Beispiel:Auf einem Flohmarkt werden T-Shirts, die mit dem Konterfei Adolf Hitlers versehen sind, nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 beschlagnahmt. Über das Internet wird rassistische Propaganda verbreitet – es ergeht eine Löschungsverfügung. Beides sind Maßnahmen zum Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung wie auch zur Verhütung der weiteren Begehung einer Straftat nach § 86 a StGB bzw. § 130 StGB.
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Auch wenn zum Schutz des Bestandes des Staates präventive Maßnahmen aufgrund der Normen des Polizeigesetzes möglich sind, wird die Polizei hier in erster Linie strafverfolgendtätig ( s. u. RN 27und 53ff.).
Beispiel:Im vorhergehenden ersten Beispiel wird die Polizei nach § 163 StPO ihre Ermittlungen aufnehmen und die T-Shirts nach § 94 StPO beschlagnahmen.
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Zum „Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder“ ist auch der Verfassungsschutzberufen (§ 1 LVSG). Dieser, d. h. das Landesamt für Verfassungsschutz, gehört jedoch nicht zur Polizei (§ 2 Abs. 3 LVSG), ferner stehen ihm keine polizeilichen Befugnisse zu (§ 5 Abs. 3 LVSG).
bb) Schutz der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen
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Schutz der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen bedeutet hier Schutz vor Gefahren, die von außenan diese Einrichtungen herangetragen werden.
Beispiele:Behinderung des Zugangs von Parlamenten, Universitäten, Blockaden von Bussen und Bahnen, Sperrung eines öffentlichen Weges (VGH BW, VBlBW 2005, 478).
Polizeiliches Handeln in diesem Bereich setzt immer ein normwidriges, nicht unbedingt strafbares oder ordnungswidriges Verhalten voraus (str.), wenngleich viele gegen die Funktionsfähigkeit gerichteten Handlungen zugleich einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllen (z. B. §§ 105 ff., 109 ff., 113 ff., § 240 StGB). Die z. T. vertretene Auffassung, staatliche Einrichtungen seien auch dort geschützt, wo Normverstöße nicht in Betracht kommen, verschafft der Polizei Befugnisse, die eigentlich dem Gesetzgeber zustehen. Darüber hinaus wird die klare Grenze zwischen dem Begriff „öffentliche Sicherheit“ und dem Begriff „öffentliche Ordnung“ verwässert ( s. u. RN 31).
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Gegenstand des Schutzes sind Einrichtungendes Staatesund sonstiger Hoheitsträger, wie z. B. Parlaments- und Regierungsgebäude, Gerichte, Verwaltungsbehörden, Universitäten, Schulen, Museen, öffentliche Verkehrs- und Versorgungsbetriebe, gemeindliche Asylbewerber- oder Obdachlosenwohnheime. Auch Einrichtungen fremder Staaten (z. B. Konsulate, Botschaften) und solche der Stationierungsstreitkräfte wird man dazu zählen müssen. Die Verpflichtung zum Schutz Ersterer ergibt sich aus Art. 22 und 29 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Vertretungen (WÜD) bzw. aus Art. 31 Abs. 3 und 40 des Wiener Abkommens über konsularische Beziehungen (WÜK), vgl. auch §§ 102 ff. StGB.
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Geschützt ist nicht nur der räumlich-gegenständliche Bereich, sondern auch das – nicht unbedingt hoheitliche – Handelnder Hoheitsträger, wie z. B. die Durchführung eines Staatsbesuches oder einer Gedenkfeier. Eine polizeirechtlich relevante Beeinträchtigung wird jedoch i. d. R. die Qualität einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aufweisen müssen, denn die Äußerung von Unmut und Kritik über den Staat und seine Organe bewegt sich ohne Weiteres im Rahmen der Art. 5 Abs. 1 (Meinungsfreiheit), Art. 5 Abs. 3 (Kunstfreiheit) und Art. 8 Abs. 1 GG (Versammlungsfreiheit).
Beispiel:Das Aussprechen einer Platzverweisung oder gar eine Ingewahrsamnahme von Personen, die anlässlich eines „Gipfeltreffens“ ihren Unmut über die Veranstaltung und deren Teilnehmer äußern, ist unzulässig, wenn hierdurch nur das „harmonische äußere Erscheinungsbild“ beeinträchtigt oder die obligatorische Blasmusik übertönt wird.
