1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 Ein weiteres Mal wurde er vom Kloster gerufen, drängend und zornig.
»Also … ich muss.«
Sie reagierte nicht, sah weiterhin stur geradeaus.
Sherif wandte sich endgültig ab, verließ sie und ging mit eiligen Schritten zurück zu den Gebäuden, die in flammenden Farben standen. Er überlegte, wie alt dieses stolze, alawitische Mädchen wohl sein mochte. War sie in seinem Alter? Nein, dafür sah sie noch zu kindlich aus. Sie konnte höchstens fünfzehn sein. Oder sogar noch ein Jahr jünger. Sheliza war ihr Name, das hatte er längst erfahren.
»Sherif und Sheliza.«
Die beiden von ihm geflüsterten Namen klangen fast wie ein Versprechen.
*
Als Alabima zum Café des Avenues kam, sah sie durch die Schaufensterscheibe Fu Lingpo an einem der Tische und vor einer Tasse sitzen. Auch er hatte sie längst entdeckt, versuchte ein Lächeln, sah wenig glücklich und eher verlegen aus. Die Äthiopierin zog einen den Flügel der Glastür auf und trat ein, zog sie rasch hinter sich zu, um nicht zu viel Kälte hinein zu lassen. Während sie dem Tisch mit dem Chinesen zustrebte, öffnete sie ihren Wollmantel, streifte ihn von den Schultern, legte ihn über die Rückenlehne von einem der freien Stühle und setzte sich auf den daneben. Dabei starrte sie ihren Entführer die ganze Zeit lang an, abwartend und angriffslustig, zornig und unsicher zugleich. Als er keine Anstalten machte, irgendetwas zu sagen, ergriff sie das Wort.
»Was wollen Sie von mir? Warum sind Sie mir hierher gefolgt?«, herrschte sie ihn auf Englisch an.
Die Bedienung kam und Alabima musste sich einen Moment lang von Fu Lingpo abwenden, bestellte sich einen Pfeffermünztee.
»Im Glas oder eine Portion in der Kanne?«
Die Äthiopierin hatte längst wieder den Chinesen fixiert, wurde durch die Frage der Angestellten aufgeschreckt.
»Äh, im Glas. Nur ein Glas, bitte.«
Lingpo lächelte. Er sprach zwar kein Französisch, doch das Mienenspiel der dunkelhäutigen Frau hatte ihm wohl ihre Verunsicherung verraten.
»Ich bin hier, um sie zu beschützen, Madame.«
»Beschützen? Ich brauche keinen Schutz.«
Sie zischte diese Worte leise über den Tisch hinweg, damit niemand sonst im Lokal sie mitbekam.
»Aber, Madame, Sie und Ihre Tochter sind immer noch in Gefahr.«
Alabima schüttelte ablehnend den Kopf.
»Sie vergessen, dass ich wieder zu Hause bin. Und Sie haben wohl verdrängt, wie mein Ehemann mit Ihren Gangsterkollegen in Hongkong umgesprungen ist?«
»Das waren keine Leute von uns, Madame, mit den Brüdern de Smet hatte ich nichts zu tun. Die gehörten zur Yueh-Sheng-Triade, nicht zu uns Tongs. Bitte werfen Sie mich nicht in den gleichen Topf mit diesen Tieren.«
»Aber ich brauche keinen Schutz, ganz bestimmt nicht.«
»Und was ist mit diesem Jean-Robert Babtiste?«
Das Blut schien mit einem Schlag aus dem Gesicht der schönen Äthiopierin gewichen zu sein. Scharf hatte sie eingeatmet, ihre Augen erstaunt und erschrocken geweitet. Alabima war über die Nennung des Namens ihres früheren Liebhabers so sehr überrascht, dass sie nicht gleich antworten konnte.
»Ich hab ihn um Ihr Haus schleichen sehen. Er hat sie beobachtet. Mit einem Feldstecher. Deshalb wurde ich neugierig und bin ihm bis zu seiner Wohnung gefolgt. Kennen Sie ihn?«
Dem Chinesen war die Bestürzung der Äthiopierin selbstverständlich nicht entgangen. Sie musste diesen Kerl mit Namen kennen und es war ihr höchst unangenehm.
»Ist er ein Stalker? Hat er Sie bedroht?«
Als ihm die Frau nicht antwortete, er in ihrem Gesicht jedoch die rasenden Gedanken las, wie sie nach einem Ausweg suchten, kam ihm ein anderer Verdacht.
»Er war Ihr Liebhaber?«
Alabima schluckte hart und sah Lingpo fest und prüfend in die Augen, erkannte darin eine starke Zuneigung, aber auch ein grenzenloses Verständnis. Und so nickte sie stumm, aber zustimmend.
