Stefan Mitrenga - Schwarzer Seehas

„Und was ist mit dem Flugplatz?“, warf Beller ein. Seit 9/11 wusste man, dass auch Flugzeuge als Waffe genutzt werden konnten.

„Es gibt über das Fest ganz spezielle Sicherheitsprotokolle für jeden, der in Friedrichshafen startet oder landet“, erklärte Hoffi. „Die Flughafenpolizei dehnt außerdem die Kontrollen aus. Im Normalfall kann da nichts passieren.“

Beller wusste, dass es sich bei terroristischen Anschlägen im Nachhinein nie um Normalfälle handelte. Auch die Terroristen hatten über die Jahre dazugelernt und neue Methoden gefunden, um ans Ziel zu kommen. Deshalb war es wichtig schon im Vorfeld das Unmögliche mit einzubeziehen.

„Wie sieht es mit bewaffneten Schiffen auf dem Bodensee aus?“, fragte Beller. Die anderen sahen sich ratlos an. Nur der dicke Schultz räusperte sich und hob die Hand.

„Die Schweizer haben ein paar Militärschiffe vom Typ Patrouillenboot 16. Die sind mit einem Maschinengewehr ausgestattet. Sie sind aber eher klein, damit sie sie leichter über Land transportieren können. Einen Krieg gewinnst du mit denen nicht.“

„Und in Österreich?“, hakte Beller nach.

Schultz schüttelte den Kopf. „Die haben gar nichts. Nur die übliche Wasserschutzpolizei wie bei uns auch.“

Alle staunten über Schorschs Wissen und nickten anerkennend.

„Dann hoffen wir mal, dass die Schweizer zum Seehasenfest keinen Angriff planen“, scherzte Beller, doch er erntete nur verständnislose Blicke.

„Hör mal Beller“, setzte Hoffi an, „das Seehasenfest ist auch bei den Schweizern sehr beliebt. Die kommen zu Tausenden. Außerdem ist das ein sehr gemütliches Völkchen. Glaub mir: von Seiten der Eidgenossen droht keine Gefahr.“

Beller zuckte mit den Schultern. „Du wirst wohl Recht haben. Ich will nur nichts übersehen.“

Sie diskutierten noch fast zwei Stunden über verschiedene Zugänge, die eventuell gesperrt werden müssten, doch unterm Strich fragte Beller sich, warum sie ihn angefordert hatten. Die Kollegen hatten alles im Griff und er konnte nur wenig beisteuern.

Als Hoffi die Sitzung beendete, atmete Schorsch tief durch.

„Ich hasse diese langen Meetings. Dafür bin ich nicht zur Kripo gegangen. Mir ist es lieber, ich habe ein bisschen Action.“

Beller sah den Kommissar skeptisch an. Er hatte bestimmt dreißig Kilo zu viel auf den Rippen und schwitzte bei jeder Bewegung. Sehnte Schorsch sich wirklich nach gefährlichen Außeneinsätzen?

„Was für Action meinst du?“, hakte Beller nach.

„Naja, jetzt nichts Wildes. Aber ein bisschen rauskommen, wäre schön. Wir könnten doch den Festbereich am Ufer mal ablaufen. Es ist immer etwas anderes, wenn man vor Ort ist.“

Beller wollte schon widersprechen, fand die Idee eines Spaziergangs am See aber gar nicht so schlecht.

„Ich kläre das mit Hoffi“, sagte er und ging Richtung Tür.

„Warte“, hielt in Schorsch ihn zurück. „Frag, ob Kevin auch mit kann. Der war auch noch nicht dort. Glaube ich zumindest.“

Beller zuckte mit den Schultern und ging ins Büro des Dienststellenleiters.

„Wie kommt es, dass du auch noch nie hier warst, Kevin“, fragte Beller, nachdem sie das Auto auf dem Vorplatz des Graf-Zeppelin-Hauses abgestellt hatten.

„Ich war schon mal hier“, widersprach Kevin verlegen. „Aber nur zwei oder drei Mal. Ist auch schon länger her.“

Schorsch klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. „Den Kevin haben uns die Ravensburger als Unterstützung geschickt. Er ist noch nicht lange dabei, aber wir können beim Fest jeden Mann brauchen. Auch wenn es nur ein Kinder- und Heimatfest ist … irgendwas gibt es immer zu tun.“

Sie liefen den Weg zum See hinunter und Beller kickte mit dem Fuß an einen der rot-weißen Absperrpfosten.

„Das wird nicht reichen. Ein LKW fährt die um wie nichts. Hier müssen zusätzlich Betonpoller hin.“

Schorsch nickte und machte sich eine Notiz. Trotz Montagmorgen waren erstaunlich viele Menschen an der Uferpromenade unterwegs. Hauptsächlich Rentner und junge Mütter, die ihre Kinderwagen vor sich herschoben. Die Uferpromenade war breiter als Beller sie sich vorgestellt hatte. Schorsch hatte Recht: es ist etwas anderes, wenn man es sieht.

Sie liefen an einer Minigolfanlage und einem Kinderspielplatz vorbei. Der angrenzende Biergarten war leider noch geschlossen. Er sah gemütlich aus und bot freien Blick auf den See. Beller nahm sich vor, wiederzukommen, wenn er geöffnet hatte. Ein kaltes Weißbier unter den Kastanienbäumen zu trinken, musste herrlich sein. Wenn ihn seine Chefin schon an den Arsch der Welt schickte, konnte er wenigstens auch die guten Seiten genießen. Ein paar Meter weiter führte eine breite Treppe ins Wasser und Beller bemerkte, dass der Bodensee einen ziemlich niedrigen Pegel hatte. An der Treppe zeigten grüne Algenstreifen, wo das Wasser normalerweise gegen den Beton klatschte, doch nun lag selbst die unterste Stufe im Trockenen.

Ein Schiffshorn tutete bei der Einfahrt in den Hafen und Beller versuchte die Größe des Schiffes abzuschätzen. Er hatte einmal einen Fall auf einem Kreuzfahrtschiff gehabt, dessen Rettungsboote ungefähr die Größe dieses Schiffes hatten. Nein. Davon ging wirklich keine Gefahr aus. Selbst mit voller Fahrt würden sie an der massiven Hafenmauer keinen Schaden anrichten. Schon gar nicht bei dem niedrigen Pegelstand. Beller vermutete, dass die Schiffe außerhalb ihrer Fahrrinne sofort auf Grund laufen würden.

Sie liefen die komplette Festmeile ab bis zum Seeparkplatz, auf dem die Fahrgeschäfte stehen würden, dann machten sie kehrt und schlenderten zurück. Fast wie ein kleiner Familienausflug, dachte Beller. Der dicke Schorsch als gutmütiger Papa, er als … ja – als was eigentlich – egal … und der kleine Kevin als Kinderersatz.

Beller grinste und spendierte Kevin in einer der Eisdielen ein Softeis.

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