Ergebnis:Verlangt man mit der Vermeidbarkeitstheorie für den Zurechnungszusammenhang, dass der Erfolg bei rechtmäßigem Alternativverhalten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeblieben wäre, so scheidet hier richtigerweise eine Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung aus. Zum gegenteiligen Ergebnis kann man nur gelangen, wenn man mit dem BGH – verfehlt – beim rechtmäßigen Alternativverhalten auf eine an die Alkoholisierung angepasste Geschwindigkeit abstellt oder mit einem Teil der Lit. den Ansatz der Risikoerhöhungslehre wählt.
III.Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung nach §§ 315c I Nr. 1a, III Nr. 1; 11 II StGBscheitert mangels Zurechnungszusammenhang zwischen missbilligtem Verhalten und Gefahrerfolg (§ 315c StGB wird daher zutreffend als Gefahrerfolgsdelikt bezeichnet).[53] An einem derartigen Zurechnungszusammenhang fehlt es hier aber – sofern man nicht die Risikoerhöhungslehre zugrunde legt – aus den bereits bei § 229 StGB angeführten Gründen. Interessant ist dabei, dass auch die Rechtsprechung bei § 315c I Nr. 1a StGB nicht auf den Gesichtspunkt der möglichen Reduzierung der Geschwindigkeit, sondern allein auf die unerlaubte Alkoholisierung abstellt. Grund hierfür ist wohl der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift, wonach gerade durch die Alkoholisierung die Gefahr für Leib und Leben entstanden sein muss (vgl. Wortlaut: „… und dadurch …“). Die Vorschrift gibt damit klar vor, dass die Gefahr hier gerade durch die Trunkenheit eingetreten sein muss, weshalb beim rechtmäßigen Alternativverhalten diese Trunkenheit auch wegzudenken ist.
IV. Ergebnis:Da nicht sicher ist, ob bei Nüchternheit der Unfall vermeidbar gewesen wäre, ist danach jedenfalls eine Strafbarkeit nach § 315c StGB abzulehnen und nur § 316 StGB zu bejahen.
B. Das Geschehen nach dem Unfall
I.Denkbar ist hier eine Strafbarkeit wegen versuchten Mordes durch Unterlassen nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB.
Die Annahme einer Verdeckungsabsicht ist hinsichtlich der Trunkenheitsfahrt nach § 316 I StGB möglich, sofern man hier nur die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht fordert (vgl. näher zu dieser Problematik Jäger , BT, Rn. 42 ff.). Allerdings lässt sich auch eine Ablehnung einer Verdeckungsabsicht gut vertreten, wenn man davon ausgeht, dass das bloße Nichtaufdecken einer Straftat mit dem aktiven Zudecken einer solchen nicht vergleichbar ist und daher die notwendige Modalitätenäquivalenz fehlt (auch dazu näher Jäger , BT, Rn. 52 ff.). Folgt man jedoch dem BGH, so läge hier sogar eine Verdeckungsabsicht vor.
Eine Garantenstellung aus Ingerenz ist hier dagegen nach einem Teil der Literatur unter Zugrundelegung der von A vorgestellten Umstände zu verneinen. Der BGH hat hierfür bereits in einer Entscheidung aus dem Jahre 1986[54] schlicht das Vorliegen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens (hier die Trunkenheitsfahrt) genügen lassen und keine weitere Verknüpfung zwischen Sorgfaltspflichtwidrigkeit und Gefahr verlangt. Dagegen geht die Literatur zu Recht davon aus, dass eine Garantenstellung aus Ingerenz nur dann gegeben sein kann, wenn dem Unterlassenden aufgrund seiner pflichtwidrigen Vorhandlung die abzuwendende Gefahr und damit auch die sich aus ihr entwickelnde Rechtsgutsverletzung objektiv als fahrlässig bewirkt zugerechnet werden kann[55] (näher dazu Rn. 523 ff.). Gegen die Ansicht des BGH spricht, dass diese allein an der Gefährlichkeit des Vorverhaltens anknüpft und letztlich gegen allgemeine Zurechnungsregeln verstößt, wenn sie einerseits Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens verlangt, dann aber nicht für entscheidend hält, ob sich tatsächlich das rechtlich missbilligte Risiko im konkreten Taterfolg niedergeschlagen hat. Auf diese Weise wird dem Täter etwas als Unterlassungstat vorgeworfen, was ihm nicht als durch fahrlässige Aktivtat herbeigeführt angelastet werden könnte.[56]
II.Ebenso scheitert mangels Garantenstellung (zur Begründung siehe soeben) eine versuchte Aussetzung mit Todesfolge nach § 221 I Nr. 2, III, 22, 23 StGB(vgl. zur Möglichkeit eines Versuchs bei § 221 I, III StGB näher Jäger , BT, Rn. 89).
