Toni Keppeler
Sklaverei und Rassismus in Lateinamerika und der Karibik
Der Rotpunktverlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.
© 2021 Rotpunktverlag, Zürich
www.rotpunktverlag.ch
Die gedruckte Ausgabe enthält Übersichtskarten.
eISBN 978-3-85869-914-5
1. Auflage 2021
Zur Einführung
Warum dieses Buch geschrieben wurde und warum darin auch hässliche Wörter verwendet werden.
Kapitel 1
Haiti, die verarmte Wiege der Freiheit
Der Sklavenaufstand, der Befreiungskrieg, der Weg in den postkolonialen Schuldenstaat – und ein rebellischer Geist, der bis heute wirkt.
Aus dem Schlachthaus zur Verschwörung im Wald
Vodou als Religion des Aufstands
Toussaint Louverture, der Türöffner zur Freiheit
Der Krieg um die Unabhängigkeit
Dörfliche Demokratie und die neue Elite
Der Weg ins rebellische Armenhaus
Das schwarze Selbstbewusstsein erwacht
Das endlose Beben
Kapitel 2
Martinique und die Négritude
Über ein Land, das bis heute faktisch eine Kolonie ist und doch mit Aimé Césaire und Frantz Fanon zwei der wichtigsten Denker schwarzen Selbstbewusstseins hervorgebracht hat.
Die schwarzen Aufklärer
Kritik des Kolonialismus
Die drei Identitäten Martiniques
Kapitel 3
Flucht in die Freiheit
Die Maroons, Marcus Garvey und die Rastafari – der Widerstand der Schwarzen auf Jamaika. Der Cimarrón Esteban Montejo und Kubas noch unerfülltes Versprechen über das Ende der Diskriminierung.
Marcus Garvey und seine Zurück-nach-Afrika-Bewegung
Rastafari, Reggae und Reasoning
Kuba und sein berühmtester Cimarrón
Kapitel 4
Die Schwarzen, die niemals Sklaven waren
Die Garífuna vereinen die Traditionen Afrikas und der indigenen Karibik. Über ein kleines Volk, das sich niemals geschlagen gab.
Widerstand, Deportation und Diskriminierung
Der endlose Kampf ums Territorium
Kapitel 5
Schwarze in weißen Staaten
Schon die ersten Spanier brachten Sklaven nach Lateinamerika. Wie sie sich wehrten, wie sie frei wurden und wie sie dann an den Rand von Gesellschaften gedrängt wurden, die sich immer nur an Europa orientierten.
Palenque de San Basilio – vierhundert Jahre Widerstand
Die Schwarzen werden unsichtbar
Eine Afrogemeinde zwischen den Fronten
Kapitel 6
Die Utopie im Dschungel
Kein Land hat so viele Sklaven importiert wie Brasilien. Hundert Jahre lang hatten sie einen eigenen Staat. Doch davon ist nicht viel geblieben.
Die Geschichte und der Mythos von Palmares
Vom Zucker zum Kaffee
Eine Prinzessin befreit die Sklaven
Frei, aber weiterhin diskriminiert
Kapitel 7
Identität und Territorium
Seit fünfzig Jahren gibt es in Lateinamerika wieder schwarzen Widerstand. Er kann trotz aller Probleme auch Erfolge vorweisen.
Wenn linke Regierungen die Schwarzen stärken
Die Nachfahren der Sklaven fordern Entschädigungen
Zum Schluss
Was zu tun ist.
Literatur
Warum dieses Buch geschrieben wurde und warum darin auch hässliche Wörter verwendet werden.
Am Abend des 20. Mai 2020 wurde in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota der 46-jährige Afroamerikaner George Floyd getötet. Er hatte sich kurz vor 20 Uhr in einem Lebensmittelgeschäft Zigaretten gekauft und hatte sie mit einem Zwanzigdollarschein bezahlt. Der Verkäufer vermutete, dass dieser Schein gefälscht sei, und rief die Polizei. Bei der Verhaftung wurde Floyd auf den Boden gedrückt. Der Polizist Derek Chauvin stemmte sein linkes Knie in den Hals von Floyd, zwei weitere Polizisten fixierten ihn und ein vierter versuchte, Passanten von der Szene fernzuhalten. Nach Zeugenaussagen sagte Floyd mehr als zwanzig Mal, er könne nicht atmen – »I can’t breathe« . Nach acht Minuten war er tot.
