1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Nie hatte er herausfinden können, wovor Cindy, Britta - und noch eine dritte, deren Name ihm nicht mehr einfiel - damals geflüchtet waren. Seine Bemühungen, dem Mord an Ernst Gerlach etwas Geheimnisvolles zu entlocken, waren gescheitert. Über sein eigenes Drogendelikt war er gestolpert und für diese Dummheit einige Jahre im Knast gelandet. Seitdem strampelte er mühsam, um seinen alten Ruf als Fuchs unter den Journalisten wieder herzustellen. Der Mord an Thomas Gerlach war die absolute Chance. Zuviel hing daran.
Es war kein Zufall, dass Thomas Gerlach der Sohn des vor zwanzig Jahren ermordeten Ernst Gerlach war. Erst recht nicht für Pardi, der dieses Ereignis für einen neuen Karriereschub hielt. Kaum war er wieder auf der Bildfläche aufgetaucht, hatte sich auch schon ein Informant bei ihm gemeldet und ihm genau das angeboten, wonach Pardi schon lange lechzte. Aus dem Mordfall Ernst Gerlach nach zwanzig Jahren eine erneute Sensation zu machen.
Der Mord an dessen Sohn war das Tüpfelchen auf dem i.
Und ausgerechnet in Cindy Grafs Wohnung wurde er ermordet.
Für Pietro stand fest: Diese Weiber hatten schon seit zwanzig Jahren etwas zu verbergen. Er war auf der richtigen Spur.
Ein Taxi kam vorgefahren. Cindy stieg ein. Ganz schön luxuriös für eine arbeitslose Rechtsanwaltsgehilfin. Das sah ebenfalls vielversprechend aus.
Die Fahrt konnte losgehen.
Pietro Pardi startete seinen alten Ford-Escort, ein Relikt aus seiner Zeit, bevor er im Knast gelandet war. Er hing an dem alten Stück, auch wenn die Geräusche inzwischen mehr als bedenklich waren. Aber die alte Karre erinnerte ihn an bessere Zeiten – an Zeiten, die er wieder erleben wollte. Also hütete er sie, pflegte sie, tankte auch bereitwillig den teuersten Sprit – nur um nicht zugeben zu müssen, dass das Geld für ein neues Auto nicht reichte.
Doch was sah er da?
Cindy fuhr nicht zurück in Britta Ballhaus’ Wohnung in der Lebacher Straße. Auch nicht ins Basilisk zu Gerd Bode, dem Trottel, der immer herhalten musste, wenn Cindy Mist gebaut hatte. Sie steuerte den Triller an, eine Wohngegend am Rand von Saarbrücken. Die Straßen wurden immer enger und steiler. Pardi musste aufpassen, dass er nicht gesehen wurde. Er ließ sich zurückfallen. Plötzlich war das Taxi verschwunden. Verdammt. Diese verwinkelten Straßen waren wie verhext. Wo steckte Cindy nur? Er schaute sich nach allen Seiten um, bis er gerade noch das Hinterteil des Taxis erkennen konnte, das rechts abbog.
Was hatte er doch ein Glück. Er schlug die gleiche Richtung ein. Der Anstieg wurde noch steiler. Sein Auto stieß eine schwarze Rußwolke durch den Auspuff. Hoffentlich verreckte ihm die Karre nicht.
Zum Glück wurde es bald wieder eben.
Es folgte ein kleiner Park, der von schicken Bungalows flankiert wurde. Deutlich konnte er sehen, vor welchem Haus das Taxi stehenblieb. Pardi stieß vor Staunen die angehaltene Luft aus. Das war Thomas Gerlachs Haus. Was hatte Cindy dort zu suchen? Er stellte seine Rostlaube hinter der nächsten Kurve ab, kramte sein Mikrofon aus der Tasche, seine neueste Errungenschaft - in der Hoffnung, dass er nah genug herankam, um etwas mitzuhören.
Er schaute sich um. Die Gegend wurde durch viel Natur geprägt – Zypressen, Weißdornsträucher und Kirschlorbeer konnte er erkennen. Das war der geeignete Schutz für Pardi.
Er sah Cindy an der Haustür stehen. Hastig huschte er hinter das Gestrüpp. Die Haustür wurde geöffnet. Sofort konnte er laute Frauenstimmen hören. Andrea Gerlach – Thomas Gerlachs Witwe – schien nicht besonders erfreut über den Besuch von Cindy zu sein.
Stopp! Was war das?
Andrea Gerlach hatte einen dicken Bauch. Die Gute war schwanger. Das könnte eine kleine Herz-Schmerz-Geschichte am Rande geben. Pardi beglückwünschte sich zu seinem schlauen Schachzug.