III.Eine Strafbarkeit wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr nach § 316 I StGBdurch Fortsetzung der Trunkenheitsfahrt sowie wegen unterlassener Hilfeleistung nach § 323c StGB und unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 StGBist zu bejahen.
C. Gesamtergebnis:Im ersten Sachverhaltskomplex hat sich A nach BGH-Auffassung wegen fahrlässiger Tötung, nach richtiger Literaturansicht dagegen nur gem. § 316 StGB strafbar gemacht. Im zweiten Sachverhaltskomplex hat sich A nach der Ansicht des BGH wegen versuchten Mordes nach §§ 212, 211, 13, 22, 23 StGB sowie wegen versuchter Aussetzung mit Todesfolge nach § 221 I Nr. 2, III StGB strafbar gemacht. Darüber hinaus sind auch die §§ 316 I, 323c sowie § 142 StGB verwirklicht. Nach der Literaturauffassung wären dagegen im zweiten Komplex nur die §§ 316 I, 323c und 142 StGB zu bejahen. Die Delikte des ersten und zweiten Tatkomplexes stehen zueinander in Tatmehrheit, da der Unfall eine Zäsur schafft (dazu näher Rn. 589). Die jeweils im ersten und zweiten Sachverhaltskomplex verwirklichten Delikte stehen dagegen zueinander in Tateinheit.
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Eine letzte Einschränkung, die vor allem von der Lit. entwickelt wurde, betrifft die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs bei Erfolgen, die außerhalb des Verantwortungsbereichs des Täters liegen. Für eine derartige täterentlastende Verantwortungsverschiebung kommen dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten in Betracht:
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Heute besteht Einigkeit darüber, dass der Täter nicht für Erfolge haften darf, deren Verhinderung in den Verantwortungsbereich eines Dritten fällt.[57] Eine derartige Verantwortungsverlagerung spielt dabei vor allem im Bereich ärztlicher Heileingriffe immer wieder eine Klausurrolle:
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Fall 2:B fährt unter Missachtung der Vorfahrt den C an, der eine Schulterluxation (Ausrenkung des Schultergelenks) erleidet. C wird ins Krankenhaus eingeliefert, wo ihm Arzt A ein Muskelrelaxanz spritzt, damit die Schulter – aufgrund der durch dieses Mittel bewirkten Muskelerschlaffung – leichter wieder eingerenkt werden kann. Leider vergisst A, den C zu beatmen, was aber bei dieser Form des Eingriffs dringend notwendig wäre, weil durch das Muskelrelaxanz auch die Atemmuskulatur „lahm gelegt“ wird. C läuft blau an und stirbt den Erstickungstod. Strafbarkeit von A und B? (Schulterluxations-Fall)
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Lösung:
A. Strafbarkeit des A
I.A könnte sich wegen fahrlässiger Tötung gem. § 222 StGBstrafbar gemacht haben, indem er dem C das Mittel spritzte, ohne ihn zu beatmen.
1.Tun oder Unterlassen? Die Frage stellt sich hier, weil A sowohl gehandelt hat, indem er das Mittel spritzte, als auch etwas unterlassen hat, indem er nicht für künstliche Beatmung sorgte.
Achtung Klausur: Vergessen Sie beim Fahrlässigkeitsdelikt niemals, an das Problem der Abgrenzung von Tun und Unterlassen zu denken. Es ist dort deshalb so wichtig, weil die Fahrlässigkeit stets ein Unterlassungselement beinhaltet, nämlich die Nichtbeachtung der gebotenen Sorgfalt. Dennoch ist die Abgrenzung von Tun und Unterlassen beim Fahrlässigkeitsdelikt natürlich nicht immer zu prüfen, weil die Nichtanwendung der gebotenen Sorgfalt sich vielfach schon eindeutig und untrennbar im Tun erschöpft (Bsp.: zu schnelles Fahren bedeutet Nichtberücksichtigung der gebotenen Geschwindigkeit und ist daher vom aktiven Tun nicht trennbar). Deshalb ist das Nichtbeachten der Geschwindigkeit im Rahmen des aktiven Fahrlässigkeitsdelikts auch lediglich bei der Sorgfaltspflichtverletzung anzusprechen. Dort aber, wo das aktive Tun von einem davon trennbaren Unterlassen (das Unterlassen der Beatmung und das Spritzen des Mittels sind vorliegend nicht notwendig miteinander verbunden) begleitet wird, stellt sich die Abgrenzungsfrage in so deutlicher Weise, dass man in der Klausur die Frage vorab behandeln muss!
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