EINLEITUNG EINLEITUNG Wenn jeder stets haben könnte, was er (oder sie) will, gäbe es keine Politik. Was auch immer »Politik« genau bedeuten mag – und darunter kann man vieles verstehen, wie dieses Buch zeigt –, es ist klar, dass wir nie all das bekommen, was wir wollen. Stattdessen müssen wir miteinander wetteifern, Kompromisse eingehen und manchmal um Dinge kämpfen. Dabei entwickeln wir besondere Sprachen, um unsere Ansprüche zu verdeutlichen und zu rechtfertigen, um andere herauszufordern und ihnen zu widersprechen. Das kann eine Sprache der Interessen sein, ob von Einzelnen oder Gruppen, eine Sprache der Werte, in der es um Rechte und Freiheiten oder gerechte Anteile und Gerechtigkeit geht. Zentral für die Politik war auf jeden Fall von Anfang an die Entwicklung politischer Ideen, die uns helfen, Ansprüche zu äußern und Interessen zu verteidigen. » Man muss also die politischen Gemeinschaften auf die edlen Handlungen hin einrichten und nicht bloß zum Beisammenleben. « Aristoteles Politik lässt sich aber nicht darauf reduzieren, wer was wo wann und wie bekommt. Vielmehr ist sie teilweise Reaktion auf die Herausforderungen des täglichen Lebens und Ausdruck der Erkenntnis, dass kollektives Handeln häufig besser ist als individuelles Handeln. Eine andere Tradition des politischen Denkens geht auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück, der sagte, in der Politik gehe es nicht nur darum, materielle Bedürfnisse zu befriedigen. Denn mit dem Entstehen komplexer Gesellschaften stellten sich verschiedenste Fragen: Wer soll regieren? Welche Macht sollen politische Herrscher haben und wie stehen diese zu anderen Autoritäten, beispielsweise der Familie oder der Kirche? Aristoteles sagt, der Mensch sei von Natur aus ein politisches Wesen, und meint damit nicht nur, dass es dem Menschen in einer komplexen Gesellschaft besser geht als in der Einsamkeit. Gemeint ist auch, dass es etwas ureigen Menschliches ist, eine Meinung zu öffentlichen Angelegenheiten zu haben. Politik ist etwas Nobles: Die Menschen legen die Regeln fest, nach denen sie leben, und zudem die Ziele, die sie gemeinsam verfolgen wollen.
POLITISCHES DENKEN IN ALTEN ZEITEN
800 v.Chr.–30 n.Chr.
Wenn Ihr das Gute wirklich wollt, so wird Euer Volk gut werden
Konfuzius
Die Kriegskunst ist von entscheidender Bedeutung für den Staat
Sunzi
Pläne für das Land sollten nur mit den Gebildeten geteilt werden
Mozi
Wenn nicht die Philosophen zu Königen werden, wird es mit dem Elend der Städte kein Ende haben
Platon
Der Mensch ist von Natur aus ein soziales, politisches Wesen
Aristoteles
Ein einzelnes Rad bewegt sich nicht
Chanakya
Wenn schlechte Minister sicher und profitabel leben, ist das der Anfang vom Ende
Han Feizi
Und die Regierung wird zum Spielball
Cicero
MITTELALTERLICHE POLITIK
30–1515
Was sind Reiche ohne Gerechtigkeit – wenn nicht große Räuberbanden?
Augustinus von Hippo
Vorgeschrieben ist euch der Kampf, obwohl er euch zuwider ist
Mohammed
Das Volk will die Herrschaft der Tugendhaften nicht
Al-Farabi
Kein freier Mann soll gefangen genommen werden, außer es gibt ein rechtmäßiges Urteil
Barone des Königs Johann
Ein gerechter Krieg wird um eine gerechte Sache geführt
Thomas von Aquin
Politisch leben bedeutet, in Übereinstimmung mit guten Gesetzen zu leben
Aegidius Romanus
Die Kirche sollte es Christus gleichtun und ihre weltliche Macht aufgeben
Marsilius von Padua
Die Regierung verhindert Unrecht – es sei denn, sie begeht es selbst
Ibn Khaldun
Ein kluger Herrscher kann und darf sein Wort nicht halten
Niccolò Machiavelli
RATIONALITÄT UND AUFKLÄRUNG
1515–1770
Am Anfang gehörte alles allen
Francisco de Vitoria
Souveränität ist die absolute und dauerhafte Macht über ein Gemeinwesen
Jean Bodin
Das Naturrecht ist die Grundlage des menschlichen Rechts
Francisco Suárez
Politik ist die Kunst, Menschen zusammenzubringen
Johannes Althusius
Freiheit ist die Macht, die wir über uns selbst haben
Hugo Grotius
Der Mensch lebt im Kriegszustand
Thomas Hobbes
Der Zweck des Gesetzes besteht darin, die Freiheit zu erhalten und zu erweitern
John Locke
Wenn Legislative und Exekutive in der gleichen Institution vereint sind, kann es keine Freiheit geben
Montesquieu
Unabhängige Unternehmer sind gute Bürger
Benjamin Franklin
REVOLUTIONÄRE GEDANKEN
1770–1848
Auf seine Freiheit verzichten heißt auf sein Menschsein verzichten
Jean-Jacques Rousseau
Kein allgemein gültiger Grundsatz der Gesetzgebung kann auf der Glückseligkeit beruhen
Immanuel Kant
Die Leidenschaften von Einzelpersonen sollten unterdrückt werden
Edmund Burke
Eigentumsrechte sind besonders heikel
Thomas Paine
Alle Menschen sind gleich erschaffen
Thomas Jefferson
Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich
Johann Gottfried Herder
Die Regierung hat die Wahl zwischen mehreren Übeln
Jeremy Bentham
Die Menschen haben ein Recht, Waffen zu besitzen und zu tragen
James Madison
Die ehrbaren Frauen sind es, die besonders unterdrückt werden
Mary Wollstonecraft
Der Sklave hält die Eigenexistenz für etwas Äußerliches
G.W.F. Hegel
Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
Carl von Clausewitz
Eine gebildete und kluge Regierung erkennt den Entwicklungsbedarf in der Gesellschaft
José María Luis Mora
Ein Staat, der sich zu weit ausdehnt, geht unter
Simón Bolívar
Die Abschaffung der Sklaverei und die Union lassen sich nicht vereinbaren
John C. Calhoun
Angriffe gegen »die Familie« sind Symptom des sozialen Chaos
Auguste Comte
DER AUFSTIEG DER MASSEN
1848–1910
Sozialismus ist ein neues System der Leibeigenschaft
Alexis de Tocqueville
Sag nicht »ich«, sondern »wir«
Giuseppe Mazzini
Dass so wenige wagen exzentrisch zu sein, ist die größte Gefahr unserer Zeit
John Stuart Mill
Kein Mensch ist gut genug, einen anderen Menschen ohne dessen Zustimmung zu regieren
Abraham Lincoln
Eigentum ist Diebstahl
Pierre-Joseph Proudhon
Ein privilegierter Mensch ist ein Mensch mit verdorbenem Geist und Herz
Michail Bakunin
Die beste Regierung ist die, die nicht regiert
Henri David Thoreau
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