»Freunde, Freunde!«, rief dieser. »Ich danke euch für die Einladung. Wenn ich genauer gewusst hätte, worum es geht, hätte ich mehr Leute aus meinem Dorf mitgebracht. Wie tragisch, das alles hören zu müssen. Ich hoffe nur, es ist nicht ganz so schlimm und wir können heute Abend meine beiden Gastgeschenke, die dort draußen noch im Koben quieken, in Ruhe verspeisen. Was immer der Ältestenrat beschließen wird, meine Gemeinde trägt es mit, das darf ich euch als Bürgermeister von Verinot versichern. So haben wir es immer gehalten und so wird es auch bleiben. Möge ein guter Geist mit dieser Versammlung sein und dem Rat helfen, zu einem weisen Entschluss zu kommen.« Damit stieg Marenko wieder von der Bühne herunter und drängte zu seinem Platz zurück.
»Typisch Marenko«, flüsterte Jobol seinem Bruder Effel ins Ohr, »er denkt wieder nur ans Essen.« Alle, die das gehört hatten, mussten lachen.
Bis vor kurzem war auch ein Bewohner aus Verinot Mitglied im Rat gewesen. Leider war er im letzten Herbst bei einer Treibjagd von einem wilden Eber so schwer verletzt worden, dass keine Hilfe mehr möglich war. Bald darauf hatte Marenko angekündigt, sich im nächsten Frühjahr zur Wahl zu stellen. Er würde zwar dann das Amt als Bürgermeister abgeben müssen, aber das Ansehen eines Mitgliedes des Ältestenrates war ungleich höher.
»Marenko, Bürgermeister von Verinot«, ergriff Mindevol wieder das Wort, »ich danke dir für deine Unterstützung und dein Gastgeschenk, das bestimmt seinen Weg in unsere Mägen finden wird. Sei versichert, dass wir hier gründlich beraten, so wie wir es immer tun. Jetzt ist es wichtiger denn je, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Es wird auch alles aufgeschrieben werden, sodass du es später deinen Leuten übermitteln kannst.
Wenn diese Versammlung beendet ist, Marenko, wird noch genügend Zeit für ein ausgiebiges Nachtmahl sein. Auch frisch gebrautes Bier ist genügend vorrätig und der junge Wein wird euch allen munden.«
Viele hatten sich noch zu Wort gemeldet und ihre Meinung geäußert, bevor Jelena die Versammlung dann für beendet erklärte.
»Ich danke euch für eure zahlreichen Beiträge. Wir werden sie bei unserer Beratung berücksichtigen, so wie wir es immer getan haben. Bitte lasst euch trotz der Nachrichten nicht von einem schönen Abend abhalten. Und hebt uns etwas vom Essen auf «, endete sie lachend.
Der Ältestenrat hatte sich direkt im Anschluss an diese Versammlung zu einer ersten Sitzung in Mindevols Haus zusammengefunden.
»Jelena, bitte nimm du in meinem Sessel Platz, da hast du es am bequemsten«, bot Mindevol ihr an, als sie in seinem Haus angekommen waren. »Minka kann sich auch woanders hinsetzen und wir anderen haben am Tisch genügend Platz. Kommt Freunde, setzt euch.« Minka stand von ihrem Lieblingsplatz auf, machte einen Katzenbuckel, schaute sich um, erkannte, dass sie keine Chance haben würde zu bleiben und verließ würdevoll ihren Stammplatz. Sie verschwand in der Küche, wo Mira schon dabei war, etwas für die hohen Gäste herzurichten.
Jelena nahm den Sessel gerne an und als alle anderen auch Platz genommen hatten, sagte sie lächelnd: »Ich hoffe, Minka verzeiht mir das, Mindevol«, und dann: »Wir müssen einen weisen Entschluss fassen. Hast du schon mit deinen Freunden, den Krulls, gesprochen?«
Jeder der hier Anwesenden wusste, dass Mindevol sehr gute Verbindungen zu den Krulls hatte.
»Ja, Jelena, sie haben mich ja über der Ankunft Schtolls informiert, auch über den Grund seiner Reise. Außerdem habe ich einen von ihnen heute Abend auf unserer Versammlung gesehen. Wenn auch nicht unten in der Halle. Er saß oben bei den Jungs auf den Dachbalken.«
»Das dachte ich mir schon, dass sie jemanden schicken«, Jelena musste schmunzeln, »und was meinen sie zu der ganzen Geschichte?«
»Sie nehmen die Sache ebenfalls sehr ernst«, antwortete Mindevol und ließ dabei seinen Blick in die Runde schweifen.
»Sie haben ihrerseits bereits Maßnahmen eingeleitet. Euch kann ich es ja sagen: Sie haben Emurks nach drüben geschickt.«
Ein Raunen ging durch die Runde am Tisch.
