Differenzierungist weniger wichtig, wenn die Produkte Ihrer Firma genau die Wünsche Ihrer Kunden erfüllen und sich nicht mit denen der Konkurrenz überschneiden. Am bedeutsamsten ist sie, wenn Ihre Produkte beliebt sind, aber etwas mit den Konkurrenzprodukten gemeinsam haben. Allerdings ist in diesem Fall das Risiko, Kunden zu verlieren, höher.
Inzwischen bewerben rivalisierende Unternehmen die Einzigartigkeit ihrer Produkte immer lauter und immer raffinierter, aber die Verbraucher erkennen auch sehr viel genauer, wo die Wirklichkeit von der Werbung abweicht. Es kommt zwar kaum auf greifbare Unterschiede an, denn alles deutet darauf hin, dass emotionale Alleinstellungsmerkmale häufig genügen, aber die hervorgehobenen Eigenschaften müssen echt und glaubwürdig sein. Kunden entwickeln nur dann eine emotionale Bindung zu einer Marke, wenn die Differenzierung erkennbar ist, und zwar in der gesamten Organisation. Genau festgelegte Kernelemente, die die Einzigartigkeit eines Unternehmens betonen, sollten bei jedem Kontakt zu Kunden deren Erfahrung prägen – der Unterschied muss zuverlässig überall und immer erkennbar sein, denn nur dann ist er glaubwürdig.
Ein fest etabliertes Alleinstellungsmerkmal – ob bei der Funktion oder im Gefühl – sollte eine Firma gut bewahren und kontinuierlich festigen. Köpfe und Herzen der Mitarbeiter und Kunden müssen laufend neu gewonnen werden. Oft sind – wie das Beispiel Apple gegen Samsung zeigt – Alleinstellungsmerkmale sogar Anlass für Rechtsstreitigkeiten.
In jedem Industriezweig gibt es Pioniere und Nachahmer, die sich nur durch ihre mehr oder weniger gut zu verteidigenden Differenzierungsmerkmale unterscheiden. Einzigartigkeit bei der Funktion, beim Markenimage, bei Prozessen oder beim Service muss etabliert und kommuniziert werden, sonst verschwindet eine Firma in der Masse. Für einen langfristigen Erfolg muss die Differenzierung möglichst lange erhalten bleiben. 
»Wer unersetzlich sein will, muss immer anders sein als alle anderen. «
Coco ChanelModeschöpferin (1881–1971)
Rosser Reeves
Rosser Reeves (1910–1984), der Vorsitzende einer New Yorker Werbeagentur, war der Ansicht, dass Werbung weniger die Brillanz des Texters, sondern besser den Wert des Produkts hervorheben sollte. Nachdem Reeves wegen Fehlverhaltens unter Alkoholeinfluss von der Universität in Virginia geflogen war, arbeitete er zunächst als Journalist und später als Werbetexter. 1940 stieß er zur Werbeagentur Ted Bates, Inc. in New York. Da er äußerst begabt und fähig war, stieg er 1955 zum Vorsitzenden der Firma auf. Ihm wird nachgesagt, die Fernsehwerbung neu definiert zu haben. Er formulierte Slogans wie: »Schmelzen im Mund, nicht in der Hand« für M&M’s. Die Unique Selling Proposition, das »Alleinstellungsmerkmal«, erfand er um 1940, in dem Buch Reality of Advertising (dt. Ausgabe: Werbung ohne Mythos ) lieferte er 1961 die Theorie dazu. Auch nach seinem Tod lebt sein Erbe weiter: Sein wegweisender Führungsstil diente als Vorlage für die Hauptfigur der US-Fernsehserie Mad Men .
SEI ERSTER ODER BESSER
VORSPRUNG IM WETTBEWERB
IM KONTEXT
SCHWERPUNKT
Wettbewerbsvorteil
WICHTIGE DATEN
1988David Montgomery und Marvin Lieberman beschreiben in dem Artikel First-Mover Advantage die Wettbewerbsvorteile des Ersten, der auf einen Markt vordringt.
1995 Amazon.comwird als erster einer neuen Art von Internet-Händlern gegründet.
1997–2000Zahlreiche Dotcom-Firmen liefern sich ein Wettrennen um den Markt. Viele scheitern, weil die erhofften Vorteile ausbleiben.
