Elke Schwab
Kullmann stolpert über eine Leiche
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Inhaltsverzeichnis
Titel Elke Schwab Kullmann stolpert über eine Leiche Dieses ebook wurde erstellt bei
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
Impressum neobooks
Titel
Kullmann
stolpert über eine Leiche
Elke Schwab
Originaltitel: Angstfalle
Es war schon dunkel, als Trixi mit ihrem Fahrrad nach Hause radelte. Im Friseursalon war viel los gewesen. Vom Tageslicht hatte sie nichts gesehen. In der Dunkelheit trat sie ihren Dienst an, in der Dunkelheit beendete sie ihn wieder. Es war Weihnachtszeit, eine Zeit, in der die Tage immer kürzer und die Nächte länger wurden, eine Zeit, in der Lichterketten und leuchtende Sterne die Fenster der Häuser zierten, sodass die Finsternis ein wenig erträglicher schien.
Die kalte Luft tat ihr gut. Während ihr Blick auf die hell erleuchteten Häuser fiel, nahm sie sich vor, an diesem Abend ebenfalls die festliche Dekoration herauszusuchen und ihr Haus weihnachtlich zu schmücken. Seit sie allein in dem großen Elternhaus lebte, fiel es ihr von Jahr zu Jahr schwerer, diesen Ritualen treu zu bleiben. Aber sie wollte sich dazu aufraffen. Es half nichts, alles schleifen zu lassen.
Den restlichen Weg zu dem großen Haus musste sie ihr Fahrrad schieben. Die Strecke war bergig und die Kondition, diesen Anstieg im Sattel zu bezwingen, hatte sie nicht.
Sie überquerte eine kleine Holzbrücke, die über den Grumbach führte. Zu dieser Jahreszeit rauschte der kleine Bach wie ein Wasserfall. Durch die starken Regenfälle der letzten Wochen hatte sich viel Wasser angesammelt. Ob das vorsintflutliche Gebilde ihr Gewicht noch lange aushalten konnte? Sie erinnerte sich nicht, dass die Brücke einmal gewartet worden wäre.
Die letzten Meter machten es ihr auch nicht leichter. Dort standen schon seit Jahren alte Autowracks und rosteten vor sich hin. Manchmal sah Trixi, dass sich jemand dorthin verirrte, als wolle er noch etwas Verwertbares finden.
Als sie sich der Haustür näherte, sah sie auf dem Boden ein rotes Päckchen liegen.
Sie stöhnte. Sollte das wieder ein Liebesbeweis ihres Lieferanten sein? Seit Monaten erhielt sie kleine Geschenke und Liebesbriefe. Kaum hatte Roland Berkes begonnen, für den Internationalen Paketdienst zu arbeiten, verfolgte er sie mit seinen Aufmerksamkeiten. Das musste ein Ende haben. Sie wollte nichts von diesem Mann und fühlte sich belästigt.
Sie nahm das Päckchen und warf es ungeöffnet in den Mülleimer. Wütend stapfte sie ins Haus. Der lange, schmale Flur lag im Halbdunkeln, obwohl sie die Deckenlampe eingeschaltet hatte. Sie sollte eine stärkere Glühbirne benutzen, was sie immer wieder zu besorgen vergaß. Als sie in die Küche gehen wollte, sah sie, dass die Tür zur Abstellkammer einen kleinen Spalt offenstand. Wie war das möglich, fragte sie sich erschrocken. Sie hatte doch einen Riegel anbringen lassen, weil das Türschloss alt und abgenutzt war. Damit wollte sie verhindern, dass die Tür von selbst aufging, denn sie erschrak jedes Mal, wenn sie sich mit einem leisen Quietschen öffnete. Hatte sie den Riegel vorgeschoben, als sie das Haus verlassen hatte? Sie wusste es nicht mehr.
Kaum hatte sie ihre Schuhe ausgezogen und neben der Garderobe abgestellt, klingelte das Telefon. Als sie abhob, erkannte sie Roland an seiner heiseren Stimme: »Hat es dir gefallen?«
Es war das erste Mal, dass er anrief. Also wurde er dreister.
»Ich will keine Geschenke von dir«, gab Trixi unfreundlich zurück. »Lass mich in Ruhe.«
»Aber, ich wollte dir nur eine Freude machen. Es ist doch bald Weihnachten, das Fest der Liebe. Du kannst mir nicht verbieten, dir etwas zu schenken!«
An diesen Worten erkannte Trixi, dass es schwierig würde, gegen seine Verliebtheit anzukämpfen. Er sah die Dinge einfach so, wie er sie sehen wollte.
»Ich will nichts von dir und du bekommst nichts von mir, basta.« Wütend knallte sie den Hörer auf die Gabel.
Auf dem Weg durch den Korridor ins Badezimmer, ließ sie nach und nach alle Kleidungsstücke auf den Boden fallen. Sie liebte es, chaotisch zu sein, ohne dass jemand sie zur Ordnung rief.
