»Du meinst also, die Menschen hätten sich selbst unbewusst in solch schlimme Situationen gebracht? Und letztlich auch mit dem Risiko, ganz vernichtet zu werden? Ich bin bisher davon ausgegangen, dass dies ein Schöpfer tut, ein Gott, der uns alle geschaffen hat und deswegen auch das Recht hat, uns zu nehmen, was er gegeben hat.«
»Meinst du, dass du die Schöpfung vom Schöpfer trennen kannst?«, fragte Perchafta.
»So gesehen, nein. Aber hat dieser Schöpfer nicht auch durch die Natur gesprochen? Hat er uns nicht auch durch sie zahlreiche Warnungen geschickt, die letztlich doch alle überhört wurden?«
»Man nannte sie Naturkatastrophen«, erwiderte Perchafta, »aber für die Natur war es ja keine Katastrophe, nur für die Menschen. Für die Natur war es eine Reinigungsaktion und für die Erde begann damals eine Neuordnung, die Erde strukturierte sich um. Das hat sie übrigens immer mal wieder gemacht, in riesigen Zeitabständen. Und vor einigen hundert Jahren war es eben mal wieder so weit. Kannst du dir vorstellen, Effel, dass deine Heimat einmal eine Insel war, und weißt du, warum sie das heute nicht mehr ist?«
»Ja, ich weiß das von Mindevol, der es übrigens ähnlich erklärt hat wie du, Perchafta. Durch die Verschiebung von Erdplatten, stimmts?«
»Genau, Effel. Weißt du übrigens, dass bei solchen Phänomenen wie Erdbeben, Flutwellen oder Stürmen kaum wild lebende Tiere ums Leben kamen? Nur Tiere, die von Menschen an Leinen oder in Ställen gehalten wurden?
Die Tiere haben die Zeichen, die solchen Ereignissen immer vorausgehen, besser deuten können und sich in Sicherheit gebracht.
Wirklich gelitten haben nur die Menschen darunter. Ich glaube aber, dass wir gar nicht so differenzieren müssen, Effel, denn wenn es diesen Schöpfer gibt, wovon ich übrigens auch ausgehe, dann ist dieser Schöpfer ja in Allem und gleichzeitig ist er Alles, also auch in euch Menschen, auch in dir, in Sam, in jedem Blatt, das hier wächst, in jedem Vulkanausbruch, in jedem Erdbeben und in jeder Flutwelle.«
»Aber warum hat die größte Katastrophe, das Seebeben im früheren Asien, gerade die ärmsten Länder heimgesucht? Ist die Natur, oder der Schöpfer, nicht immer gerecht? Wo war denn Gott da?«
Effel war gespannt, ob der Krull auch darauf eine Antwort wüsste.
»Glaubst du wirklich, dass der Schöpfer sich mit solch menschlichen Wertmaßstäben wie gerecht oder ungerecht messen lässt? Sagt ihr nicht auch, dass Gott unermesslich ist? Und was ist schon gerecht? Ist das nicht Sache des Standpunktes? Nein, Effel, ich glaube, er hat den Menschen in seiner Güte und Liebe wieder einmal eine Chance gegeben, einen Wink. Auch damals in Asien. Wenn er auch einen Zaunpfahl dazu genommen hat.«
Perchafta hatte Effels erstaunten oder auch fragenden Gesichtsausdruck durchaus bemerkt.
»Ja Güte, Effel, dadurch, dass er dieses Unglück dort hat geschehen lassen, wo es geschah, gab er den reichen Ländern Gelegenheit, sich zu besinnen und zu helfen. Das meine ich mit Güte. Das Seebeben geschah in einem der beliebtesten Urlaubsgebiete weltweit. Zu einer Zeit, da sehr viele Menschen aus allen erdenklichen Ländern dort ihren Urlaub verbrachten.
Er wählte für dieses Ereignis einen der höchsten religiösen Feiertage der Christen und die meisten Menschen der damaligen Industrienationen waren Christen. Durch diese Flut waren alle Länder durch ihre zahlreichen Opfer direkt betroffen.
Es entstand die größte weltweite Hilfsaktion aller Zeiten. Eine beispiellose Hilfe lief innerhalb weniger Stunden an. Auch logistisch eine Meisterleistung. Durch dieses Beben wurden die Menschen auf der Erde vereint, viele haben ihre Herzen geöffnet und viele wurden angeregt, über ihre Werte nachzudenken.
Außerdem bekamen Umweltschutz und Klimaerwärmung einen neuen Stellenwert. Die Welt war für einige Wochen vereint.
Was wäre wohl geschehen, Effel, wenn das gleiche Unglück in den reichen Ländern geschehen wäre? Der damalige Mittelmeerraum galt seit langem als besonders gefährdetes Gebiet, gerade für Erd- und Seebeben mit ihren furchtbaren Tsunamis.
