Goschamarie
Der letzte Abend
Der dritte Taldorf-Krimi
Impressum
Texte: © Copyright by Stefan Mitrenga 2020
Umschlaggestaltung: © Copyright by Stefan Mitrenga 2020
Korrektur: Claudia Kufeld, Kierspe
Verlag:
Stefan Mitrenga
Bodenseestraße 14
88213 Ravensburg
mail@stefanmitrenga.de
Vorwort
Taldorf - am westlichen Rand des Landkreises Ravensburg. Ein Dorf wie viele andere in Oberschwaben. Wirklich wie viele andere? Heute schon, doch bis in die Neunziger strömten die Menschen von überall her, um im Gasthof „Zur Traube“ in Taldorf einzukehren – bei der Goschamarie. Angelockt von uriger Gemütlichkeit und riesigen Vespertellern erlebten die Gäste dort manch spaßigen Abend. Bis heute kursieren die Geschichten rund um die schlagfertige Wirtin.
Wie schön wäre es, wenn es sie heute noch gäbe?
In diesem Buch (wie auch schon in den zwei vorangegangenen) stelle ich mir genau das vor: die Goschamarie im Heute und Jetzt. Mit Euro und Handy, mit Radler-Süß-Sauer und Aperol Spritz. Aber immer noch mit der Herrentoilette am Bach und Schnaps aus Sprudelgläsern. Leider nur eine Fantasie, aber eine sehr schöne.
Diesmal haben es Walter und seine Freunde besonders schwer: bei Baggerarbeiten für das neue Musikheim wird eine Leiche gefunden. Aber: es wird niemand vermisst. Wer lag da jahrelang unentdeckt in der Wiese begraben? Und: wer ist dafür verantwortlich?
Das Ermittlerteam rund um Zeitungsausträger Walter braucht in diesem Fall viel Geduld und gute Ideen. Und die hat man häufig bei einer kalten Flasche Bier. Ein guter Grund öfter mal bei der Goschamarie einzukehren.
Kommen Sie doch mit! Stellen Sie sich vor wie Marie ihnen zuruft: „Komm halt rei! Fier oin wie di find i immer a Plätzle!“
Die nachfolgende Geschichte ist frei erfunden, auch die Personen und ihre Handlungen. Eventuelle Ähnlichkeiten zu lebenden Personen sind rein zufällig.
Warnhinweis:
Achtung! Diese Geschichte enthält verdammt viel Bier!
Vorspiel
Der perfekte Tag. Strahlend blauer Himmel, fast dreißig Grad. Die Wellen brachen unaufgeregt auf den Strand. Er spielte mit seinen Zehen im Sand, um seine Nervosität zu überspielen. Die meisten Gäste waren schon da, nur die Hauptperson fehlte noch: die Braut.
Festliche Musik setzte ein, dann wurde sie von ihrem Vater zwischen den Stuhlreihen hindurchgeführt. Ein Schleier verhüllte ihr Gesicht, das enganliegende Kleid endete auf Höhe der Knie. Ihre zierlichen Füße schienen den warmen Sand kaum zu berühren. Elfengleich.
Als sie neben ihm am Altar stand, übergab ihm ihr Vater ihre Hand. Dann verstummte die Musik und die Zeremonie begann.
Dies war der schönste Moment seines Lebens. Er hatte nicht mehr daran geglaubt, die Frau fürs Leben zu finden, doch nun stand er hier und war bereit die magischen Worte zu sagen: „Ja, ich will.“
Das Blut rauschte in seinen Ohren und er nahm die Worte des Pfarrers kaum war. Er drückte ihre Hand, um sicher zu gehen, dass dies alles real war.
Als der Moment gekommen war, wandten sie sich einander zu und er lüftete ihren Schleier. Das schönste Gesicht der Welt blickte ihm entgegen. Sie sahen sich in die Augen und wiederholten die Sätze, die der Pfarrer ihnen vorsprach.
Sie tauschten die Ringe und küssten sich, ringsherum klickten Kameras.
Wieder setzte Musik ein, jetzt rhythmisch und modern.
Serviermädchen eilten mit Tabletts umher und verteilten Sektgläser. Alle kamen zum Brautpaar, um auf dessen Wohl anzustoßen. Lachende Gesichter, unendlich viele Umarmungen.
Der Bräutigam befreite sich von seinem Jackett, das unter den Armen bereits Schweißringe zeigte und gesellte sich zu einer Gruppe junger Männer. Er beobachtete ein paar Kinder am Ufer, die ihre Kleider in den Sand warfen, und sich splitternackt in die Wellen stürzten. Sie kreischten vor Freude und bespritzten sich gegenseitig. Etwas abseits saß die Großmutter der Braut auf einem Campingstuhl. Sie versuchte nicht einmal fröhlich zu wirken. Sie war von Anfang an gegen diese Verbindung gewesen. Ihre Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde. Der Bräutigam war irritiert: war da der Ansatz eines Lächelns gewesen? Als er erneut hinsah, schaute die alte Dame in eine andere Richtung.