Ein heißes Bad täte ihr gut. Sie fror immer noch.
Als sie mit einem Buch in der Wanne lag und die Anspannung des Tages von ihr abfiel, hörte sie ein Poltern an der Haustür.
Erschrocken horchte sie auf. Sie wusste, dass die Sicherheitsvorkehrungen in diesem Haus nicht die besten waren. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie nichts mehr instandsetzen lassen. Ihr fehlte das Geld dazu. Wieder polterte es im Flur. Nervös stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und zog einen Morgenmantel an.
Im Flur lag zwischen Glasscherben das kleine Päckchen, das sie vor kurzer Zeit noch in den Mülleimer geworfen hatte. Das war doch die Höhe, fluchte Trixi vor sich hin. Wie kam der Schuft dazu, ihr nachzuspionieren?
Die Glasscherben stammten von einem der kleinen Fenster direkt neben der Haustür. Zum Glück war es so klein, dass niemand durchklettern konnte. Es war außerdem mit Gitterstäben gesichert. Diese Maßnahme hatte ihr Vater schon vor Jahren getroffen, wofür sie ihm jetzt dankbar war. Trotz allem musste sie es mit einem Brett zunageln, damit die Kälte nicht ins Haus dringen konnte.
Es ärgerte sie, sich am späten Abend noch mit solchen Unannehmlichkeiten herumärgern zu müssen. Seit dem Tod ihrer Eltern hatte sie sich komplett im Erdgeschoss eingerichtet. Jedes der Zimmer im Obergeschoss steckte voller Erinnerungen an eine Zeit, die sie gerne vergessen würde. Ihr Entschluss sich unten einzurichten, war eine Flucht. Dessen war sie sich bewusst. Aber ein passendes Stück Holz würde sie hier nirgends finden. Also blieb ihr keine andere Wahl, sie musste nach oben gehen.
Im ehemaligen Elternschlafzimmer sah sie einen Schatten – da stand jemand.
Sie erschrak heftig, ihr Herz schlug wie wild, sie atmete stoßweise. Die Person gab keinen Mucks von sich. Sie wartete, bis ihr Puls sich wieder beruhigt hatte. Da erkannte sie, dass es sich um die alte, graue Schaufensterpuppe handelte, die ihre Mutter zum Lüften von Kleidern genutzt hatte. Schon als Kind war ihr das Monstrum unheimlich gewesen. Warum hatte sie es nicht schon längst weggeworfen?
Wütend stieß sie die gesichtslose Puppe um und schob sie unter das Bett.
Sie war heilfroh, als sie schon nach wenigen Minuten Teile eines alten Schrankes fand, die für ihr Vorhaben ausreichten. Fluchtartig eilte sie nach unten und machte sich daran, die Fensteröffnung zu vernageln. Hinterher betrachtete sie ihr Werk. Sie stellte fest, dass sie handwerkliches Geschick besaß.
Nun widmete sie sich ihren Pflanzen, eine Beschäftigung, die sie liebte und immer ablenkte. Sie füllte ihre Gießkanne mit Wasser und betrat das benachbarte Zimmer, das zur Vorderseite des Hauses zeigte. Früher wurde es als Esszimmer genutzt, was immer noch am Mobiliar zu erkennen war. Mit Intarsien verzierte Schränke, ein langer Tisch mit geschwungenen Beinen und gepolsterte Stühle schmückten einst dieses Zimmer, was ganz der persönlichen Note ihrer Mutter entsprach. Nichts in diesem Haus hatte jemals einen Hinweis darauf gegeben, dass eine Tochter existierte. Alles, der Stil der Möbel, die Art, wie es arrangiert wurde, die Gardinen, sogar die elektrischen Geräte, wie Musikanlage und Fernseher, musste nach den Vorstellungen ihrer Mutter platziert werden. Da war kein Platz für eigene Wünsche – ›Anpassen‹ lautete Trixis Lebensmotto, um nicht dem Zorn dieser Frau ausgesetzt zu sein. Sogar die Pflanzen hatten einen höheren Stellenwert als die Tochter. Die Mutter nahm sie nur bei ihren zahlreichen Vorträgen über Pflanzen wahr. Sie beherrschte ihre Umgebung und alles unterlag ihrer Kontrolle. Sie duldete keinen Widerspruch, war immer der Meinung, dass der Mensch sich nicht grundlos evolutionsgeschichtlich zum ›homo sapiens‹ entwickelt habe und dieses Privileg deshalb auch nutzen sollte. Während ihrer Pflanzenexkursionen durch das ganze Haus hatte Trixi die Pflicht, ihr aufmerksam zuzuhören und zu lernen. Ihre Mutter behauptete schon immer, dass der Mensch Einfluss auf die Natur nehmen sollte. Dabei meinte sie die Zucht der Pflanzen unabhängig von Jahreszeit und Umweltbedingungen. Trixi hatte diese Lehrstunden gehasst. Die Sprüche klangen ihr heute noch in den Ohren.
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