Er hielt das Mikrofon in Richtung der streitenden Frauen. Worte wie: „Schlampe“ „Diebin“ „Mörderin“ fielen. Doch leider war das Streitgespräch damit schon wieder beendet. Andrea Gerlach schlug die Tür vor Cindys Nase zu.
Pardi verharrte in seinem Versteck. Was würde nun passieren? Am liebsten wäre ihm, Cindy würde an die verschlossene Tür hämmern und ihre Vorwürfe laut und gut hörbar hinausschreien. Aber diesen Gefallen tat sie ihm nicht. Stattdessen kehrte sie zum Taxi zurück und ließ sich zu Brittas Wohnung fahren.
Pardi schaute sich auf dem Display seiner digitalen Kamera die Fotos an, die er von den beiden Frauen geschossen hatte.
Er grinste. Auch wenn er nicht viel von dem Streit verstanden hatte, so wusste er jetzt schon, wie der nächste Aufmacher seiner Zeitung aussehen würde.
♦
„ Fickstübchen “, trällerte Oberkommissar Norbert Böker, während Britta den Dienstwagen langsam durch die stark befahrene Mainzer Straße steuerte. Sie suchten nach der Zweitwohnung, die Thomas Gerlach für amouröse Zwecke gemietet hatte.
„Geld muss man haben“, sinnierte Böker weiter und fuhr sich durch seine blonden Haare. „So ein Anwalt kann sich eine extra Bude mieten, nur um die vielen Mäuschen zu vernaschen. Und ich?“
„Du bist nicht verheiratet. Für dich es doch egal, wo du mit ihnen hingehst.“
„Aber die Frauen, die ich vernasche, sind es meistens. Da wäre ein Fickstübchen doch viel sicherer.“
„Das ist wieder typisch für dich.“
„Leck mich!“
„Nein Danke! Ich verzichte.“
Das Gespräch zwischen den beiden war beendet. Zum Glück fanden sie das Haus sofort. So entstand kein peinliches Schweigen. Von außen sah es unscheinbar aus, passte sich den anderen in dieser Reihe perfekt an, was es anonym wirken ließ. Sie stiegen aus und gingen durch die kalte Herbstluft auf die Haustür zu. Das Klingelschild verriet nichts – gar nichts. Es stand kein einziger Name dran. Die Haustür war nur angelehnt. Die beiden Polizeibeamten schauten überrascht auf das Schloss und erkannten sofort, dass es verrostet war und vermutlich schon lange keinen Nutzen mehr brachte. Sie stießen die Tür auf und traten in einen langen, dunklen Flur. An den Wänden hingen dutzende von Briefkästen ohne Namen.
„Wie sieht der Briefträger, wo er was einwerfen muss?“, fragte Böker überrascht.
„Schau mal genau hin“, forderte Britta auf. „Ich sehe keine Post. Nur Werbung.“
„Ein perfektes Ambiente für ein Fickstübchen “, sinnierte Böker.
Sie gingen weiter.
Am Ende des Flurs stand die Nummer fünf auf der Tür. Das musste Gerlachs Wohnung sein. Böker probierte den Schlüssel. Er passte. Sie traten ein. Abgestandene Luft schlug ihnen entgegen. Erschrocken wichen sie zurück.
„Meine Güte. Es riecht, als habe hier ein Schwein gehaust“, stöhnte Böker. Er hielt sich seinen Jackenärmel vor die Nase und trat ein. Britta folgte ihm widerwillig. Nun erst erkannten sie, dass alles durcheinander lag.
„Das sieht nicht gut aus“, stellte Britta fest. „Hier war schon einer vor uns.“
Böker stellte sich ans Fenster. Der Blick fiel dort auf die Rückseite hoher Bürokomplexe und moderner Versicherungsgebäude, die von alten, vernachlässigten Häusern flankiert wurden. Dazu Hinterhöfe, die verlassen aussahen, und verrostete Container. Die vereinzelten Bäume wirkten innerhalb der farblosen Umgebung durch ihr buntes Laub wie Farbtupfer. Keine Menschenseele war dort zu sehen. Alles verharrte in Stille. Sogar der Wind gelangte nicht in diese Ecke. Stillleben, fiel Böker dazu ein. Wie ein Gemälde. Der Anblick könnte ihm gefallen.
Er drehte sich um und besah sich das Chaos im Wohnzimmer genauer. Papiere, Zeitungen, Fotos lagen auf dem Boden. Aber keine Schranktür stand offen, keine Schublade war herausgerissen. Weiter entdeckte er Geburtstagskarten und Liebesbriefe. Auch die Regale wirkten unberührt.
Ein Poltern drang an sein Ohr, begleitet von einem Rascheln. Erschrocken drehte sich Norbert Böker im Kreis. Er war allein. Und doch fühlte er sich beobachtet.
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