Die Braut war in ein Gespräch mit ihren Geschwistern vertieft. Sie lachte laut und fröhlich und ihre Brüder und Schwestern stimmten ein. Der Bräutigam wollte sich zu ihnen gesellen, doch erneut wurden ihm Sektgläser entgegenstreckt. Eine Tante der Braut, mit den Maßen einer üppigen Buddhafigur, nahm ihn so fest in den Arm, dass ihm die Luft weg blieb. Hilfesuchend blickte er sich nach seiner Frau um, doch die blieb bei ihren Geschwistern stehen. Sie sah lächelnd zu, wie er versuchte sich aus den Fängen der Tante zu lösen. Doch ihr Lächeln hatte sich verändert. Es war ein kaltes Siegerlächeln.
1
„Scheißndreckn“, fluchte Walter, als er den kleinen Fleck auf seiner Anzughose bemerkte. Er zog seinen Pullover bis über den Handballen und rubbelte an der Stelle herum. Ohne Erfolg. Er war kein Spezialist, wenn es um die Reinigung von Anzughosen ging, doch er wusste, wen er fragen konnte.
„Liesl, ich brauche deine Hilfe“, sagte Walter, als er die Treppe vom Schlafzimmer hinunterkam. „Kriegst du den Fleck hier weg?“
Liesl betrachtete die Hose und verzog das Gesicht. „Der Fleck ist kein Problem, aber du wirst diese Hose nicht anziehen!“
„Aber warum denn nicht?“, fragte Walter überrascht. „Das ist die Hose von meinem schwarzen Anzug. Ich brauche sie.“
Liesl stemmte die Arme in die Hüften. „Du wirst den schwarzen Anzug schön im Schrank hängen lassen. Jeder weiß, dass das dein Beerdigungsanzug ist. Den kannst du zu einem freudigen Ereignis wie heute nicht anziehen.“
„Was soll denn daran freudig sein“, knurrte Walter. „Für mich ist das tatsächlich ein Grund zu trauern. Deshalb hab ich den Anzug ja rausgesucht.“
„Nicht – dieser – Anzug!“, sagte Liesl bestimmt und beendete damit die Diskussion.
Walter seufzte resigniert und ging zurück ins Schlafzimmer.
Walter und Liesl waren sich in den letzten Monaten näher gekommen. Viel näher. Also ganz nah. Bei dem Gedanken huschte ein Lächeln über Walters Gesicht. Der Nachteil war jedoch, dass sie sich auch mehr in sein Leben einmischte. Seine verstorbene Frau Anita hatte es nie gewagt, ihm vorzuschreiben, was er anziehen sollte. Resigniert hängte er den schwarzen Anzug zurück in den Schrank.
Er hatte ihn bewusst gewählt, um zu zeigen, dass er mit der neuen Baustelle nicht ganz einverstanden war. Als der Alte, wie der Vorstand des Musikvereins genannt wurde (obwohl er eigentlich Alex hieß), ihn vor ein paar Wochen angesprochen hatte, hatte Walter dem Neubau des Musikheims natürlich zugestimmt. Wie hätte er sich da querstellen können. Aber das bedeutete jetzt Baustellenlärm und Dreck für bestimmt ein halbes Jahr. Warum mussten sie auch direkt neben seinem Grundstück bauen? Taldorf war groß und viele Flächen wären geeignet gewesen, aber nein: direkt neben ihm. Der einzige Trost war, dass man ihm zugesichert hatte, im Rahmen der Möglichkeiten, auf seine besonderen Arbeitszeiten Rücksicht zu nehmen.
Walter trug seit einigen Jahren die Zeitungen in Taldorf, Wernsreute, Alberskirch und Dürnast aus. Da jeder seine Zeitung zum Frühstück im Briefkasten haben wollte, stand er nachts um halb drei auf. Nach dem Ende seiner Runde ging er wieder ins Bett und schlief für gewöhnlich bis um elf Uhr.
Schon als Liesl ihr Haus renoviert hatte, hatten ihn die Bauarbeiten um den Schlaf gebracht. Es war nur der Findigkeit des damaligen Vorarbeiters zu verdanken gewesen, dass sie einen Weg gefunden hatten, seine Schlafzeiten zu berücksichtigten.
Walter nahm seine anderen Hosen aus dem Schrank. Jeans? Zu leger. Cordhose? Einfach out. Die Sommerleinenhose? Zu versnobt. Blieb nur noch seine neue Lederhose. Er liebte diese Hose, die er immer zur Goschamarie anzog. Da machte es nichts, dass sie nur dreiviertel lang war. In der Wirtschaft war immer gut geheizt. Doch heute musste er einige Zeit im Freien verbringen und die Temperaturen waren, der Jahreszeit entsprechend, kühl. Mit einem Schulterzucken verwarf er alle Bedenken und legte die Lederhose aufs Bett.
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