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Auch die Behinderung polizeilicheroder sonstiger verwaltungsbehördlicher Tätigkeitkann die öffentliche Sicherheit tangieren. So rechtfertigt z. B. die Behinderung des Einsatzes von Polizei und Feuerwehr durch sogenannte Gaffer einen Platzverweis nach § 30 Abs. 1 (für das Strafverfahren vgl. § 164 StPO), vor allem unter dem Aspekt des Schutzes von Leben und Gesundheit der Unfallopfer und der beteiligten Helfer. Ein Vorgehen gegen derartige Behinderungen im Straßenverkehrkann auf die Bestimmungen des Straßenverkehrsrechts gestützt werden (§§ 44 Abs. 2, 36 StVO), denn zumindest liegt ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vor. Umstritten ist dagegen, ob die Polizei gegen Personen vorgehen darf, die vor Geschwindigkeitsmessungenwarnen. Das dürfte – sofern damit nicht tatsächliche Verkehrsverstöße, wie eine Verkehrsbeeinträchtigung (§ 1 Abs. 2 StVO) oder der unzulässige Gebrauch der Lichthupe (§ 16 Abs. 1 StVO) verbunden sind – aufgrund allgemeinen Polizeirechts zu verneinen sein (a. A. OVG Münster, NJW 1997, 1596). Zum einen hat die Warnung den gleichen Effekt wie die Kontrolle selbst, nämlich die Herabsetzung der Geschwindigkeit, zum anderen ist es weder strafbar noch ordnungswidrig, wenn die Verfolgung einer bereits begangenen Ordnungswidrigkeit vereitelt wird (zur Strafvereitelung, die auch die Verfolgungsvereitelung einschließt, vgl. § 258 StGB). Aus dem Recht des Staates, derartige Kontrollen vorzunehmen, fließt nicht automatisch die Befugnis, gegen derartige Warnungen einzuschreiten; das ergibt sich bereits aus dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Denkbar sind allerdings Maßnahmen bis hin zu einer Festnahme nach § 164 StPO als Ultima Ratio, der auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren entsprechend anwendbar ist (§ 46 Abs. 1, § 53 Abs. 1 OWiG).
Für Warnungen vor anderen Kontrollstellengelten die vorstehenden Ausführungen grundsätzlich entsprechend. Ebenso wenig ist die „Leistungsfähigkeit der Verkehrspolizei bzw. der Verkehrsüberwachungsbehörden“ Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Eine derartige Auslegung macht den Begriff „öffentliche Sicherheit“ völlig konturenlos.
Ein Einschreiten (z. B. Beschlagnahme) gegen das Mitführen von Radarwarngerätenoder Laserstörgerätenist möglich, weil ein derartiges Handeln nach § 23 Abs. 1 c StVO untersagt ist und nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO als Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann (vgl. BayVGH, DÖV 2008, 426).
Weil es auch keine Rechtsnorm gibt und geben kann, welche die bewusste Wahrnehmung öffentlicher polizeilicher Tätigkeit verbietet, kann in einem Ausspähen des polizeilichen Einsatzverhaltenskein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit liegen (so aber OVG Münster, NJW 1980, 138, 139), es sei denn, dass darin eine Strafvereitelung (§ 258 StGB) liegt.
Handlungen, die allein das Ansehen der Polizeischmälern, können polizeirechtlich nicht unterbunden werden, da ein derartiges Schutzgut rechtlich nicht existiert (a. A. VGH BW, VBlBW 1996, 373, 374). Anders liegt es jedoch dann, wenn eine Beleidigung oder eine Kollektivbeleidigung im Raum stehen.
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Keinepolizeilichen Maßnahmen sind grundsätzlich solche, mit denen Störungen innerhalbstaatlicher Einrichtungen abgewehrt werden sollen. Diese können entweder aufgrund einer gesetzlich eingeräumten Ordnungsgewaltgetroffen werden (z. B. die Ordnungsgewalt des Ausschussvorsitzenden (§ 89 LVwVfG), des Bürgermeisters als Vorsitzender des Gemeinderats (§ 36 GemO) oder des Gerichts als „Sitzungspolizei“ (§ 172 GVG), aufgrund bestehender Anstaltsgewalt, sofern sie, z. B. in einer Anstalts- und Benutzungsordnung, eine hinreichend konkrete Grundlage gefunden haben (VGH BW, VBlBW 1993, 227 f.), oder sie können aufgrund des gewohnheitsrechtlich bestehenden öffentlich-rechtlichen Hausrechtsdurch Verwaltungsakt ergehen (VGH BW, JW 1994, 2500, 2501). Zu ihrer Durchsetzung ist die Hinzuziehung des Polizeivollzugsdienstes unter den Voraussetzungen des § 105 Abs. 5 möglich.
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