»Es war ein riesiger Fehler von mir. Und es ist lange her…«, versuchte sie eine Rechtfertigung, doch der Chinese winkte beruhigend ab.
»Sie hatten bestimmt Ihre Gründe. Eine Frau wie Sie hat immer gute Gründe für ihr Handeln. Ich verurteile Sie nicht.«
Die Äthiopierin wusste seine Worte nicht einzuordnen. Überhaupt kam ihr diese Begegnung in diesem Café in Lausanne so unwirklich vor. Träumte sie etwa? Nein, der Morgen, der Mittag, alles war real gewesen. Also saß sie nun mit ihrem Entführer aus Hongkong hier an diesem Marmortisch an der Avenue de Jurigoz 20, bekam ihren Tee serviert, starrte in zwei treu blickende Augen und auf einen Mund, der sie immer wieder ohne Erfolg freundlich anzulächeln versuchte. Wie nannte er sich am Bildschirm? In Hongkong hatte er ihr den Namen Chang Lee genannt, ihr seinen wahren Namen verschwiegen. Etwas mit Fu und Po, erinnerte sie sich, wollte sich dem Chinesen jedoch erklären.
»Ich erkannte rasch, was für ein falscher Hund Jean-Robert ist. Er nutzte mich auf das schändlichste aus und beschmutzt mich. Doch er ist schon vor zwei Jahren und für immer aus meinem Leben verschwunden.«
»Ihn plagen wohl Geldsorgen, Madame. Ich befürchte, er wird versuchen, Sie zu erpressen.«
»Das wollte er schon einmal. Doch ich konnte ihm das rasch ausreden.«
Der Chinese blickte sie nach dem Wort ausreden neugierig an, als erwartete er eine weitere Erklärung. Doch sie schwieg.
»Wenn Sie wollen, dann kümmere ich mich um ihn?«
Alabima schaute den Chinesen scharf an.
»Und mit kümmern meinen Sie?«
Fu Lingpo zuckte als Antwort nur mit den Schultern und die Äthiopierin schüttelte ablehnend den Kopf.
»Nein.«
Das Wort sollte ein Befehl sein, doch der Chinese lächelte sie bloß unbestimmt an.
»Warum sind Sie mir in die Schweiz gefolgt?«, wiederholte sie ihre Frage von vorhin, »und seit wann sind Sie hier, dass Sie Jean-Robert beobachten konnten? Wann war das?«
Der Chinese versuchte seine rechte Hand beruhigend auf ihre linke zu legen, doch sie zog sie rasch weg, verbat sich damit jede Vertraulichkeit. Er starrte einen Moment lang enttäuscht auf die leere Stelle auf der Tischplatte, auf dem ihre Hand zuvor lag, blickte sie dann wieder an.
»Ich bin seit knapp vier Wochen hier. Und vor etwas über zwei Wochen stieß ich auf diesen Stalker.«
»Stalker?«
»Er hat sie vom Hügel aus beobachtet, als sie im Garten arbeiteten. Und auch, als Sie mit Ihrer Tochter im Pool schwammen.«
Alabima schluckte leer. Selbstverständlich konnte man von den Hügeln aus ihr Grundstück am See einsehen. Und bestimmt wurde sie immer wieder von Leuten aus der Umgebung bespitzelt. Sie war eine äußerst attraktive Frau und es gab genügend Gerüchte im Dorf über die seltsam zusammengewürfelte, wohlhabende Familie in der großen Villa. Dass jedoch ihr früherer Liebhaber und Möchtegern-Erpresser sie durch einen Feldstecher ausspionierte, ihren Körper angaffte, ihre Kurven nicht nur von Weitem erblickte, sondern genau wusste, wie sie sich anfühlten, wie geschmeidig und lasziv sie sich bewegen konnten, berührte sie höchst unangenehm. Und einen Moment lang überlegte sie, ob sie den Chinesen nicht doch auf Jean-Robert Babtiste hetzen sollte, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder.
»Dieser Babtiste wird es nicht wagen, mich zu erpressen.«
»Nein, das wird er nicht«, meinte der Chinese mehrdeutig und erntete erneut einen skeptisch-fragenden Blick der Frau.
»Ich will nicht, dass Sie etwas in dieser Angelegenheit unternehmen. Ist das klar?«, zischte sie ihn an.
Fu Lingpo nickte: »Ich nehme ihren Entscheid zur Kenntnis.«
Mehr sagte er nicht.
»Und wie soll es nun weitergehen? Wollen Sie noch lange hier in der Schweiz bleiben? Ich brauche keine Hilfe. Und ich will auch keine, verstehen Sie?«
Diesmal nickte der Chinese und blickte sie unterwürfig an.
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