»Die Vorteile für eine Firma summieren sich, wenn sie (durch Tüchtigkeit oder Glück) als Erste auf einen Markt vordringen und trotz nachfolgender Firmen den Vorsprung wahren kann. «
David Montgomery und Marvin Lieberman
Bei Amazon war eine ganze Reihe von Faktoren für den Wettbewerbsvorteil verantwortlich. Die Kunden im neuen Markt des E-Commerce warteten geradezu darauf, den Einkauf per Internet ausprobieren zu können, und Amazon war gut auf ihre Neugier und den Ansturm vorbereitet. Bücher waren als Erstkauf einfach, billig und daher sicher, das übersichtliche Design sorgte für eine erfreuliche Kauferfahrung. Mit den ersten Verkäufen passte die Firma ihre Systeme und die Website immer besser an die Bedürfnisse der Kunden an. So wurde etwa die 1-Click ®-Bestellung eingeführt, sodass Kunden ihre Daten nicht jedesmal wieder eingeben müssen.
Die ausgefeilten Distributionssysteme garantieren von Anfang an eine schnelle Lieferung. Das konnten Wettbewerber zwar leicht kopieren, aber die Kunden vertrauten Amazon bereits, sodass die Markenloyalität bereits für eine starke emotionale Bindung sorgte. Amazon genießt den Vorteil dieses Vertrauens heute noch: In den USA läuft ein Drittel aller Buchkäufe über Amazon.com.
Gillette erfand 1901 den Sicherheitsrasiererund festigte seinen Wettbewerbsvorteil durch die Entwicklung von »Rasiersystemen«, die den Kunden einen Wechsel erschwerten.
Ein aktuelles Beispiel für die Bedeutung von Wettbewerbsvorteilen der Pioniere sind die »Patentkriege« zwischen führenden Smartphone-Herstellern (darunter Apple, Samsung und HTC). Mit Patenten schützen Firmen technische Neuerungen. Gerade in der wettbewerbsintensiven Smartphone-Branche bietet eine neue Funktion entscheidende, wenn auch nur kurzfristige Vorteile. In Branchen mit hohen Umsteigekosten für die Verbraucher sind oft auch kurzfristige Vorteile wichtig für den Gewinn.
Als Montgomery und Lieberman 1988 ihren Aufsatz veröffentlichten, beschäftigen sich andere mit den gleichen Fragen. So weisen Studien ebenfalls immer wieder nach, dass Marktpioniere bedeutende Vorteile haben, die sich direkt auf den Zeitpunkt des Markteintritts zurückführen lassen.
Allerdings relativierten Montgomery und Lieberman in einem rückblickenden Aufsatz von 1998 mit dem Titel First-Mover (Dis) Advantages (dt. Vor- und Nachteile für Pioniere ) ihre ursprünglichen Thesen. Dabei stützten sich die Autoren unter anderem auf die Ergebnisse der Wirtschaftsforscher Peter Golder und Gerard Tellis von 1993 und stellten das gesamte Konzept des Pioniervorteils infrage. Golder und Tellis hatten herausgefunden, dass von den 500 Marken in 50 Produktkategorien, die sie untersucht hatten, knapp die Hälfte scheiterten. Und sie fanden nur wenige Fälle, in denen Nachfolger nicht auch gute Gewinne gemacht hätten, manche wurden sogar Marktführer. Ihre Forschungen ergaben, dass 47 Prozent der Pioniere scheiterten – aber nur acht Prozent der schnellen Nachfolger.
Das größte Problem für Pioniere besteht darin, dass der neue Markt noch unerforscht ist. Sie wagen den Sprung, ohne Kundenbedürfnisse und Marktdynamik genau zu kennen, und sie überraschen die Kunden mit völlig neuen Produkten, die nur selten von Anfang an perfekt sind. Große Firmen können die Verluste aus anfänglichen Fehlern vielleicht tragen, aber kleine müssen oft feststellen, dass ihnen schon bald das Geld ausgeht und ihre wackeligen Geschäftsmodelle einstürzen.
