, BT, Rn. 515). Überhaupt ist fraglich, ob man zwischen Berufsrettern (nicht freiverantwortlich) und sonstigen Rettern (freiverantwortlich) unterscheiden kann. Immerhin hat jedermann Hilfspflichten aus § 323c StGB, sodass von einer gänzlichen Freiverantwortlichkeit des Privaten nicht ausgegangen werden kann, zumal die Fehleinschätzung von Gefahren gerade bei Laienhelfern naheliegend ist. Auch bei privaten Rettern sollte der Zurechnungszusammenhang daher grundsätzlich bejaht werden und die Grenze der Verantwortungsverlagerung auf das Opfer erst bei offensichtlicher Unvernünftigkeit überschritten sein. Letztlich vertritt auch der BGH diese Auffassung, wenn er davon ausgeht, dass bei einer Brandstiftung das Eingreifen von Rettern prinzipiell vorhersehbar sei.
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Zu beachten ist, dass die Rspr. das Rechtsinstitut der „freiverantwortlichen Selbstgefährdung“ bei tödlichen Arbeitsunfällen mit Blick auf § 618 BGB einschränkt. So hat das OLG Naumburg[79] einen Arbeitgeber wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 222, 13 StGB bestraft, weil dieser seinen Arbeitnehmern für eine Tätigkeit im Bereich von ausströmendem Gas nicht die erforderliche Zahl von Atemschutzmasken zur Verfügung gestellt hatte. Obwohl ein Arbeitnehmer in Kenntnis des Risikos Arbeiten im Bereich des ausströmenden Gases vorgenommen hatte und dabei gestorben war, hat das OLG eine Zurechnung des Erfolges zur Person des Arbeitgebers bejaht, da die Pflicht aus § 618 I BGB zu einer Überlagerung der Eigenverantwortlichkeit des Arbeitnehmers durch die Fremdverantwortung des Arbeitgebers führe.[80] Zu einer solchen Überlagerung soll es jedoch nach einer Entscheidung des OLG Rostock[81] nicht kommen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hinsichtlich seines selbstgefährdenden Verhaltens bereits abgemahnt und damit deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er mit einem solchen selbstgefährdenden Verhalten nicht einverstanden ist. Das OLG Rostock betont dabei, dass maßgeblich die Art der Beeinflussung der Willensbildung sei, sodass man entgegen dem OLG Naumburg auf die Verwendung des Begriffs der allgemeinen „Überlagerung“ verzichten sollte. Entscheidend sei vielmehr, wie sich im konkreten Einzelfall das Fehlverhalten des Arbeitnehmers im Erfolg ausgewirkt hat. Dabei liege auf der Hand, dass es einen Unterschied macht, ob ein Arbeitgeber Sicherheitsgeräte überhaupt nicht zur Verfügung stellt (so im Fall des OLG Naumburg) oder ob er unter Bereitstellung der Sicherheitsgeräte auf eine Einhaltung der Gefahrvorschriften drängt und nur eine persönliche Kontrolle unterlässt (so im Fall des OLG Rostock).
(2) Einverständliche Fremdgefährdung
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Hier gefährdet sich das Opfer nicht selbst, sondern lässt sich im Bewusstsein des Risikos von einem anderen gefährden.
Beispiel:Ein fahruntüchtiger Fahrer nimmt einen Party-Teilnehmer auf dessen ausdrückliche Bitte hin in seinem Auto mit. Der Party-Teilnehmer erkennt zwar eindeutig, dass der Fahrer betrunken ist, möchte aber auf die Vorzüge einer Autofahrt nicht verzichten.
Nach einer starken Literaturauffassung scheitert hier eine Einwilligung in die Rechtsgutsverletzung, weil nicht in den Erfolg (sondern nur in die Gefahr!) eingewilligt wird.[82] Dennoch geht ein ernstzunehmender Teil der Literatur davon aus, dass in solchen Fällen der Schutzzweck der Norm einzuschränken sei. Eine Gleichstellung der einverständlichen Fremdgefährdung mit der freiverantwortlichen Selbstgefährdung mit der Konsequenz, dass der Zurechnungszusammenhang unterbrochen wird, nimmt etwa Roxin unter drei Voraussetzungen an:[83]
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der Schaden muss die Folge des eingegangenen Risikos und nicht hinzukommender anderer Fehler sein, |
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dazu muss der Gefährdete, wie schon bei der Selbstgefährdung, das Risiko im selben Maße überschauen (tatsächlich) wie der Gefährdende. Nur dann hat er die Eigenverantwortung, |
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schließlich wird man eine einverständliche Fremdgefährdung (ähnl. wie eine Einwilligung) bei Allgemeingütern nicht zulassen dürfen, weshalb im Bsp. zwar ein Zurechnungsausschluss im Hinblick auf § 222 StGB, nicht aber in Bezug auf § 315c StGB in Frage kommt[84], da diese Vorschrift dem Schutz des Straßenverkehrs dient. |
Die Rechtsprechung hat sich allerdings der Auffassung, wonach die einverständliche Fremdgefährdung einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung dogmatisch gleichzustellen sei, niemals angeschlossen. Vielmehr geht sie davon aus, dass sich die einverständliche Fremdgefährdung nach den Regeln der rechtfertigenden Einwilligung zu richten habe. Dabei zeigt sich, dass die Rspr. eine einverständliche Fremdgefährdung nicht zulassen will, wenn es um die Einwilligung in konkret lebensgefährdende Handlungen geht (Rechtsgedanke des § 216 StGB). Die Rspr. prüft dies im Rahmen der rechtfertigenden Einwilligung und wendet §§ 216 und 228 StGB als Rechtfertigungsausschlüsse an (näher u. der Müllcontainer-Fall, Rn. 65 f., sowie vor allem der Autosurfer-Fall, Rn. 202 f. und der Beschleunigungstest-Fall, Rn. 204 f.).
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