Es hätte sich kaum jemand wundern können, wenn dort eine Flut gekommen wäre. Und Europa gehörte damals zu den reichen Gebieten der Welt. Ich sage dir, warum. Es wäre schon damals das Ende gewesen.
Denn die armen Länder hätten nicht in diesem Umfang helfen können, wenn überhaupt. Außerdem darfst du den religiösen Aspekt nicht vergessen. Die meisten Menschen in der Unglücksregion glaubten an ein Karma, also an eine Art Schicksal.
Dieser Glaube ermöglicht es einem viel eher, solche Dinge hinzunehmen, zu akzeptieren, als wenn man auf einen ungerechten Gott schimpft oder glaubt, für seine Sünden bestraft zu werden. Gott hat nie gestraft, das können die Menschen ganz gut selbst. Aber Religion ist ein Thema für sich, Effel, lass uns darüber ein anderes Mal sprechen, wenn du magst.«
»Ja gerne«, erwiderte Effel auf den Vorschlag, »lass uns darüber reden, auch über Schicksal, denn daran glaube ich auch.«
»Die Menschen haben dort gemeinsam alles wieder aufgebaut, schöner und sogar in relativ kurzer Zeit.«
»Ja, ich habe alles darüber gelesen, Perchafta. In unseren Geschichtsbüchern wird dies ja als größte Katastrophe der Menschheit ausführlich beschrieben. Es sollen weit mehr als 300000 Menschen den Tod gefunden haben.«
»Es waren mehr, aber viele wurden nie gefunden, weil das Meer sie mitgenommen hatte. Deswegen tauchten sie in keiner der offiziellen Listen auf, so steht es jedenfalls bei uns geschrieben. Der Schöpfer hat also auch damals ein Zeichen gesetzt und viele Menschen haben das auch verstanden. Sie haben gesehen und erkannt, dass die Welt eins ist, dass man sie gar nicht teilen kann. Sie hätten es auch ohne dieses Unglück wissen können, denn wenn sie aus ihren Satelliten auf die Erde geschaut haben, konnten sie keine Grenzen sehen.
Leider hat es nicht sehr lange angehalten, dann setzten sich wieder die individuellen Machtinteressen der einzelnen Länder durch. Schon zwei Wochen später diskutierten die Politiker über die großzügigen Spenden und missbrauchten dies sogar für ihre Wahlkämpfe. Aber auch schon während des Unglücks zeigten einige Menschen ihr wahres Gesicht. Ohne Rücksicht und Respekt wurden die Toten beraubt, Häuser, soweit sie noch standen, wurden geplündert. Kannst du dir vorstellen, dass es Leute gab, die einige Tage nach dem Unglück wieder dort Urlaub machten und aus ihren Liegestühlen die Aufräumarbeiten beobachteten? Also es kann niemand sagen, die Menschen hätten ihre Chancen nicht gehabt. Du siehst, Effel es musste einfach so kommen, wie es dann gekommen ist.«
»Interessant, dass du das alles auch als Chance betrachtest. Ich kenne jemanden, der sieht es ähnlich. Aber von welchem Plan sprichst du da, Perchafta?«
»Wenn die Menschen so weit sind, wird sich dieser Plan ihnen offenbaren. Komm, lass uns weitergehen.«
Am Nachmittag kamen sie an Kirschbäumen vorbei. Die Äste bogen sich schwer von den reifen Früchten. Stare, die sich an den Kirschen gütlich getan hatten, flogen verärgert auf. Sie würden später wiederkommen.
Perchafta brauchte nur eine Handvoll davon zu essen, um satt und zufrieden dreinzuschauen. Aber auch für Effel war genug da. Nach diesem süßen Genuss setzten sie sich unter den größten Baum und Effel hatte wieder nur einen Blick für die zauberhafte Landschaft.
»Komm, lass uns weitergehen«, meinte Perchafta nach einer Weile, »und erzähle mir von diesem Schtoll, Effel. Du hast doch eine Zeit lang mit ihm verbracht?«
Effel wunderte sich nicht mehr über das, was dieser Krull alles zu wissen schien, und erzählte.
»Schtoll wohnte damals im Haus des Korbmachers Sendo und dessen Frau Balda. Die beiden hatten genügend Platz, denn sie haben keine Kinder bekommen. Das Besondere am Hause Sendos aber ist eigentlich der Garten, den müsstest du mal sehen, Perchafta. Bei schönem Wetter sitzt Sendo bei der Arbeit zwischen all den bunten Blumen und unterhält sich mit den Bienen und den Schmetterlingen, so wie du vorhin.
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