Demgegenüber haben spätere Nachfolger den Vorteil, dass sie in einen erprobten Markt eindringen und aus den Fehlern der Pioniere lernen konnten. Daher müssen sie auch meistens ihr Geld nicht in fehlerhafte und womöglich riskante Prozesse und Technologien investieren. Bei den Pionieren laufen dagegen erst einmal hohe Kosten auf, sodass sie ihre vergleichsweise »alte« und weniger effiziente Technologie nicht so leicht anpassen können, wenn sich die Branche weiterentwickelt. Nachfolger gelangen oft erst in den Markt, wenn die Technologie und die Prozesse relativ fest etabliert sind, sodass sowohl die Kosten als auch das Risiko deutlich geringer sind.
Manchmal ist es für Nachfolger zwar schwer, die Loyalität der Kunden zur Pioniermarke zu überwinden, aber mit einem technisch überlegenen Produkt, das die Kundenbedürfnisse besser erfüllt, können sie sich oft einen großen Marktanteil sichern. Auch wenn der Wiedererkennungswert einer Marke wichtig ist, ein besseres Produkt verschafft einer Firma den alles entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Zudem haben Nachfolger oft mehr Finanzmittel für ihr Marketing, weil sie weniger investieren müssen, und auch das können sie den Vorteilen der Pioniere entgegensetzen.
Als Google 1998 auf den Markt der Internet-Suchmaschinen vorstieß, dominierten Yahoo, Lycos und AltaVista den Markt, die alle bereits einen Kundenstamm hatten und anerkannte Marken waren. Doch Google hatte aus deren Fehlern gelernt und ein wesentlich besseres Produkt entwickelt. Das Unternehmen hatte erkannt, dass die Kunden umfassende und relevante Suchergebnisse brauchten, um sich in der Vielfalt der Informationen im Internet zurechtzufinden. Deshalb setzte es auf die besten Elemente der Filtersysteme, die die Wettbewerber nutzten, und entwickelte einen einzigartigen Algorithmus, der der Firma am Ende die Marktherrschaft sicherte.
»Gute Künstler kopieren, großartige Künstler stehlen. «
Steve Jobsehemaliger CEO von Apple (1955–2011)
»Es kann für eine Firma von Vorteil sein, später in einen Markt einzusteigen, wenn sie die Pioniere überholt. «
Peter Golder und Gerard Tellis
Es gibt viele Beispiele von Pionieren, denen es nicht gelang, einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen und zu erhalten. Unter den Internet-Firmen zählen zum Beispiel Friends Reunited und MySpace zu denen, die sich nicht langfristig durchsetzen konnten. Beide existieren zwar noch, aber ihr Vorteil als Pionier genügte nicht, um die Macht (und das überlegene Produkt) von Facebook abzuwehren. Ähnlich erging es dem im Jahr 1999 gestarteten eToys.com. Zwar zählte die Firma zu den neuen Internet-Händlern, aber der Vorteil eines Pioniers trug sie nicht und sie musste 2001 wieder schließen. Zufällig war das das Jahr, in dem Amazon begann, Spielzeug zu verkaufen (eToys. com gibt es inzwischen wieder, heute gehört es Toys R Us). Auch der Internet-Bekleidungsversand boo.com war ein Pionier, der zwar technisch überlegen, aber seiner Zeit voraus war. Die Website war zu komplex für die langsamen Internet-Verbindungen der meisten Verbraucher. Nur ein Jahr nach dem Start 1999 musste boo.com Konkurs anmelden. Es gibt einfach keine Erfolgsgarantie für Pioniere – vor allem, wenn das Geschäftsmodell nicht perfekt durchdacht ist.
Trotz der Ergebnisse von Golder und Tellis und Beispielen wie Google hat sich der Gedanke an den Wettbewerbsvorteil von Pionieren in den Köpfen der Unternehmer festgesetzt. Der neue Boom auf dem Markt der herunterladbaren Anwendungen für Smartphones und Tablets (»Apps«) ist von dem Drang geprägt, der Erste zu sein. Tausende Apps werden produziert, weil ihre Erfinder hoffen, lukrative Segmente des neuen Marktes für sich zu gewinnen. Eine Studie von 2012 zeigte jedoch, dass durchschnittlich 65 Prozent der Benutzer ihre installierten Apps innerhalb von 90 Tagen wieder löschen.
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