»Emurks? Mein Gott, wenn das herauskommt. Die Anderen werden dann nicht lange fackeln. Damit brechen die Krulls den Ewigen Vertrag!« Herzel, mit 40 Jahren das jüngste Ratsmitglied, war vor Erregung aufgesprungen und hatte dabei mit der Faust auf den Tisch geschlagen.
»Beruhige dich, Herzel«, schaltete Jelena sich wieder ein, »die Verträge wurden zwischen Menschen geschlossen, die Krulls sind nicht daran gebunden und werden sich bestimmt auch nicht von irgendwelchen Richtlinien, die von Menschen aufgestellt werden, beeinflussen lassen.«
»Ja, aber die Anderen werden es trotzdem uns in die Schuhe schieben, sie warten doch nur auf einen Anlass! Wenn das stimmt, was Schtoll uns berichtet hat. Die Krulls müssen ihre Leute sofort zurückpfeifen! Mein Gott, wenn das herauskommt, sind wir alle verloren! Dann waren die letzten 700 Jahre umsonst!« Herzel stand immer noch und redete sich allmählich in Rage.
»Die Krulls werden sich von uns nicht sagen lassen, was sie zu tun haben, sie sind freie Wesen, und warum sollten die Anderen die Emurks mit uns in Verbindung bringen? Wenn sie sie überhaupt entdecken, was ich nicht für wahrscheinlich halte«, wendete Freya, ein anderes Ratsmitglied, ein.
»Das stimmt«, ergriff Mindevol wieder das Wort, »aber sie haben mir auch versichert, dass sie die Besten schicken und es mit dem Teufel zugehen müsse, wenn sie aufflögen. Wir sollten froh sein, dass die Krulls uns freundlich gesonnen sind.«
»Hach, und ich dachte schon, die Emurks seien Teufel!« Herzel wollte sich nicht damit abfinden, hatte sich aber wieder hingesetzt.
»Herzel, beruhige dich doch bitte«, bat Jelena, »wir müssen einen kühlen Kopf behalten, du hast ja Recht damit, dass die Lage ernst ist. Und wir alle wissen auch, was euch passiert ist. Wenn die Emurks es schaffen, unsichtbar zu bleiben ...«
»Das glaubt ihr doch wohl selber nicht«, wurde sie von Herzel unterbrochen, »im Gegenteil, sie werden sich einen Spaß daraus machen. Ihr wisst doch, wie sie es lieben, Leute zu erschrecken. Was haben sie schon zu befürchten? Sie brauchen ja keine Angst vor den Konsequenzen zu haben. Wie konnten die Krulls bloß auf eine solche Idee kommen? Emurks schicken sie, ausgerechnet Emurks! Entschuldige bitte, Jelena, dass ich dich unterbrochen habe.«
»Nun verbreite bitte keine Panik«, schaltete sich Mindevol wieder ein. »Ich kann ja deine Aufregung verstehen, Herzel. Aber du musst nicht gleich von einem Emurk auf alle anderen schließen. Sie sind besser als ihr Ruf, glaube mir, und die Krulls wissen sicher, was sie tun. Aber wir sind hier versammelt, um zu entscheiden, was wir tun können.«
»Die Krulls wissen was sie tun?« Herzel ließ nicht locker. »Klar wissen sie, was sie tun. Wahrscheinlich schicken sie die Emurks, weil sie sich nicht selbst in Gefahr bringen wollen. Für sie sind die Typen doch nur Kanonenfutter! Ihr wisst alle, dass ich die Emurks nicht leiden kann, aber das haben sie auch wieder nicht verdient.«
»Herzel«, wieder war es Mindevol, der sprach. »Seien wir doch einfach froh, dass die Krulls uns Informationen liefern. Sie gehen mit Sicherheit sehr verantwortungsvoll mit dieser schwierigen Situation um.«
In diesem Moment kam Mira aus der Küche. Sie stellte ein Tablett mit einem dampfenden Krug und mehreren Gläsern auf dem Tisch ab.
»Ihr müsst von meinem Punsch probieren, ihr habt doch bestimmt Durst und etwas Warmes kann euch nicht schaden. Ich habe ihn auch nicht so stark gemacht. Trinkt nur.«
Mira schaute in die Runde und ließ ihren Blick etwas länger auf Herzel ruhen.
Jeder begrüßte die kleine Unterbrechung.
»Die Krulls vielleicht, Mindevol, um die mache ich mir auch keine Sorgen. Aber Emurks! Da brauchen wir gar nichts mehr zu entscheiden, wenn mit diesen Kerlen etwas schief geht. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass es grob fahrlässig war, solche Wesen mit einer so wichtigen Aufgabe zu betrauen«, sagte Herzel, jetzt äußerlich zwar ruhiger, aber immer noch sehr bestimmt. »Ich hoffe nur, dass die Krulls die Emurks hart an der Kandare haben. Danke Mira, dein Punsch ist jetzt genau das Richtige.«
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