Der Vorfall wurde von einem Passanten mit dem Mobiltelefon gefilmt. Das Video verbreitete sich schnell über Internetplattformen. In den Tagen und Wochen danach kam es zu Demonstrationen und Unruhen, nicht nur in Städten der USA. Auch in Britannien wurden Statuen von Sklavenhändlern und Sklavenhaltern gestürzt. In Deutschland und der Schweiz wiesen des Nachts an Standbildern angebrachte Graffiti darauf hin, was diese in Stein gehauenen oder in Bronze gegossenen ehrenwerten Männer noch so verbrochen hatten. Selbst in Frankreich, wo ansonsten die koloniale Vergangenheit gerne verdrängt wird, begann nach Massendemonstrationen eine Debatte darüber, dass und wie sich der Rassismus von damals bis heute erhalten hat.
Es verwundert nicht weiter, dass ausgerechnet ein Fall, der sich in den USA abgespielt hat, ein so großes Echo auslösen konnte. Allein in Rio de Janeiro werden an einem durchschnittlichen Tag drei Schwarze von Polizisten getötet. Das wird im besten Fall als kleine Meldung von lokalen Medien aufgegriffen und meistens nicht einmal dies. Wer in Europa an die Diskriminierung von Schwarzen denkt, denkt zuerst an die USA. Und wer an Sklaverei denkt, denkt ebenfalls an die USA. Achtzig Prozent der Bücher, die sich mit den aus Afrika verschleppten und in Amerika versklavten Menschen befassen, handeln von den USA, und das unabhängig davon, ob es sich um geschichtswissenschaftliche oder literarische Werke handelt. Genauso erzählen achtzig Prozent der darüber gedrehten Spielfilme von den Zuständen in den USA. Dabei hat dieses Land insgesamt, die Zeiträume vor und nach der Unabhängigkeit zusammengenommen, nur fünf Prozent der afrikanischen Sklaven importiert. Die anderen fünfundneunzig Prozent erscheinen im geschriebenen und verfilmten Gedächtnis der Menschheit wie eine Marginalie.
Sicher ist allgemein bekannt – und sei es auf Grund einer Urlaubsreise –, dass die Mehrheit der Bevölkerung auf den karibischen Inseln schwarz ist, vielleicht auch, dass die Vorfahren dieser Schwarzen als Sklaven aus Afrika verschleppt wurden. Manche mögen noch wissen, dass der größte und einzige erfolgreiche Sklavenaufstand in der Geschichte der Menschheit in dem Land stattgefunden hat, das seither Haiti heißt. Allgemein assoziiert man mit Haiti keine Revolutionsgeschichte, sondern bittere Armut, Naturkatastrophen, Chaos und Gewalt. Kaum jemand fragt sich, wie es dazu hat kommen können. Es liegt bis heute in deutscher Sprache so gut wie keine an ein breiteres Publikum gerichtete Literatur über Haiti vor. Von all den Ländern in der Karibik wurde in deutscher Sprache einzig die Geschichte der Sklaverei in Kuba von Michael Zeuske ausführlich und gut aufgearbeitet.
Noch viel weniger ist bekannt, dass auch die Länder auf dem lateinamerikanischen Festland allesamt Sklavenhalterstaaten waren. Am ehesten weiß man noch von Brasilien, dass ein Großteil der Bevölkerung afrikastämmig ist. Dass Menschen dunkler Hautfarbe dort noch immer zu den Ärmsten gehören und diskriminiert werden, erscheint zwar hin und wieder in Hintergrundberichten großer Zeitungen, das Bild des Landes aber wird von den Fotos geprägt, die alljährlich vom Karneval in Rio um die Welt gehen. Darauf sieht alles sehr harmonisch und fröhlich aus. Dass in europäisch anmutenden Staaten wie Argentinien und Uruguay einst die größten Sklavenmärkte der Region waren, wollen die Bürger dieser Länder am liebsten vergessen. Und kaum ein Chilene weiß, dass sein Land von einem Heer in die Unabhängigkeit geführt wurde, das zur Hälfte aus Schwarzen bestand.
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