1998Montgomery und Lieberman relativieren ihre früheren Ergebnisse: First-Mover (Dis-)advantages erscheint.
2001 Amazon.comerzielt zum ersten Mal Gewinne. Der Erste zu sein, brachte große Vorteile, aber das gute Geschäftsmodell erwies sich als wichtiger.
Welche Website besuchen Sie, wenn Sie im Internet ein Buch bestellen wollen? Mit welcher Suchmaschine besorgen Sie sich Informationen über den Autor? Die Antworten lauten wahrscheinlich: Amazon und Google. Diese zwei Internet-Riesen sind so dominant, dass sie ihre Märkte regelrecht definieren.
Beide konnten einen bedeutenden Vorsprung gewinnen, den sie allerdings auf unterschiedliche Weise erreicht haben. Amazon trat 1995 als erster Internet-Einzelhändler auf den Markt, sodass das Unternehmen seinen Markennamen etablieren und einen loyalen Kundenstamm aufbauen konnte. Google dagegen drang erst 1998 in einen Markt ein, der damals bereits von mehreren großen Firmen besetzt war. Doch Google bot ein überlegenes Produkt an, das schneller war und noch dazu bessere Suchergebnisse lieferte.
Es ist gut, wenn man der Erste auf einem Markt ist, aber Nachfolger haben ebenfalls Vorteile. Entscheidend ist es, einen Wettbewerbsvorteil zu erringen – entweder als der Erste oder der Bessere.
Der Erste auf dem Markt verschafft sich in jedem Fall einen Wettbewerbsvorteil, den »First-Mover Advantage« (FMA). Diesen Begriff prägten 1988 Professor David Montgomery von der Stanford Business School und sein Co-Autor Marvin Lieberman. Ihr Ansatz war besonders einflussreich, als sich zwischen 1997 und 2000 die Dotcom-Blase aufblähte. Angespornt von Amazon als leuchtendem Vorbild stürzten sich viele Unternehmen Hals über Kopf auf neue Märkte im Internet und gaben dafür Millionen Dollar aus. Damals galt es als so gut wie sicher, dass der Markenname des Pioniers ein Synonym für das Marktsegment sein und frühe Dominanz auf einem Markt Barrieren schaffen würde, die nachfolgende Wettbewerber kaum überwinden könnten.
Amazon.comerschloss als erste Firmaden Markt des Einzelhandels im Internet. Seit der Gründung 1995 dominiert sie ihn mit hohem Markenerkennungswert und sehr loyalen Kunden.
Am Ende scheiterten jedoch viele der Dotcom-Firmen wegen ihrer zu hohen Ausgaben in überbewerteten Märkten, in denen kaum Nachfrage herrschte. Sie mussten zudem feststellen, dass die versprochenen Renditen unrealistisch waren und ihnen schnell das Geld ausging. Für viele Pioniere – abgesehen von einigen Ausnahmen – bedeutete das die Geschäftsaufgabe.
Der Erste auf einem Markt sticht in jedem Fall aus der Masse heraus, aber im Fall der Dotcom-Firmen hatte man diesen Vorteil extrem überbewertet. Die Ersten genießen oft den Vorteil hoher Gewinnspannen, erringen hohe Marktanteile und ihr Markenname verbindet sich oft mit dem Markt an sich. Außerdem haben sie mehr Zeit, ihre Prozesse und Systeme zu perfektionieren und den Markt kennenzulernen, als spätere Nachfolger. Sie können sich Absatzorte in vorteilhafter Lage sichern (zum Beispiel Läden in der Innenstadt), die besten Mitarbeiter auswählen und beste Konditionen mit Lieferanten aushandeln (die oft auch gern auf den neuen Markt vordringen wollen). Womöglich können sie es den Kunden sogar erschweren, auf andere Marken umzusteigen, indem sie ihre Produkte so gestalten, dass sie besonders teuer oder nicht mit fremden kombinierbar sind. Seit Gillette 1901 den Sicherheitsrasierer erfand, nutzt das Unternehmen seinen Wettbewerbsvorteil als Pionier, um laufend neue »Rasiersysteme« zu präsentieren, relativ preisgünstige Apparate mit teuren Rasierklingen.
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